Bürger werden kritischer
30.12.2022 Region Unterfreiamt, Hägglingen, DottikonRückblick: Gleich in zwei Gemeinden der Region wurden Unterschriften für ein Referendum gesammelt
Während in Wohlen schon immer politisch gestritten wurde, war es in der Region diesbezüglich meist viel ruhiger. Doch in diesem Jahr gab es unerwartet viel ...
Rückblick: Gleich in zwei Gemeinden der Region wurden Unterschriften für ein Referendum gesammelt
Während in Wohlen schon immer politisch gestritten wurde, war es in der Region diesbezüglich meist viel ruhiger. Doch in diesem Jahr gab es unerwartet viel Opposition gegen die Pläne der Gemeinderäte. Am meisten in Hägglingen und Dottikon.
Chregi Hansen
Das aktuellste Beispiel stammt aus Dottikon. Dort wurde gegen den Kredit über 500 000 Franken für den Neubau der Tieffurtbrücke das Referendum ergriffen. Innert kürzester Zeit kamen weit über 600 Unterschriften zusammen. Nun muss an der Urne über das Projekt entschieden werden.
Der Widerstand richtet sich weniger gegen die Brücke selbst als gegen die Pläne, diese nur noch für Velofahrer und Fussgänger zuzulassen. Die Autofahrer hingegen müssten in Zukunft durchs Zentrum fahren. Das kam bei vielen im Dorf nicht gut an. Denn Dottikon stöhnt schon jetzt über den Verkehr, an der Sternen-Kreuzung kommt es immer wieder zu langen Staus. Für viele war die Fahrt über die Tieffurtbrücke eine willkommene Abkürzung – und so etwas lässt man sich ungern wegnehmen.
Sogar Beschwerde eingelegt
Der Konflikt in Dottikon hat eine besondere Form angenommen. Nicht nur wurden Unterschriften gesammelt, gegen den Entscheid an der Gemeindeversammlung wurde auch Beschwerde beim Kanton geführt. Etwas, was man bisher nur vom grossen Nachbarn Wohlen kennt. Die Gegner störten sich daran, dass die Besitzer der Tieffurtmühle, obwohl nicht Einwohner von Dottikon, an der «Gmeind» anwesend waren, dort Auskunft gaben und auch bei der Abstimmung im Saal blieben. Zudem wirft das Referendumskomitee dem Gemeinderat vor, die Interessen einiger weniger in den Vordergrund gestellt und diejenigen eines ganzen Quartiers ignoriert zu haben.
Auch in Hägglingen wehrten sich die Anwohner
Es sind ganz neue Töne in Dottikon. Wann hier zuletzt gegen einen Entscheid der Gemeindeversammlung das Referendum ergriffen wurde, daran kann sich niemand erinnern. Ähnlich war es dieses Jahr in Hägglingen. Hier veranlasste ein Entscheid an der Sommer-«Gmeind» die Bewohner eines Quartiers zum Unterschriftensammeln. Dabei ging es um einen Verpflichtungskredit in der Höhe von 1,852 Millionen Franken zur Sanierung der Geissmann-Ackermann-Strasse inklusive Werke und Beleuchtung sowie Ausbau Bushaltestelle.
Auch hier waren es vor allem die Anwohner, die sich wehrten. Sie störten sich nach eigenen Aussagen am «Luxusausbau», der dazu führt, dass viele von ihnen Land abgeben müssen. Zudem würde die Verbreiterung der Strasse Mehrverkehr anziehen. Die 341 nötigen Unterschriften wurden mit 484 eingereichten mehr als erreicht. An der «Gmeind» wurde der Kredit mit 46Ja zu 27Nein noch bewilligt. Noch liegt kein definitiver Entscheid vor, über das Geschäft wurde noch nicht an der Urne entschieden.
Dass gleich in zwei Gemeinden der Region Referenden ergriffen werden, ist aussergewöhnlich. Zwar wird auch in diesen Dörfern an den Versammlungen oft kontrovers diskutiert, aber im Normalfall erhalten die Gemeinderäte viel Unterstützung von den Bürgern. Inzwischen ist man aber auch «auf dem Land» kritischer geworden. Das Abnicken der Anträge, wie es früher oft der Fall war, gehört der Vergangenheit an. Heute stellt man mehr Fragen. Lehnt auch mal ein Geschäft ab. Auch haben Anträge, die spontan an den Versammlungen gestellt werden, mehr Chancen als früher. Das ist gelebte Demokratie, auch wenn die Situation für die Verantwortlichen nicht immer ganz einfach ist.
Rückweisung in Villmergen
Nicht nur in Hägglingen und Dottikon gab es dieses Jahr Widerstand, auch in Villmergen wurde ein Geschäft zurückgewiesen. Dabei ging es um den geplanten Wärmeverbund, den die Gemeindewerke zusammen mit dem Elektrizitätswerk der Stadt Zürich bauen und betreiben will. Der Widerstand richtet sich nicht gegen den Wärmeverbund als solchen, sondern gegen die Wahl des Partners – hier muss der Gemeinderat nochmals über die Bücher. Dass kritisch nachfragende Bürger von Nutzen sein können, das beweist ebenfalls das Beispiel Villmergen. Dort hatte vor zwei Jahren an einer «Gmeind» ein Stimmbürger verlangt, die Wassergebühren zu überprüfen und gegebenenfalls zu erhöhen. Diesem Wunsch kam der Gemeinderat nach. Die entsprechende Erhöhung wurde diesen November genehmigt.
In Tägerig ist mögliche Fusion vom Tisch
Und manchmal kann ein Antrag aus den Reihen der Bürger gar einen längeren Prozess in Gang setzen, an dem am Ende genau das Gegenteil passiert – und trotzdem alle zufrieden sind. So in Tägerig, wo der Gemeinderat Anfang 2020 von der Versammlung den Auftrag erhielt, eine mögliche Fusion mit einer anderen Gemeinde zu prüfen. Obwohl der Gemeinderat wenig Freude an der Aufgabe hatte und sich stets für die Eigenständigkeit starkmachte, übernahm er die Aufgabe. Diesen Herbst legte er die Resultate der Abklärungen vor. Und konnte den Stimmbürgern deutlich machen, dass eine Fusion mehr Nach- als Vorteile bringt. Sprachen sich bei einer Umfrage im Januar 2021 noch zwei Drittel für eine Fusion aus, so wurden jetzt in einer Konsultativabstimmung mit 125 zu 26 weitere Abklärungen für einen Zusammenschluss abgelehnt.
Niederwil sagt Ja zu höheren Steuern
Auch wenn es mittlerweile mehr kritische Bürger gibt, so bleibt eines gleich: Kann der Gemeinderat mit seinen Argumenten überzeugen, so sagen die Stimmbürger auch Ja zu unpopulären Geschäften. Den Beweis dafür gab es dieses Jahr in Niederwil. Mit 199 Ja zu 45 Nein genehmigten die Niederwiler vor wenigen Wochen die Erhöhung des Steuerfusses von 99 auf 103 Prozent. Auch hier gab es zwar kritische Fragen und war der Aufmarsch an der «Gmeind» gross – doch die Antworten des Gemeinderates überzeugten eine klare Mehrheit. Und die hat in einer Demokratie auch heute noch das Sagen.