Kleines Stück Heimat
18.07.2025 Region Unterfreiamt, DottikonDer «Generalanzeiger», das amtliche Publikationsorgan von Dottikon, feiert das 100-Jahr-Jubiläum
Er gehört wohl zu den kleinsten Zeitungen der Schweiz. Und doch konnte sich der Dottiker «Generalanzeiger» 100 Jahre halten. Sogar 101, denn das ...
Der «Generalanzeiger», das amtliche Publikationsorgan von Dottikon, feiert das 100-Jahr-Jubiläum
Er gehört wohl zu den kleinsten Zeitungen der Schweiz. Und doch konnte sich der Dottiker «Generalanzeiger» 100 Jahre halten. Sogar 101, denn das Jubiläum wird ein Jahr zu spät gefeiert. Wie lange es das Blatt noch gibt, «das wissen nur die Götter», so Verleger Marco Saxer.
Chregi Hansen
Irgendwie wirkt dieses Produkt wie aus der Zeit gefallen. Während rundherum die Zeitungen immer bunter und reisserischer werden und sich der Journalismus vermehrt ins Internet verlagert, kommt der «Generalanzeiger» schlicht, einfach und vielleicht auch im Layout auch etwas altbacken daher. Einen Online-Auftritt sucht man auch umsonst. «Uns gibt es eben nur in gedruckter Form», sagt Verleger Marco Saxer.
Vor sieben Jahren hat die Hägglinger Druckerei Saxer die Herausgabe der Dottiker Zeitung übernommen. «Die Familie Hochstrasser ist auf uns zugekommen, weil sie nicht mehr in der Lage war, den Titel selbst zu produzieren. Wir hatten schon zuvor zusammengearbeitet, haben etwa die Druckplatten für sie hergestellt», berichtet Saxer. Nun wird der «Generalanzeiger» in Hägglingen produziert, genau wie seine «Schwesterzeitung», das «Echo vom Maiengrün», das amtliche Publikationsorgan der Gemeinde Hägglingen.
Erste Ausgabe erschien am 24. Februar 1924
Damit schliesst sich der Kreis. Denn eigentlich wollte Zeitungsgründer Jean Hochstrasser, ein echter Hägglinger, 1923 das «Echo» übernehmen. Doch ein Setzer-Kollege trickste ihn aus und schnappte ihm die zum Kauf angebotene Druckerei vor der Nase weg. Aus Frust machte sich Hochstrasser daran, im Nachbardorf eine Konkurrenzfirma zu eröffnen. Am 22. Februar 1924 erschien die erste Ausgabe der neuen Zeitung. 55 Jahre später konnte Sohn Bruno Hochstrasser dann tatsächlich das «Echo» übernehmen, wurden beide Zeitungen in Dottikon produziert. Heute hingegen sind beide Zeitungstitel wieder in Hägglinger Hand. Doch die Rivalität von früher ist längst verschwunden, heute ist der Grossteil der Zeitungen identisch.
101 Jahre hat der «Geni», wie er liebevoll genannt wird, auf dem Buckel. Warum also wird erst jetzt das 100-Jahr-Jubiläum gefeiert? Das hat mit einem Fehler in der Nummerierung des Jahrgangs zu tun. Dieser ist jeweils auf der Titelseite abgedruckt. Und sowohl 1978 wie auch 1979 stand da jeweils 55. Jahrgang. «Irgendwie hat das niemand gemerkt», sagt Saxer. Er selbst wäre auch nie darauf gekommen, schliesslich ist er erst seit sieben Jahren Verleger dieser Zeitung. Es war ein Journalist, der ihn letztes Jahr darauf aufmerksam gemacht hat, dass die erste Ausgabe 1924 erschienen ist und der «Generalanzeiger» eigentlich seinen 100. Geburtstag feiern würde. «Da habe ich erstmals die alten Ausgaben angeschaut und den Fehler entdeckt.»
