Windräder geben zu reden
17.10.2025 Region Oberfreiamt, Energie, Beinwil/FreiamtBeinwil hat über die anstehende ausserordentliche «Gmeind» vom 29. Oktober orientiert
Die Befürworter sprechen von einem Geldgeschenk ohne nennenswerte Risiken, die Gegner von hohen Belastungen für wenig Ertrag. Am Anlass in der Mehrzweckhalle ...
Beinwil hat über die anstehende ausserordentliche «Gmeind» vom 29. Oktober orientiert
Die Befürworter sprechen von einem Geldgeschenk ohne nennenswerte Risiken, die Gegner von hohen Belastungen für wenig Ertrag. Am Anlass in der Mehrzweckhalle konnte sich die Bevölkerung eine eigene Meinung bilden.
Thomas Stöckli
Das Thema polarisiert. Und es ist komplex. Es geht um Technik und Energie, aber auch um Natur und Landschaft. «Die Gemeinde und die Region liegen uns allen am Herzen», appellierte Moderator Rolf Schmid darum an das Verbindende im Saal. Der Appell scheint anzukommen: Die Diskussion wird in der Sache hart geführt, aber stets mit gegenseitigem Respekt.
Versorgungssicher und autonom
Als Vertreter der Hauptaktionärin AEW stellt David Gautschi die Pläne der Windpark Lindenberg AG vor. Den drei beteiligten Energieversorgern gehe es einerseits darum, die Energiestrategie des Bundes umzusetzen, andererseits sei ihnen regional produzierter Strom ein Herzensanliegen. Nicht zuletzt gehe es darum, weitestgehend autonom agieren und damit die Versorgungssicherheit gewährleisten zu können. Windenergie sei nicht die alleinige Lösung für die sich anbahnende winterliche Versorgungslücke, sagt er, aber ein Teil davon. Im Gegensatz zu anderen nachhaltigen Energiequellen wie Sonne und Wasser liefert der Wind dann am meisten Strom, wenn auch die Nachfrage am höchsten ist: «Zwei Drittel fallen im Winterhalbjahr an», so Gautschi.
Schon im Jahr 2008 erfolgten erste Machbarkeitsstudien. Mit den Windmessungen wurde es ab 2014 konkreter und ein weiterer Meilenstein wurde mit der öffentlichen Mitwirkung 2020 erreicht. Bei der Standortwahl galt es Ausschlusskriterien wie die Abstände zum Siedlungsraum zu berücksichtigen und weitere Faktoren abzuwägen, etwa die Vernetzungskorridore der Wildtiere. Der geplante Anlagetyp sei modern und doch schon erprobt, so Gautschi weiter. «Seit 2019 wurde er bereits 1800-mal verbaut», 500 weitere Aufträge seien noch offen, fügt er später an. Das runde Fundament misst 25 Meter im Durchmesser. Für den rückstandslosen Rückbau nach der auf 30 Jahre beschränkten Nutzungsdauer werden 200 000 Franken zurückgestellt. Dazu komme der Materialwert der Komponenten, der mit 150 000 Franken beziffert wird – Tendenz steigend.
Kein Kompromiss beim Wasser
Wird der Windpark erstellt, erhält die Gemeinde über 20 Jahre ein jährliches Fixum von rund 200 000 Franken und darüber hinaus eine variable Vergütung, abhängig vom tatsächlichen Ertrag. Mit den Steuereinnahmen dürften so jährlich 300 000 bis 350 000 Franken zusammenkommen. Das entspricht je nach Berechnungsmethode gut sieben bis zehn Steuerprozent. Weiter nennt Gautschi nicht-monetäre Anreize: etwa die verbindlichen ökologischen Aufwertungsmassnahmen und die Erdverkabelung von 3,3 Kilometern bisheriger Freileitung.
Kritisch, aber ergebnisoffen sei er gewesen, blickt Hermann Bütler auf den Start in den Begleitgruppen-Prozess zurück. Sieben Jahre später kann er überzeugt Ja sagen – wie alle anderen Beinwiler Mitglieder der Begleitgruppe. Ein zentrales Anliegen sei der Schutz der Wasserversorgung gewesen: «Das ist nicht verhandelbar!» Seine diesbezüglichen Bedenken seien allerdings ausgeräumt: «Eine negative Beeinflussung muss weder beim Bau noch beim Betrieb befürchtet werden», hält er fest.
