«Niemand ist gefeit davor»
27.09.2024 Region Unterfreiamt, VillmergenAbendstunde im Alterszentrum Obere Mühle zum Thema «Depression im Alter»
Fünf Fachleute beleuchteten verschiedene Aspekte der ebenso vielschichtigen wie verbreiteten Krankheit, die insbesondere für Angehörige der Betroffenen oftmals grosse ...
Abendstunde im Alterszentrum Obere Mühle zum Thema «Depression im Alter»
Fünf Fachleute beleuchteten verschiedene Aspekte der ebenso vielschichtigen wie verbreiteten Krankheit, die insbesondere für Angehörige der Betroffenen oftmals grosse Herausforderungen mit sich bringt.
Patrick Fischer
Rund 50 interessierte Besucherinnen und Besucher durfte Zentrumsleiter Walter Cassina begrüssen. Sie erfuhren in knapp zwei Stunden geballter Information viel Wissenswertes über die Depression als Krankheit, welche Massnahmen präventiv helfen können und worauf es im Umgang mit Betroffenen ankommt. Vorab – eine Depression kann jeden treffen, unabhängig von Alter, Geschlecht oder Konstitution. Mit dieser deutlichen Aussage startete Samer Schleusener seinen Vortrag.
Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie an der PDAG zeigte anhand verschiedener Grafiken auf, dass die am stärksten betroffene Altersgruppe erstaunlicherweise die Jugendlichen sind. «Aber auch bei den über 65-Jährigen steigt die Wahrscheinlichkeit nochmals stark an», führte er weiter aus. Gut drei Prozent bei den Männern und etwas mehr als vier Prozent bei den Frauen – so viele Menschen im Pensionsalter leiden gemäss Studien schweizweit an einer schweren Depression. Im Alter zeichnet sich die Krankheit insbesondere durch eine höhere Gereiztheit und eine ausgeprägt depressive Denkweise der Betroffenen aus, zusätzlich kommen bei der Altersdepression häufig noch körperliche Beschwerden dazu. «Diese Überlagerung erschwert oftmals eine frühzeitige Diagnose», erklärt Schleusener und meint zu den Ursachen: «Wenn der Verlust von Bezugspersonen, Einsamkeit oder Gebrechlichkeit, somatische Krankheiten oder eine Demenz eintreten, ist besondere Achtsamkeit geboten. Wenn die depressiven Symptome mindestens zwei Wochen anhalten, sollte auf jeden Fall ein Arzt konsultiert werden.»
Verständnisvolles Umfeld ist wichtig
Nicht jede schlechte Stimmung ist also gleich eine Depression, und nicht jede Depression eine schwere. Und so unterschiedlich wie die Krankheit selbst sind auch die Behandlungsmethoden. Während bei einer leichten Depression häufig eine reine Psychotherapie zum Erfolg führt, kommen bei schwererer Ausprägung fast immer Medikamente zum Einsatz, allenfalls ergänzt durch Elemente der Psychotherapie. Ausserhalb der Behandlung ist es besonders wichtig, dass Betroffene auf ein verständnisvolles Umfeld treffen und angemessene Tätigkeitsgebiete haben, die sie auf ihrem Weg aus der Depression unterstützen. Die vielfältigen Möglichkeiten, die im Alterszentrum Obere Mühle angeboten werden, wurden von Brankica Dubravac vorgestellt.
Die Pflegeleiterin des Hauses stellte klar, dass es das Wichtigste sei, die Depression überhaupt als solche zu erkennen. Denn die angesprochene Überlagerung ist bei Bewohnern eines Altersheims natürlich besonders ausgeprägt. «Durch Gespräche mit Klienten und Angehörigen sowie einer engen Zusammenarbeit mit den Hausärzten versuchen wir, Erkrankungen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. Mit der Förderung einer klaren Alltagsstruktur geben wir unseren Bewohnerinnen und Bewohnern zusätzlich Halt sowie die Möglichkeit, sich einzubringen», erklärt Dubravac das Inhouse-Konzept. Daneben wird für die Bewohner ein tägliches Bewegungsprogramm angeboten, genauso wie kreative Workshops oder das Erlernen von Entspannungs- und Meditationstechniken.
Spitex ist aufmerksam bei ihren Besuchen
Etwas anders ist die Situation, wenn Betroffene in ihren eigenen vier Wänden wohnen. Dort sind dann Institutionen wie die Spitex oder das Rote Kreuz gefragt, um die an einer Altersdepression erkrankten Menschen zu unterstützen. Christine Kasper Frei, die Geschäftsleiterin der Spitex Freiamt mit Sitz in Wohlen, gab einen interessanten Einblick in den Alltag der ambulanten Versorgung. Nur punktuell sei man im Gegensatz zum Pflegeheim bei den Klienten, eine Diagnose sei daher noch schwieriger. «Häufig beginnt es ganz harmlos mit einem Hauswirtschaftseinsatz, wenn Betroffene es nicht mehr schaffen, den Haushalt selbstständig in Ordnung zu halten», erzählt sie. Dann sei es wichtig, genau hinzuschauen und das Gespräch zu suchen. «Unsere Mitarbeiter sind darauf sensibilisiert, tauschen sich untereinander aus und unterstützen bei Bedarf auch die Angehörigen bei den nächsten Schritten», führt Kasper Frei weiter aus.
Seit Kurzem sei die Spitex jetzt auch 24 Stunden erreichbar, und der neu eingeführte Notruf komme bei den Klienten sehr gut an. Um in den Genuss der ambulanten Psychiatrie zu kommen, erfolgt nach der Diagnose wie immer bei der Spitex eine Bedarfsabklärung, die den genauen Umfang der Unterstützung definiert. Auch das Rote Kreuz kann in solchen Situationen beigezogen werden, «insbesondere mit dem Angebot des Entlastungsdienstes für pflegende Angehörige», wie Sonja Nauer vom SRK Aargau in ihrem Referat betont. Oft seien pflegende Angehörige 24/7 «im Dienst», hätten kaum mehr Zeit für ihre eigenen Bedürfnisse und liefen daher selbst Gefahr, krank zu werden. Auch mit dem Besuchsund Begleitdienst unterstützt das Rote Kreuz das Umfeld, sofern nur wenig soziale Kontakte vorhanden sind.
Selbsthilfegruppen beitreten
Und die Betroffenen selbst? Was hilft, wenn die Depression alles schwer macht, der Antrieb fehlt und man kein Licht am Ende des Tunnels sieht? «Selbsthilfegruppen», ist Markus Zwicky überzeugt, «ins Gespräch kommen und sich austauschen.» Er ist Präsident von Equilibrium, einem Verein zur Bewältigung von Depressionen. «Es ist ganz wichtig, dass die Betroffenen komplett ohne Druck über ihre Befindlichkeiten reden können. Am besten mit Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben», betont Zwicky.
Die Selbsthilfegruppe ist als Ergänzung zur Betreuung durch Angehörige gedacht, soll diese auch ein Stück weit entlasten und den Selbstwert der Betroffenen steigern. «Offen über seine Befindlichkeit zu reden und zu hören, wie andere mit ähnlichen Symptomen umgehen, ist ein wichtiger Schritt zurück ins Licht», sagt Zwicky weiter und fordert alle Anwesenden auf, ebenfalls Vereinsmitglied zu werden, damit überall solche Selbsthilfegruppen entstehen können. Eine schöne Idee – denn jeder und jede könnte dereinst von einer Depression betroffen sein.