Unverständnis im Freiamt
31.10.2023 Region Bremgarten, Region Wohlen, Region Oberfreiamt, Region Unterfreiamt«Überrascht und enttäuscht»
Leitende Gremien der Regionalpolizeien Wohlen, Bremgarten und Muri zum Wechsel zur Einheitspolizei
Jetzt ist klar: Der Regierungsrat ist für den Systemwechsel von der dualen Polizeiorganisation ...
«Überrascht und enttäuscht»
Leitende Gremien der Regionalpolizeien Wohlen, Bremgarten und Muri zum Wechsel zur Einheitspolizei
Jetzt ist klar: Der Regierungsrat ist für den Systemwechsel von der dualen Polizeiorganisation zur Einheitspolizei. Dieser Entscheid sorgt für Unmut bei den Repols im Freiamt.
Sabrina Salm
Der Regierungsrat schlägt dem Grossen Rat zur Sicherstellung der Zukunftsfähigkeit der Polizei im Kanton Aargau einen Systemwechsel zur Einheitspolizei vor. Dies teilte der Regierungsrat mit. «Die duale Polizeiorganisation war bisher richtig und sinnvoll. Doch die Weiterführung in der jetzigen Form ist mittel- und langfristig nicht mehr denkbar», heisst es in der Begründung. Eine nachhaltige Optimierung der dualen Polizeiorganisation würde derart tiefgreifende Massnahmen erfordern, dass sie dadurch faktisch ausgehebelt würde.
Dieser Ansicht sind die leitenden Gremien der Regionalpolizeien Wohlen, Bremgarten und Muri nicht. «Der Entscheid des Regierungsrats hat mich mehr als erstaunt», sagt Milly Stöckli als Vorsteherin des leitenden Ausschusses der Regionalpolizei Muri. Definitiv überrascht ist auch Denise Strasser, Gemeinderätin und politische Vertreterin Repol Wohlen, zur Befürwortung der Einheitspolizei: «Der Regierungsrat hatte im Entwurf des Anhörungsberichts noch die Beibehaltung und Optimierung der dualen Polizeiorganisation vorgeschlagen.»
Überrascht und enttäuscht zeigt sich auch Raymond Tellenbach, Behördenvertreter der Repol Bremgarten. «Regierungsrat Dieter Egli hat sich damit klar gegen seine Gemeinden und deren Einwohnerinnen und Einwohner gestellt.» Der Bremgarter Stadtammann könne sich nicht mit dem Entscheid anfreunden. Er ist überzeugt: «Ein einheitliches Polizeisystem wird sicher teurer.» Ausserdem habe sich das bewährte System von einer dualen Polizeiorganisation bewährt.
Auch Parteien und Vereinigungen haben sich zum Entscheid geäussert. Viele Parteien unterstützen den Wechsel zur Einheitspolizei. Die Gemeindeammänner-Vereinigung des Kantons Aargau (GAV) und die Konferenz der Regionalpolizeien des Kantons Aargau (Repol-Konferenz) nehmen hingegen enttäuscht Kenntnis des geplanten Systemwechsels.
Regierungsrat schlägt Wechsel zur Einheitspolizei vor – dieser Entscheid wird von den Gemeinden nicht gutgeheissen
Die leitenden Gremien der Regionalpolizeien Wohlen, Bremgarten und Muri sind sich einig: der Systemwechsel von einem dualen Polizeisystem zu einer Einheitspolizei ist der falsche Weg. Der plötzliche Sinneswandel des Regierungsrats kommt gar nicht gut an.
Sabrina Salm
Der Kanton Aargau verfügt seit dem Jahr 2007 über eine duale Polizeiorganisation: Die 15 Regionalpolizeien gewährleisten die lokale Sicherheit, deren Inhalte im Polizeidekret definiert sind. Die Kantonspolizei ist verantwortlich für die Kriminalpolizei, das Bedrohungsmanagement sowie die Sicherheits-, Verkehrs- und Verwaltungspolizei, sofern nicht die Regionalpolizeien zuständig sind. Jetzt soll dieses System umgekrempelt werden. Der Wechsel zur Einheitspolizei soll durch eine Zusammenführung der Kantonspolizei und der Regionalpolizeien erfolgen. Somit soll die Sicherheit im Kanton Aargau künftig von einer einzigen Polizei gewährleistet werden.
