Mit internationaler Strahlkraft
23.12.2025 Kelleramt, Natur, Arbeit, LandwirtschaftDer letzte lebende Verantwortliche der Reusstalsanierung mit Flachsee, Richard Mauer, erinnert sich 50 Jahre zurück
Richard Mauer erzählt von der Entstehung des Flachsees. Er spricht über die Abwägungen zwischen landwirtschaftlichen Anliegen und dem ...
Der letzte lebende Verantwortliche der Reusstalsanierung mit Flachsee, Richard Mauer, erinnert sich 50 Jahre zurück
Richard Mauer erzählt von der Entstehung des Flachsees. Er spricht über die Abwägungen zwischen landwirtschaftlichen Anliegen und dem Naturschutz. Er erinnert auch daran, warum das Projekt an der europäischen Umweltkonferenz 1979 von internationalem Interesse war. Und warum Bundesrat Hans Hürlimann in den strömenden Regen musste.
Verena Anna Wigger
Richard Maurer stammt aus Holderbank, wohnt heute in Weggis. Er ist einer der letzten lebenden Mitwirkenden bei der Realisation des Flachsees und der damit verbundenen Reusstal-Melioration, die vor 50 Jahren die Menschen im Freiämter Reusstal bewegte. Denn der Flachsee entstammt einer energiepolitischen Diskussion. In dieser Zeit wurden im Kanton Aargau Spitäler und Schulen gebaut. Darum sah der Regierungsrat eigentlich keine Kapazität für das Projekt. Kurzerhand wies der Regierungsrat das Projektteam an, es solle alle Beschlüsse einstimmig fällen. Biologe Maurer, der damals erst kurz beim Kanton arbeitete, wurde für die Projektleitung Naturund Landschaftsschutz eingesetzt. Damit das Team, bestehend aus vier Personen, auch rechtskräftig war, wurde für das Reusstal-Sanierungsprojekt ein eigenes Departement geschaffen.
Dies war die Ausgangslage für die vier Männer. «Wir haben jeweils so lange nach Alternativen gesucht, bis ein Kompromiss möglich war», sagt er. So musste kein einziger Beschluss an die Regierung überwiesen werden.
Kommunikation auf Augenhöhe
Entscheidend sei nicht nur die Kommunikation innerhalb der Projektleitung gewesen. Denn die Detailplanung habe auch viel Kommunikation mit Aussenbeziehungen bedeutet. Ingenieur-Aufträge wurden vergeben, aber auch landwirtschaftliche Studien angefertigt. Dazu mussten alle Gemeinden mit einbezogen werden, erinnert sich Maurer. Es habe eine sogenannte «Klagemauer» gegeben. Da haben regelmässige Sitzungen mit allen Bodenverbesserungsgenossenschaften stattgefunden. Kurt Schmid, der ehemalige Chef des Murimoos, leitete diese Sitzungen. Maurer erinnert sich: «Er hat das souverän gemacht.» Denn auch mit dem Schätzungskomitee mussten landwirtschaftliche Werte eingeschätzt und erfasst werden. Da habe es auch heftigere Einsprachen gegeben, doch Schmid wusste diese abzufangen und zu klären, dies ist Maurer immer noch präsent. Er habe eine gute Art gehabt, diese Emotionen abzuholen, und sei den Bauern und Vertretern der Gemeinden menschlich auf Augenhöhe begegnet.
Interessen abwägen und gewichten
Dies habe sich auch beim neun Hektar grossen Waldstück, welches dem Flachsee zum Opfer fiel, gezeigt. So musste eine Monokultur von Fichten auf dem Gebiet der Gemeinde Unterlunkhofen gerodet werden. Dies führte zu einer Beschwerde vor Bundesgericht durch die Gemeinde Unterlunkhofen. Das Gericht musste abwägen, welche Interessen höher zu gewichten seien. So erging es auch der Jagdgesellschaft, welche in diesem Gebiet eine Berechtigung hatte, Enten abzuschiessen. Hier musste der Regierungsrat eine Interessenabwägung treffen und es wurde eine provisorische Schutzverordnung erlassen, da man dem Naturschutz und dem Projekt den Vorrang gab.
