Von oben herab behandelt
30.12.2022 Region Unterfreiamt, VillmergenVon oben herab behandelt
Besondere Momente im Redaktionsalltag: Verfügung gegen das Villmerger Armenhaus (18. April 2022)
Chregi Hansen
Jetzt also sassen wir hier am Tisch. Neben mir Vreni und René Schiess, ...
Von oben herab behandelt
Besondere Momente im Redaktionsalltag: Verfügung gegen das Villmerger Armenhaus (18. April 2022)
Chregi Hansen
Jetzt also sassen wir hier am Tisch. Neben mir Vreni und René Schiess, zwei der Bewohner des Armenhauses. Zwischen uns der für die kommende Ausgabe geplante Text. Sie hatten gebeten, ihn vorher sehen zu dürfen. Änderungen wünschten sie praktisch keine. Dafür sprachen ihre Blicke Bände. Die Verfügungen des Kantons betreffend Rückbauten in ihrem Aussenbereich haben sie schwer getroffen. Man fühle sich einfach machtlos, meinten sie.
Seit über 40 Jahren wohnt die Familie in diesem Gebäude am Dorfrand, in dem die Gemeinde früher die Armengenössigen unterbrachte. Daher auch der Name Armenhaus, der heute noch geläufig ist. Zusammen mit ihrem Freund und Mitbewohner hatte die Familie das alte Gebäude gekauft, renoviert, saniert, ausgebaut und immer wieder verschönert. Viel Liebe, Zeit, Arbeit und auch Geld steckte im Aussenbereich, den sie nach und nach in ein Paradies verwandelt hatte, das nicht nur während der traditionellen Kunstausstellung im Armenhaus die vielen Gäste begeisterte, das nun aber plötzlich dem Kanton ein Dorn im Auge war.
An diesem Tag sah ich erstmals das Resultat der Verfügungen aus Aarau. Bei unserem ersten Gespräch vor einem halben Jahr stand der Grossteil der Arbeiten erst an. Jetzt aber war vieles weg, was zu diesem Garten gehörte. Das Hühnerhaus, der Geräteschuppen, die Kräuterspirale, der Spielturm, ein Teil des Sitzplatzes, das Holzlager und vieles mehr. Und das prägendste Element: der grosse Weiher mit seinen vielen Pflanzen. Jetzt befindet sich hier ein Kiesplatz. Einzig der grosse Findling, der früher halb im Wasser stand, durfte bleiben. Auch wenn sich die Familie alle Mühe gegeben hat, wieder einen schönen Platz zu gestalten, kommt die heutige Lösung nicht an den alten Teich heran.
Ein Ordner voller Korrespondenz
Was ich an diesem Tag hier sah, machte mich betroffen. Wir waren früher oft zu Gast im Armenhaus, Freunde von mir hatten hier gelebt, unsere Kinder haben in diesem Garten gespielt, wir haben gefeiert und gelacht und diskutiert und dabei auch die anderen Bewohner kennengelernt, auch die Familie Schiess. In diesem Haus waren die Menschen stets willkommen. Später zogen die Freunde aus, der Kontakt zu René und Vreni Schiess blieb. Immer wieder traf man sich im Dorf und wechselte ein paar Worte. Mehrfach habe ich über die Ausstellung im Armenhaus berichtet. Und jedes Mal hatte ich das Gefühl, die Aussenanlage sei noch schöner geworden. Ein kleines Paradies mit viel Grün.
Rund zwei Jahre zuvor hatte ich erstmals vom Streit mit dem Kanton erfahren. «Darüber musst du was schreiben», raunte mir ein Bekannter der Familie zu. Beim nächsten Treffen mit René Schiess sprach ich ihn darauf an. Dabei erfuhr ich genauer, worum es ging. Ja, er erzähle die Geschichte gerne für die Öffentlichkeit, meinte er. Doch noch laufe das Verfahren, ein Bericht könnte da negative Folgen haben, fügte er an. Eine Ansicht, die ich teilen konnte. Und so vereinbarten wir, dass er mich auf dem Laufenden hält.