Ernsthafte Bedenken
Im Entwurf des Planungsberichts hatte der Regierungsrat die Beibehaltung und Optimierung der dualen Polizeiorganisation vorgeschlagen. «Dieser Vorschlag wurde in der Anhörung kontrovers diskutiert», heisst es in der Mitteilung des Regierungsrats. Gestützt auf die Rückmeldungen im Rahmen der Anhörung und aufgrund einer nochmaligen Überprüfung aller Vor- und Nachteile der beiden Optionen habe der Regierungsrat daher eine Neubeurteilung vorgenommen und schlägt neu einen Wechsel zu einer einzigen Polizeiorganisation im Kanton vor. «Die Neubeurteilung erfolgte insbesondere, weil der Regierungsrat ernsthafte Bedenken hat, dass die Zukunftsfähigkeit des dualen Systems angesichts der steigenden Herausforderungen und der Ressourcensituation mittelfristig noch gegeben ist.» Bisher sei die duale Polizeiorganisation richtig und sinnvoll gewesen. Doch eine Weiterführung dieses Systems «wäre in der jetzigen Form mittelund längerfristig nicht mehr denkbar». Eine nachhaltige Optimierung würde tiefgreifende Massnahmen erfordern, die faktisch das duale System aushebeln würden, so die Begründung weiter.
Mehr Vorteile des dualen Polizeisystems
Die plötzliche Kehrtwende des Regierungsrats sei überraschend und erstaune, sagen die Behördenvertreter der jeweiligen Regionalpolizeien im Freiamt Milly Stöckli (Muri), Denise Strasser (Wohlen) und Raymond Tellenbach (Bremgarten). «In der Vernehmlassung hat sich der Regierungsrat noch klar für die Weiterführung des dualen Systems ausgesprochen», sagt Milly Stöckli. Ebenso liessen die Gespräche und Diskussionen, die zuvor mit dem Kanton geführt wurden, auf die Beibehaltung und Optimierung der dualen Polizeiorganisation schliessen. «Mir sind keine wesentlichen neuen Fakten bekannt, warum sich der Regierungsrat nun doch umentschieden hat», so Muris Vizepräsidentin. Von den Vorteilen des «bewährten» Systems sind die leitenden Gremien der Regionalpolizeien Wohlen, Bremgarten und Muri nach wie vor überzeugt. «Die flächendeckende Präsenz und Sichtbarkeit der Regionalpolizei im ganzen Kanton ist sehr wirksam und effizient. Trotz der vergleichsweise tiefen Polizeidichte im Aargau fühlt sich die Bevölkerung erwiesenermassen sicher», führt Denise Strasser aus. «Die Regionalpolizisten kennen die spezifischen Sicherheitsanforderungen in den verschiedenen Regionen, dazu kommt die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit anderen Blaulichtorganisationen.»
Lokale Sicherheit, hohe Kosten und Personalprobleme
Der Wechsel zur Einheitspolizei soll durch eine Zusammenführung der Kantonspolizei und der 15 Regionalpolizeien erfolgen. Für den Regierungsrat ist dabei entscheidend, dass die Bedürfnisse der Gemeinden und der Angehörigen der Regionalpolizeien bestmöglich berücksichtigt werden. So sollen die Standorte der Regionalpolizeien übernommen werden. Den Bürgerinnen und Bürgern sowie den Gemeindebehörden soll die gleiche Anzahl polizeilicher Anlaufstellen zur Verfügung stehen, wie dies derzeit bereits im dualen System der Fall ist. Ausserdem soll sich für die Bürgerinnen und Bürger hinsichtlich der polizeilichen Leistungen im Bereich der lokalen Sicherheit nichts ändern. Und es heisst weiter: «Allen Angehörigen der Regionalpolizeien soll eine Stelle in der neuen Polizeiorganisation angeboten werden.»
Mit diesen Aussagen des Regierungsrats kann der Bremgarter Stadtammann Raymond Tellenbach nicht viel anfangen. «Das Personalproblem der Kapo wird dadurch nur noch verschärft, viele Regionalpolizisten werden nicht zur Kapo gehen, sondern beispielsweise nach Zürich, wo sie erst noch mehr verdienen», findet er. Ergo werde der Kapo bei einem Zusammenschluss viel Personal fehlen. «Und dadurch wird die Dienstleistung zur Sicherheit vor Ort abgebaut.»
