Zweites Leben für alte Produkte
30.07.2024 Region Bremgarten, Fischbach-GöslikonSommerserie «Hinter den Kulissen»: Die Brocki in Fischbach-Göslikon
Seit zehn Jahren besitzt und führt Franziska Springer aus Niederwil die Brocki Fi-Gö. Sie legt grossen Wert auf qualitativ gute Produkte und hat gelernt, bei der Warenannahme auch ...
Sommerserie «Hinter den Kulissen»: Die Brocki in Fischbach-Göslikon
Seit zehn Jahren besitzt und führt Franziska Springer aus Niederwil die Brocki Fi-Gö. Sie legt grossen Wert auf qualitativ gute Produkte und hat gelernt, bei der Warenannahme auch mal Nein zu sagen.
Roger Wetli
«In einer Brocki ist man ständig am Aufräumen», lacht Franziska Springer. Sie zeigt ihr Reich in Fischbach-Göslikon. Hätte man hier vielleicht enge Gänge mit übervollen Gestellen erwartet, wirkt in dieser Brocki alles wohlplatziert. In einem Gestell entdeckt man etwa Gläser, an einer Wand sind Kleider aufgehängt. Im zweiten Stock wurden alte intakte Fensterrahmen und Wohnzimmerstühle deponiert. Hier findet man auch altes Spielzeug. Wieder im unteren Stock angekommen sieht man Gestelle voll mit Büchern und eine Ecke mit LPs. In der ganzen Brocki begleitet einen der angenehme Duft von altehrwürdig. «Ich fühle mich als Verkäuferin, nicht als Lageristin», sinniert die Brocki-Besitzerin. Was sie verkauft, ist in diesem Räumen zu sehen. Ein früheres Lager gab sie auf.
Eigene Persönlichkeit durch Ladeninhalt
Vor zehn Jahren übernahm die gelernte Verkäuferin die Brocki in Fischbach-Göslikon von ihrer Vorgängerin Elisabeth Pola. Diese betrieb diese Brocki zehn Jahre lang. «Vermutlich wird dieses Gebäude aber schon viel länger so wie heute genutzt», erklärt die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern. Die Brocki übernahm sie samt Inhalt. Rund fünf Jahre benötigte sie, um ihre eigene Persönlichkeit in den Laden hereinzubringen. «Ich entsorgte dafür viele Gegenstände und habe so Platz gemacht, damit ich mich hier wohlfühle», blickt sie zurück. Aufgrund des Kontakts mit ihrer Kundschaft und wegen des ständigen Aufräumens absolvierte sie nebenbei eine Ausbildung zur professionellen Ordnungscoachin. Damit hilft sie jetzt Menschen, die ihr Haus oder ihre Wohnung aufräumen wollen, sich aber schwertun, sich von gewissen Gegenständen zu trennen. «Wenn man zu viel Ware um sich herum hat, die nicht zum aktuellen Leben passt, fühlt man sich unwohl», ist die Brocki-Besitzerin überzeugt. Sie mag das Aufräumen. «Das muss ich auch, sonst würde hier schnell wieder Chaos herrschen», betont Franziska Springer.
Waren werden geschenkt
Die Waren in ihrer Brocki werden ihr direkt von den Vorbesitzern angeboten. «Sie fahren mit dem Auto vor das Gebäude und ich schaue hinein. Ich gehe dann mit einem Körblein raus, wähle aus, was ich davon wieder verkaufen könnte, und nehme nur diese Gegenstände ins Geschäft», erklärt sie. «Ich erlaube mir, Nein zu sagen. Eine Brocki ist schliesslich keine Entsorgungsstelle.» Bei der Auswahl achtet sie darauf, dass die Waren «positiv aufgeladen» sind. «Ein Gegenstand, den jemand gerne hat, wirkt ganz anders als ein ungeliebter. Ein Teil der Kundschaft spürt das.» Für die Waren zahlt sie nichts. Ihre Dienstleistung ist es, als Vermittlerin den Gegenständen ein weiteres Leben zu ermöglichen. «Die meisten Vorbesitzer bringen ihre Sache gerade deshalb zu mir.» Nicht nur bei ihren Einsätzen als Ordnungscoachin helfe sie loszulassen, sondern auch mit der Brocki. Grössere Gegenstände wie zum Beispiel Betten lässt Franziska Springer bei ihren Besitzern zu Hause und veröffentlicht sie lediglich gegen Entgelt auf ihrem Online-Status. Sie müssen direkt bei ihren Besitzern abgeholt werden.
