Uneinsichtig, rechthaberisch
29.11.2022 Wohlen, LeserbriefeDreimal haben der Gemeinderat mit seiner Verwaltung und die Führung des Einwohnerrates Niederlagen einstecken müssen. Die Klage des Gemeinderats gegen den «Wohler Anzeiger» beim Presserat wurde in allen Punkten abgewiesen. Der Beschluss des Büros des Einwohnerrates, ...
Dreimal haben der Gemeinderat mit seiner Verwaltung und die Führung des Einwohnerrates Niederlagen einstecken müssen. Die Klage des Gemeinderats gegen den «Wohler Anzeiger» beim Presserat wurde in allen Punkten abgewiesen. Der Beschluss des Büros des Einwohnerrates, unterstützt von Verwaltung und Gemeinderat, die Motion der Mitte Wohlen bezüglich Stimmenauszählung bei den Gemeinderatswahlen nicht dem Einwohnerrat zuzustellen, wurde von Aarau zu zwei Malen korrigiert. So weit, so gut; unsere Institutionen funktionieren.
Fehler können passieren, Fehler kann man korrigieren, Fehler kann man einsehen, für Fehler kann man sich entschuldigen. Aber was mich massiv ärgert: diese Fehlerkultur kennt man im Gemeindehaus in diesen Fällen nicht.
Statt dass man sich bei der Presse nach dem Urteil des Presserates, den man selber angerufen hat, für die haltlosen Vorwürfe entschuldigt, wiederholt sie der Gemeinderat. Auch bei den Entscheiden von Aarau fühlt er sich mehrheitlich noch immer im Recht. Er ist: siehe Titel.
Es ist das demokratische Recht der Wählerschaft und der zur Wahl Vorgeschlagenen, dass man erfährt, wie viele Stimmen welche Kandidatin, welcher Kandidat erhalten hat. Daraus lassen sich persönliche und politische Schlüsse ziehen. Und bisher hat man diese relevanten Ergebnisse immer erfahren; es ist seit jeher und in den allermeisten Gemeinden so üblich, egal ob von Hand oder mit Computerhilfe ausgezählt wird. Die Motion der Mitte ist gültig, aber der Gemeinderat lehnt sie weiter ab und begründet dies ausführlich und spitzfindig. In Wohlen sei das eben kompliziert, man müsste zum Beispiel «aufwändig und kostspielig die Gemeindeordnung revidieren» (bisher wurden detaillierte Resultate veröffentlicht, ohne dass es in der Gemeindeordnung steht) und «weil die Praktikabilität für das Wahlbüro (mit 23 Personen) nicht gegeben und die Norm mit vertretbarem Aufwand in der Praxis kaum umsetzbar wäre». (Aha, aber bei Hunderten von Kandidaturen für Nationalrat, Grossen Rat und Einwohnerrat ist es möglich.)
Als Begründung wird auch angeführt (Antwort auf Anfrage der FDP), dass sich bei den «Nebenwahlen» (Gemeindeammann wird in einer Nebenwahl gewählt!) die vereinzelten Stimmen nicht auf andere Stimmberechtigte (richtig wäre Wahlberechtigte) konzentriert hätten. Das ist eine faule Ausrede. Möglicherweise trifft dies auf die 453 Stimmen bei den Gemeinderatswahlen zu, aber wir wissen es nicht. Hingegen sind für den Gemeindeammann und den Vizeammann nur die 5 gewählten Gemeinderätinnen und Gemeinderäte wählbar. Die 1001 vereinzelt gültigen Stimmen bei der Gemeindeammannwahl verteilen sich also auf nur vier weitere Gemeinderatsmitglieder, die 483 bei der Kampfwahl zum Vizeammann gar auf nur drei. Hier kann wahrlich von bedeutenden Stimmenzahlen im dreistelligen Bereich für die nicht offiziell Kandidierenden ausgegangen werden. Wer diese Stimmen erhalten hat, interessiert die Stimmbürgerschaft und die Beteiligten. Dass die Wahlzettel vernichtet wurden, während politische Verfahren zur Stimmenauszählung laufen, ist auch eigenartig.
Kehren wir nächstes Mal zurück zu einer klaren und demokratisch transparenten Protokollierung der Wahlen. Die unnötig gewesene Änderung der bewährten Praxis hat viel Ärger, Zeit und Steuergelder, vor allem auch Vertrauen gekostet; und dies ärgert mich.
Zum Schluss noch ein neckischer Blick zurück. Bei der Ersatzwahl für den verstorbenen Gemeinderat Toni Schürmann im November 2012 erhielten im ersten Wahlgang vier Kandidaten (Gfeller, Degischer, Gsell, Erb) je knapp oder über 500 Stimmen und verfehlten das absolute Mehr. Der nicht kandidierende Arsène Perroud erhielt 155 Stimmen. Man weiss dies nur, weil sein Name im Wahlprotokoll aufgeführt wurde und nicht im Sammelposten «vereinzelte gültige Stimmen» unterging. Dieses Resultat führte zu seiner offiziellen Kandidatur im zweiten Wahlgang, den er gewann.
Franz Wille, ehemaliger Einwohnerrat, Wohlen