Der Ball liegt nun beim Grossen Rat
Die Nachteile einer Einheitspolizei seien zu gross, finden die drei Behördenvertreter. «Die Gemeinden werden die heute aufgebauten Synergien und Aufgabenfelder, welche heute die Regionalpolizeien übernehmen und auch bei einer Einheitspolizei Aufgaben der Gemeinden bleiben, neu aufbauen müssen, was die Gemeinden teuer zu finanzieren haben», sagt Milly Stöckli. Fusionen hätten schon immer mehr Bürokratie produziert, werden träger und kosten mehr als prognostiziert. «Warum das nun bei einer Einheitspolizei anders sein soll, entbehrt jeder Logik.»
Anfreunden mit einer Einheitspolizei kann sich Tellenbach nicht. «Ein einheitliches Polizeisystem wird sicher teurer – da kann der Regierungsrat sagen, was er will, das stimmt einfach nicht.» Die kommenden politischen Entscheidungen werde die Regionalpolizei Wohlen respektieren. «Sollte der politische Wille der Wechsel zur Einheitspolizei sein, werden wir entschlossen, konstruktiv und kooperativ an der Umsetzung dieser neuen Richtung mitwirken», sagt Gemeinderätin Denise Strasser.
«Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen», teilt Milly Stöckli mit. Es ist vorgesehen, dass der Grosse Rat den Planungsbericht im ersten Quartal 2024 beraten und dabei die fünf Leitsätze für die Weiterentwicklung der Polizeiorganisation und der Polizeibestände im Kanton Aargau beschliessen wird. «Schlussendlich wird es möglicherweise zu einer Volksabstimmung kommen», so Stöckli weiter. «Ich werde mich weiterhin dafür einsetzen, ein kostengünstiges und bewährtes System beizubehalten zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger.»
Erhöhung der Polizeibestände
Die Systemänderung beinhaltet auch eine Erhöhung der Polizeibestände. Die Entwicklung der Polizeibestände im Kanton Aargau hat sich in den letzten Jahren an der Verhältniszahl von einer Polizistin oder einem Polizisten pro 700 Einwohnerinnen und Einwohner orientiert, wie dies im Polizeigesetz vorgeschrieben ist. Damit weist der Kanton Aargau im interkantonalen Vergleich die deutlich geringste Polizeidichte auf. Aus Sicht des Regierungsrats reicht der Bestand vor allem angesichts neuer Kriminalitätsformen nicht aus, um die Sicherheit im Kanton längerfristig zu gewähren und auch überregionale Notfallereignisse und Krisensituationen zu bewältigen. Der Regierungsrat schlägt zwei Leitsätze vor, um unabhängig von der zukünftigen Polizeiorganisation den Bestand an Polizeikräften deutlich aufstocken zu können. --pd
«Führung aus einer Hand macht Sinn»
Die meisten Parteien stimmen einem Systemwechsel zu
«Die GLP Aargau nimmt erfreut zur Kenntnis, dass der Regierungsrat von seinem anfänglichen Festhalten am dualen System abrückt», schreibt die kantonale Partei in ihrer Mitteilung. Die GLP hatte bereits 2021 die Einführung einer Einheitspolizei gefordert. «Das jetzige duale System mit Regional- und Kantonspolizei stösst insbesondere bei komplexeren Fällen zusehends an seine Grenzen.» Des Weiteren bestehen Schnittstellenprobleme sowie Doppelspurigkeiten. Wichtig ist den Grünliberalen, dass das heutige Sicherheitsniveau und insbesondere die Polizeidichte in der Fläche erhalten bleibt.
Die SVP Aargau beurteilt die Ausgangslage gleich wie der Regierungsrat und ist der Meinung, dass den zunehmenden Herausforderungen im Bereich Sicherheit nur durch eine Polizeiorganisation mit Führung aus einer Hand ausreichend begegnet werden kann. «Die SVP begrüsst daher auch die Absicht, allen Mitarbeitern der Regionalpolizeien in der neuen Organisation eine Stelle anzubieten.» Die Absicht des Regierungsrates, den Polizeibestand auszubauen, nimmt die SVP zur Kenntnis und äussert sich zu dieser Frage, sobald die relevanten Fakten vorliegen.