Im Herbst 2020 trafen wir uns dann in ihrem Garten. René und Vreni Schiess erzählten mir ausführlich ihre Geschichte und überreichten mir einen ganzen Bundesordner mit Korrespondenz, Protokollen, Verfügungen, Skizzen und Urteilen. Und was ich hörte, machte mich nachdenklich. Lange schob ich den Artikel vor mir her – es graute mir vor dem Studium der Akten. Als ich mich schliesslich doch daran machte, wurde mein Eindruck aus dem Gespräch bestätigt.
Im Fall des Armenhauses ging es dem Kanton nie darum, eine vernünftige Lösung zu finden. Er wollte nur das Recht durchsetzen. Denn das Haus und der Garten befinden sich nicht in der Bau-, sondern in der Landwirtschaftszone. Und hier bestimmt nur der Staat, was gebaut wird oder nicht. Am liebsten ist es ihm, wenn gar nichts gemacht wird. Oder wie es die Vertreterin des Kantons ausdrückt: «Liegenschaften ausserhalb der Bauzonen sind von Gesetzes wegen unerwünscht.» Dass die Häuser und ihre Bewohner schon da waren, bevor es Zonenpläne gab, interessiert ihn nicht. Dass die Gemeinde die Bauten grösstenteils bewilligt hatte, egal. Dass sich Naturschützer für das Naturparadies einsetzen, egal. Die Bauten müssen weg.
Nicht an Kompromiss interessiert
Im Fall des Armenhauses hat der Kanton seine Macht demonstriert. Die Opfer sassen mir an diesem Tag gegenüber. Sie hätten den Rückbau verdaut, versicherten sie zwar. Was sie aber nicht verdaut haben, ist die Art, wie sie behandelt wurden. «Einmal standen wir an einem Novemberabend zu zwölft bibbernd um den Teich. Doch bei diesem Augenschein wurde schnell klar, der Kanton wird nicht von seiner Linie abweichen. Die Experten aus Aarau wollten so schnell wie möglich zurück, nicht mal für ein Gespräch bei einem Kaffee hatten sie Zeit», erzählte mir René Schiess.
Wenn das Haus im Weg steht
Der Artikel erschien. In der Folge hörte ich viele ähnliche Geschichten. Menschen berichteten mir, wie schwierig es ist, wenn man ausserhalb der genormten Bauzone lebt. Beispiel: Jemand erzählte mir, wie sein Baugesuch abgelehnt wurde. Als er sich wehren wollte, drohte man ihm, sein Haus stehe sowieso zu nahe an der Kantonsstrasse. «Aber mein Haus war vorher da, also ist doch die Strasse zu nah am Haus», meinte er. Andere erzählten, wie sie von oben herab behandelt werden. Dass sie nicht das Gefühl haben, als kleiner Bürger ernst genommen zu werden. Und immer wieder hörte und höre ich Geschichten von Behörden, die sich hinter Vorschriften und Paragrafen verstecken, statt sich um die Sorgen, Nöte und Anliegen der Bürger zu kümmern.
Davon erzählten mir auch René und Vreni Schiess an diesem Tag. Von der arrogant empfundenen Art gewisser Vertreter des Kantons. Als ich einem Freund später davon berichtete, wollte er wissen, um welche Person genau es sich handelt. «Ach die! Die kenne ich auch, mit der hatte ich auch schon das Vergnügen», gab er kopfschüttelnd zurück. Und schon erhielt ich eine weitere Anekdote erzählt, die mich kopfschüttelnd zurückliess. Die deutlich machte, wie einfach es für gewisse Leute ist, aus dem fernen Aarau über das Leben von für sie fremden Menschen aus dem Freiamt zu entscheiden. Und das Schlimmste dabei ist für viele: Genau diese Menschen zahlen letztlich auch noch deren Lohn.
Der Glaube an den Staat geht verloren
Und darum, liebe Vertreter von Verwaltungen und Behörden: Kommt bitte runter von eurem hohen Ross. Kehrt zurück zum gesunden Menschenverstand. Und seht die Bürger als Partner und nicht einfach nur als Störenfriede. Den Weiher beim Armenhaus bringt das auch nicht mehr zurück. Aber zumindest wieder den Glauben an den Staat.