Schaurig-schöne Winterführung
26.01.2024 Waltenschwil, Region OberfreiamtRuth Blaser hat auf dem Sagenweg allerlei Grusliges zu erzählen gewusst
Gift und Hexen, Mord und Totschlag – die kulturhistorische Winterführung in Waltenschwil war nichts für zarte Gemüter. Damit einem das Blut nicht in den Adern gefrieren ...
Ruth Blaser hat auf dem Sagenweg allerlei Grusliges zu erzählen gewusst
Gift und Hexen, Mord und Totschlag – die kulturhistorische Winterführung in Waltenschwil war nichts für zarte Gemüter. Damit einem das Blut nicht in den Adern gefrieren konnte, wurde wärmender Glühmost ausgeschenkt.
Thomas Stöckli
Schön sei er ja immer, der Sagenweg in Waltenschwil, sagt Karin Renner, Leiterin des Betreuerteams, das auf dem Themenweg unter anderem für die öffentlichen Anlässe zuständig ist. «Aber im Winter ganz besonders», schiebt sie nach. «Schaurig-schön», könnte man ergänzen, nach der Winterführung durch Erzählerin Ruth Blaser. Trotz Kälte haben gegen 70 Interessierte – Gross und Klein, Jung und Alt – an den traditionellen Anlass gefunden. «Ich habe mir noch Sorgen gemacht, ob bei der Kälte überhaupt jemand kommen würde», sollte Karin Renner unterwegs verraten.
Gemeinsam stapften alle durch den unter den Schuhen knirschenden Schnee, genossen die vereinzelten wärmenden Sonnenstrahlen, die das winterlich gelichtete Walddach durchliess, und fröstelten, wenn ihnen der Schnee von den Ästen in Form von glitzernden Kristallen ins Gesicht rieselte.
Beängstigende Dunkelheit
Für manchen Schauer sorgten auch die Erzählungen von Ruth Blaser, die sich mit ihren kulturhistorischen Führungen vor allem im Raum Wettingen und Baden einen Namen gemacht hat. Viele ihrer Geschichten spielen in der «kleinen Eiszeit» von Anfang des 15. Jahrhunderts bis in das 19. Jahrhundert hinein. Einer Zeit, in der die Menschen darben mussten und entsprechend empfänglich waren für allerlei Aberglauben. Einer Zeit auch, in der das Kürzerwerden der Tage gegen die Wintersonnenwende für besonders viel Ängste gesorgt haben dürfte. Was, wenn es gar nicht mehr heller werden sollte? Von diesen Sorgen zeugen die Geschichten um die Raunächte über den Jahreswechsel, in denen es Geisterwesen zurück in die Unterwelt zu treiben galt – und die noch in manch regionalem Brauchtum, etwa dem «Geiselchlöpfe», mitschwingen.
Beim Hexentopf von Steinmetz Roman Sonderegger zur Sage der Waltenschwiler Hexe erzählte Ruth Blaser vom Efeu, das einerseits eng mit Elfengeschichten verbunden wird, andererseits als immergrüne Pflanze das ewige Leben symbolisiert. Aber auch von allerlei Giftstoffen aus der Natur, von Eisenhut, das aus dem Geifer des altgriechischen Höllenhunds Cerberus spriesst. Oder von Alraunen, deren körpergleich anmutende, magische Wurzel kaum jemand zu ernten getraute – und die es als Narkosemittel sorgfältig zu dosieren galt.
Die Installation von Alex Schaufelbühl zur Murianer «Stifeliryter»-Sage erinnerte die Erzählerin nach dem Motto «Hochmut kommt vor dem Fall» an das tragische Schicksal von König Albrecht, der einst bei Königsfelden von seinem Neffen, den er verhöhnt hatte, auf dem Pferd hinterrücks erstochen wurde. Danach soll dieser Albrecht wiederholt als Schwarzer Reiter über Baden gesichtet worden sein, bevor sich dort Unheil ereignete. Beim «Zwerg von Muri», von Plastikerin Silja Coutsicos mit bunten Mosaikstein-Mustern in Szene gesetzt, kam Ruth Blaser auf den Wettinger Klosterschatz zu sprechen, den zu verstecken einst ein Maurer mit verbundenen Augen den Auftrag hatte. Der Schatz wurde immer noch nicht gefunden, schliesslich halten unweit verschiedene Geister Wache – blauer Rauch und Rasseln inklusive.
Wertvolle Momente des Staunens
«Geister gibt es nicht», machte sich darauf ein kleiner Junge bemerkbar, vielleicht auch, um sich selber Mut zu machen. Die Stimmung lockerte er dadurch nur kurz auf. Schon am nächsten Posten, bei den «drei Angelsachsen», drei je vier Meter hohen Gestalten, die ihren abgeschlagenen Kopf in den Händen halten, von Samuel Ernst aus Robinienholz gearbeitet, geht es weiter mit den Schauergeschichten, diesmal von Geköpften, die sich auf eigenen Beinen vom Schafott entfernten, und von Kindern, die mit den besten Absichten an den Beinen im Wald aufgehängt wurden. Und schliesslich, unmittelbar vor dem «Tanzplatz von Zufikon», von Frauen, die in der Schweiz als Hexen verbrannt wurden. Wobei sich glücklich schätzen durfte, wer die «Gnade» erfuhr, vor dem Verbrennen geköpft zu werden.
Im Kreis des von Pat Stacey kreierten Hexen-Tanzkreises hatte das Sagenweg-Betreuerteam bereits heissen Glühmost vorbereitet. Und so entliess Ruth Blaser ihr Publikum in den Apéro. «Bevor euch das Blut in den Adern gefriert», beeilte sie sich noch zu sagen, ehe sie einen warmen Applaus entgegennehmen durfte für die wertvollen Momente des Staunens, die sie ihren Zuhörerinnen und Zuhörern in den vergangenen anderthalb Stunden beschert hatte.