«Der Regierungsrat bekennt sich endlich klar und mutig zu einer Polizei für den Aargau und macht damit Schluss mit dem föderalistischen Gewusel», findet die SP Aargau. Zudem bleibt die willkürliche Verhältniszahl von 1:700 nicht unantastbar. Das sei gut. Die Polizeiorganisation könne mit einer Einheitspolizei professionell, schlank und agil in die Zukunft gehen. Eine Organisation macht den Weg frei, verschiedene Themen effizient und einheitlich anzugehen.
Wichtig ist, so der EVP-Sicherheitspolitiker Lutz Fischer, «dass die Nähe zur Bevölkerung beibehalten wird». Ist dies der Fall, spricht nichts gegen eine Fusion der Kantonspolizei Aargau mit den bestehenden Regionalpolizeien zu einer Polizei Aargau. «Mit einer Organisation wird die Polizei flexibler und schlagkräftiger», so Fischer. Die EVP unterstützt deshalb den Wechsel zur Einheitspolizei, wie ihn der Regierungsrat im Planungsbericht zur Weiterentwicklung der Polizeiorganisation und der Polizeibestände im Kanton Aargau vorsieht.
Dass der Regierungsrat nun klar Stellung bezieht, begrüsse die FDP Aargau. Wichtig sei, egal in welcher Struktur, dass die Sicherheit der Bevölkerung gewährleistet ist.
Kritisch hinterfragen
Die Mitte Aargau äussert sich hingegen kritisch. «Nun äussert die Aargauer Regierung überraschend Bedenken, dass die Zukunftsfähigkeit des dualen Systems angesichts der steigenden Herausforderungen und der Ressourcensituation längerfristig gegeben ist», obwohl dies im ersten Entwurf des Planungsberichtes noch anders war. Die Mitte Aargau sei sich bewusst, dass die knappen Polizeibestände sowie die sich verändernde Polizeiarbeit einen optimalen Einsatz aller verfügbaren Mittel benötigen, um eine umfassende Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten. «Die weitere Entwicklung der Polizeiorganisation wird Die Mitte Aargau weiterhin kritisch hinterfragen.» Und sie werde die Bedürfnisse der Gemeinden und der Randregionen in der Beurteilung entsprechend gewichten. --sab
«Heutiges System hat sehr wohl eine Zukunft»
Stellungnahme der GAV und Repol-Konferenz
Die Gemeindeammänner-Vereinigung (GAV) und die Konferenz der Regionalpolizeien des Kantons Aargau (Repol-Konferenz) verfassten eine gemeinsame Stellungnahme. In der GAV sind die Aargauer Gemeinden vertreten, die Repol-Konferenz vertritt die Interessen der 15 Regionalpolizeien auf politischer Ebene. Die beiden Organisationen hätten von der Botschaft und dem Planungsbericht enttäuscht Kenntnis genommen.
An der Ausgangslage habe sich innert Jahresfrist aus ihrer Sicht nichts geändert. «Bei der Anhörung hat sich der Grossteil der daran teilnehmenden Gemeinden für die Beibehaltung und Optimierung des dualen Systems ausgesprochen. Eine Abkehr davon wäre deshalb nicht gerechtfertigt.» Der Koordinationsaufwand für die beiden Polizeiorganisationen ist unbestritten ein Nachteil des dualen Systems. Aber: «Ein Systemwechsel löst die Abgrenzungsprobleme nicht. Bestehende Schnittstellen würden nur verschoben statt aufgehoben.» Gewisse sogenannte verwaltungspolizeiliche Aufgaben würden von der Kantonspolizei nämlich gar nicht übernommen, sondern müssten von den Gemeinden erfüllt werden. Die GAV und die Repol-Konferenz machen darauf aufmerksam, dass der damit verbundene Aufwand nicht zu unterschätzen sei. «In den Gemeinden entstünden Mehrkosten.»
In der aktuellen Fassung des Planungsberichts ebenfalls nicht mehr erwähnt werde die Tatsache, dass die Gemeinden bei einer Einheitspolizei weniger zu sagen hätten. Die Mitsprache, wie die ortsspezifischen Sicherheitsbedürfnisse befriedigt werden sollen, entfällt.
Unter anderem wegen der personellen Unterbestände sei die «Zukunftsfähigkeit» der dualen Polizeiorganisation nicht mehr gegeben, meint der Regierungsrat. «Die GAV und die Repol-Konferenz werden zu dieser Einschätzung in Kürze separat Stellung nehmen und aufzeigen, mit welchen Verbesserungen das heutige System sehr wohl eine Zukunft hat.» --sab