Ein anderer wesentlicher Punkt, der beurteilt werden musste, war die Brücke in Rottenschwil. Schon damals kamen Interessen verkehrspolitischer Natur bezüglich der Brücke zur Sprache. Die einen wollten, dass sie abgerissen und einer zweispurigen neuen Brücke weichen sollte. «Dies sollte der Entwicklung des Reusstals übergeordnet werden», sagt Maurer. Zürcher Interessenten hatten die Idee, mit einer guten Verbindung von Zürich möglichst schnell nach Muri zu kommen. Doch entsprach das Projektteam diesen Interessen nicht. Es wollte die Brücke beibehalten und so eine «natürliche» Verkehrsberuhigungsmassnahme einsetzten – und dem Freiamt die Möglichkeit geben, sich selbst zu entwickeln.
Schönwetteroder Regenvariante
Die ganze Arbeit sei ein Zusammenspiel gewesen, bei dem es darum ging, alle Parteien abzuholen und im Gespräch zu bleiben. Dies war im Jahr 1979, als die 3. Europäische Umweltkonferenz in Bern stattfand. Damals seien 21 europäische Umweltminister nach Bern gekommen. Zusammen habe man die Berner Konventionen verabschiedet. Als Fallbeispiel wurde das Reusstal-Projekt verwendet. Dies nicht wegen der einzelnen Komponenten des Projekts, sondern wegen der Zusammenarbeit. Maurer erinnert sich daran, dass es damals «als Modell für Kooperation» dargestellt wurde. «Mit intensiven Diskussionen wurden gemeinsam Lösungen gefunden.»
Die Delegation sollte das Projekt besichtigen, erzählt er. Das Wetter war wunderschön, bis genau zum Tag der Anreise. Bei schönem Wetter wollte man auf dem «Kapf» in Althäusern, die Minister empfangen und ihnen mittels Ausblicks das Projekt näherbringen. Die Delegation war in drei Cars unterwegs von Bern ins Freiamt. Maurer hat in dieser Zeit viel mit der Schweizerischen Meteorologischen Anstalt telefoniert, erinnert er sich. Dort habe er die Auskunft erhalten: «Die Regenfront kommt am Nachmittag, aber wir wissen nicht wann.» So entschied sich Maurer für das Schlechtwetterprogramm. Das bedeutete, dass die Gäste auf dem Waffenplatz in Bremgarten dreisprachig empfangen wurden. Bei schönstem Wetter wurden sie in die Räume begleitet. Maurer bleibt in Erinnerung, wie ihn Regierungsrat Kurt Lareida beschimpfte. Da er aus Sicht des Regierungsrates die falsche Wahl getroffen hatte.
Als sie anderthalb Stunden später aus dem Gebäude kamen, um auf Exkursion zu gehen, habe es strömend geregnet. So bewegte sich der Tross mit den Umweltministern und der Presse in den drei Cars durch die Reuss-Ebene. Beim Zieglerhaus in Rottenschwil wollte das Schweizer Fernsehen ein Interview mit Bundesrat Hans Hürlimann drehen. Da es anhaltend regnete, musste der Magistrat laut Richard Maurer genötigt werden, das gewünschte Interview unter einem Schirm zu geben.
Mit heutigem Blick auf das Reusstal
Die dauerhafte Erhaltung der Reussebene mit Bauverbot sieht Maurer auch heute noch als einen der wichtigen Aspekte für den Erhalt der Kulturlandschaft der Reussebene. Er zieht dazu den Vergleich mit dem Limmattal, dem Bünztal oder dem Wiggertal, die heute alle überbaut sind. Dazu ist für ihn der Hochwasserschutz inklusive der Stauhaltung der Reuss für das Projekt Flachsee und die Feuchtgebiete der nördlichen Ebene wichtig. «Dies bietet die Sicherung für seltene und gefährdete Lebensräume für Pflanzen- und Tierarten», sagt der Biologe. Dazu handle es sich um eine beispielhafte Auseinandersetzung und Lösung der vielfältigen Konfliktsituationen zwischen Landwirtschaft, Naturschutz, Hochwasserschutz, den Gemeinden und weiteren Interessenvertretern. Und nicht zuletzt habe das Projekt auch verbesserte Arbeits- und Produktionsbedingungen für die Landwirtschaft gebracht.
Was sich aktuell als Herausforderung zeigt, ist die Erholungsplanung. Die habe sich jedoch bewährt. Mit der Nähe zu Agglomerationen habe die Belastung der Reusslandschaft erheblich zugenommen, trotz flankierender Massnahmen wie Information und Aufsicht, weiss der engagierte Biologe. «Zudem kann der Klimawandel zu Überraschungen führen», sagt er und erinnert daran, dass 2005 die Dämme in Werd beim Hochwasser 25 Zentimeter überströmt wurden, «obwohl alle technischen Anlagen auf ein 10 000-jährliches Hochwasser ausgelegt waren», sagt Richard Mauer.