Wert der Artikel bestimmen
Nimmt sie Waren für ihr Geschäft mit, schaut sie diese drinnen noch genauer an und definiert den Verkaufspreis. «Das ist eine Wissenschaft für sich», lacht Franziska Springer. «Es gibt einen ungefähren Warenwert. Dazu nehme ich zum Beispiel den Neupreis und teile ihn durch drei oder vier.» Dann gebe es aber noch den Sammlerwert, der deutlich über dem Warenwert liegen könne. «Und natürlich den ideellen Wert», ergänzt sie und zeigt eine alte, lederne, leicht vergilbte Arzttasche: «Die Enkel haben dieses Erinnerungsstück vorbeigebracht. Für sie hatte sie einen hohen Wert und war mit vielen positiven Emotionen verbunden.»
Dem Journalisten händigt Franziska Springer einen gläsernen Wasserkrug aus. «Was würden Sie dafür zahlen?», fragt Springer. Ich zögere. Kenne mich mit diesem Metier nicht aus und zucke schliesslich mit den Schultern. «Dieser Wasserkrug ist rund 100 Jahre alt. Er wurde mundgeblasen. Die Verzierungen darauf sind handgemalt.» Ich spüre: Sofort erhält der Alltagsgegenstand einen höheren Wert.
Alle kommen vorbei
«Einen typischen Brocki-Kunden gibt es nicht», erklärt Franziska Springer. «Mein Publikum kommt querbeet aus allen Bevölkerungsschichten. Es gibt solche, die regelmässig vorbeischauen, aber auch solche, die ich nur einmal sehe.» Ein spezielles Klientel seien Personen, welche von Brocki zu Brocki reisen würden. «Darunter gibt es Liebhaber, Jäger und Sammler», weiss sie. Schön sei es aber auch, wenn ganz normale Leute vorbeischauen würden und dann staunten, was es alles hier drin gebe. «Und dann gibt es Eltern, die vorbeischauen. Sie zeigen dann ihrem Nachwuchs alte Gegenstände.»
Franziska Springer lebt von der Brocki. In ihrem Privat- und Berufsleben helfe ihr, dass sie in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen sei und die Qualität von guten Gegenständen einzuschätzen wisse. «Vieles haben wir auch geflickt», schaut sie zurück und stellt fest: «Altes hat Qualität, denn Qualität wird alt.»
Die Funktion der Gegenstände wechseln
Sie findet es spannend, dass das Sortiment in ihrer Brocki ständig wechselt. «Das hängt davon ab, was vorbeigebracht und was verkauft wird», betont die Verkäuferin. «Es wird mir nie langweilig. Ich kann sehr kreativ sein, wenn ich zum Beispiel Gegenständen eine andere Funktion gebe und etwa eine schöne alte Sauciere in einen Blumentopf oder in eine Kerzendekoration umwandle.»
Trotzdem gibt es immer wieder Ladenhüter, die sie irgendwann aussortiert. Einen Grossteil davon entsorgt Franziska Springer aber nicht, sondern spendet sie einer Brocki in Angola, einem Bubenheim und einem Nähatelier in Rumänien oder einem Kinderheim in Indonesien. «Vieles, was wir nicht mehr benötigen oder das, was wir auswechseln, hat woanders noch einen grossen Wert. Als Brocki recyceln wir diese Sachen und versuchen, dem ‹Produktions- und Konsumzwang› etwas entgegenzuhalten.» Franziska Springer sagt das ohne jeglichen Groll in ihrer Stimme und lächelt dabei.