Auch bezüglich Vogelschlag dürften die negativen Auswirkungen wesentlich geringer ausfallen, als zum Teil verbreitet werde. Ohne Schutzmassnahmen müsse man von 20 bis 30 Vogelschlägen pro Jahr ausgehen. Dies will die Windpark Lindenberg AG allerdings deutlich reduzieren, indem die Anlage während des Vogelzugs und während des Ackerns abgestellt wird. Der Massnahmenplan zur Reduktion des Vogelschlags reduziere den zu erwartenden Stromertrag von 34 auf 27 GWh pro Jahr, rechnet Gautschi vor. Tatsächlich rechnet die Windpark Lindenberg AG mit 25 GWh. «Das entspricht dem Strombedarf von 5600 Haushalten – oder 2200 Erdumrundungen mit dem Auto», ordnet er ein.
Für die sorgfältige Arbeit der Initianten spreche, dass kein einziger Umweltverband Einspruch erhoben habe, sagt Bütler weiter.
Risiken und Nutzen abwägen
Als einziger Projektgegner auf dem Podium hatte Stefan Schimon, Präsident von Pro Lindenberg, einen schweren Stand. Zum Ausgleich zeigt sich Moderator Rolf Schmid grosszügig bezüglich Redezeit. Und in der anschliessenden Diskussion sollten die Voten aus dem Saal für Ausgleich sorgen.
Schimon argumentiert mit dem Erhalt von Ruhe und Ordnung, mit einem Appell für zielführende Energiepolitik gegen die Windpark-Pläne. Er warnt vor Lärm und Schattenwurf, vor Wertverlusten für Liegenschaftsbesitzer und vor der Verletzungsgefahr durch Eisabbruch im Winter. Weiter macht er auf die Umweltbelastung aufmerksam durch den Bau und den Betrieb. So gelangt Abrieb in die Umwelt. Dies im Bereich eines Grundwasservorkommens, «gross wie der Hallwilersee», und in unmittelbarer Nachbarschaft des Hochmoors Ballmoos.
Der erwartete Energieertrag sei gemessen am betriebenen Aufwand und an den Einschränkungen viel zu bescheiden, zieht Schimon die Ökonomie infrage und spricht von «Symbolpolitik» ohne echte Resultate: «Die ökologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Risiken überwiegen deutlich den Nutzen.»
Ganz anders schätzt das Befürworter und Alt-Gemeindeammann Albert Betschart ein. Er spricht von einer sinnvollen Ergänzung, einem kleinen, aber wichtigen Beitrag, das winterliche Stromdefizit zu reduzieren: «Die Probleme der Stromversorgung verlangen jetzt nach Lösungen», sagt er. Der Windpark sei ein positives Beispiel für nachhaltige Energieproduktion.
Finanzieller Planungsspielraum
«Die erneuerbare Energie ist höher zu gewichten als die vorübergehende Beeinträchtigung des Landschaftsbilds», findet auch Jürg Barmettler im Namen einer Mehrheit im Gemeinderat. Zumal die Grenzwerte bezüglich Lärm und Schattenwurf eingehalten werden. Weiter vergleicht er den Windpark mit der mittlerweile abgeschlossenen Deponietätigkeit. Auch die habe der Gemeindekasse wertvolle Entlastung gebracht, zum Preis von vorübergehenden Einschränkungen. «Heute sieht alles wieder aus wie vorher», sagt er.
Solche Entlastung kann die Gemeinde gut brauchen, steht doch aktuell Investitionsbedarf von 15 Millionen Franken an, zwölf allein fürs Mehrzweckgebäude, zweieinhalb für die Kantonsstrasse. Gemeindeammann Zemp mahnt allerdings, mit allfälligen künftigen Windpark-Erträgen könne man frühestens planen, wenn die Anlage ab 2030 tatsächlich auch Strom produziere.
«Wir haben null Interesse, ein Projekt zu realisieren, das nicht die erwartete Leistung bringt», stellt Gautschi in der abschliessenden Fragerunde auf Bedenken bezüglich der Wirtschaftlichkeit fest. Unter dem Windrad könne man sich in normaler Lautstärke unterhalten, der Infraschall sei ab einem Abstand von 300 Metern nicht mehr wahrnehmbar, also niedriger als beim Kühlschrank oder im Auto. Auch bezüglich «Ewigkeitschemikalien» müsse man sich wegen der Teflonpfanne in der eigenen Küche eher Sorgen machen. Bezüglich CO2-Bilanz schneide die Windenergie ähnlich wie die Wasserkraft sehr gut ab. «Nur mit Windenergie schaffen wir die Energiewende nicht», stellt Schimon klar. «Beinwil erhält die beste Milchkuh im Freiamt geschenkt», teilt ein Votant seine Ansicht mit.
Als um 22.45 Uhr die Stühle abgeräumt werden, dauern die Diskussionen in Gruppen noch an. Erst im Saal, später auch im Freien. Es dürfte spannend werden am 29. Oktober.