Andere Zeitungen hatten keine Freude an der Konkurrenz
Inzwischen wurde das Jubiläum nachgeholt. Nicht zum 100. Geburtstag. Aber dafür zum 100-jährigen Bestehen. An der «Gmeind» in Dottikon spendierte der Verlag den Bürgern einen Apéro. Zudem erschien vor Kurzem eine interessante Jubiläumsausgabe, welche einen Rückblick hält auf die lokale Mediengeschichte. Und diese ist tatsächlich sehr interessant und betrifft nicht nur Dottikon. Denn Jean Hochstrasser dachte damals gross, ursprünglich hiess seine Zeitung «Generalanzeiger des Bezirks Bremgarten». Die erste Ausgabe erschien in einer Auflage von 5000 Exemplaren. Und sie sorgte für rote Köpfe im Freiamt. Vor allem der damals katholische «Wohler Anzeiger» störte sich an der neuen Konkurrenz. «Katholisches Volk: Pass auf! Es ist ein Blatt, das gegen unsere Interessen ist», schrieb der «WA» über die neue Zeitung. Man fürchtete sich neben der politischen Einflussnahme vor allem vor einem Verlust im Anzeigengeschäft. Tatsächlich war der «Generalanzeiger» in seiner Anfangszeit ein reines Anzeigenblatt, erst nach einigen Monaten wurde auch eine Textseite produziert. Zuerst auf der letzten Seite, später dann auf der Front.
Hochstrasser war in den Anfangsjahren mit Vollgas unterwegs. Die Auflage stieg bald auf 5600 Exemplare, neu wurden auch Randgemeinden der Bezirke Baden und Lenzburg beliefert. Anfangs war die Zeitung gratis, nach zwei Jahren musste (für die Spesen) ein Betrag von einem Franken pro Jahr eingezogen werden. Vorerst aber freiwillig, erst 1932 wurde der «Geni» zur abonnierten Zeitung. Und damit sank auch die Auflage. Aktuell liegt sie für den «Generalanzeiger» bei 1950 Exemplaren und beim «Echo» bei 1300, wie Marco Saxer berichtet. Beide Zeitungen werden als amtliche Publikationsorgane durch ihre Gemeinden unterstützt.
Den verkauften Titel einfach wieder selber genutzt
1957 übernahm schliesslich Bruno Hochstrasser die Zeitung von seinem Vater. Er leitete die Fusion mit den «Freiämter Nachrichten» ein. Die neue Zeitung konnte sich zwar sehen lassen, wurde aber in Villmergen produziert, während die Dottiker Druckerei still stand, sich aber an den Kosten beteiligen musste. So kam es bald wieder zum Bruch der bei den Verlage. Zusammen mit dem «Seetaler / Lindenberger», dem «Freischütz» und der «Freiämter Zeitung» wurde später der «Aargauer Anzeiger» auf den Weg gebracht. 1973 gab der Dottiker seine Zeitung schliesslich ab, indem diese in das «Aargauer Tagblatt» integriert wurde. Und schuf flugs wieder eine eigene Dottiker Zeitung, für die er einfach wieder den alten und zuvor verkauften Titel «Generalanzeiger» benutzte. Was aber offenbar niemanden störte.
Treue Inserenten
Die Zeiten der Expansion sind längst vorbei. Der «Generalanzeiger» und das «Echo vom Maiengrün» sind heute reine Lokalzeitungen. Auf vier Seiten wird einmal wöchentlich über das Wichtigste im Dorf berichtet. Die Seiten 2 und 3 sind in beiden Titeln identisch, die Front- und Rückseite sind mehr auf die jeweilige Gemeinde ausgerichtet. Wobei es dabei in Hägglingen wegen der vielen aktiven Vereine mehr Abwechslung gibt, wie der Verleger erklärt. Zudem kann er sich auf viele treue Inserenten verlassen. «Viele schätzen unsere Zeitung. Sowohl die Leser, die Gemeinden wie auch die Inserenten», weiss Saxer aus Erfahrung. In beiden Dörfern hat er eine Korrespondentin im Einsatz, daneben werden viele eingesandte Berichte abgedruckt. Die Produktion erledigt Marco Saxer im Alleingang – einen Ausfall kann er sich nicht leisten. In die Ferien fährt er, wenn die Zeitung Pause macht.
Jetzt erst einmal Ferien
Wie lange er das noch machen wird, kann er nicht sagen. Marco Saxer ist 60-jährig. Vieles hängt davon ab, ob er einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin findet für seinen kleinen Verlag. Kommt dazu, dass sich gedruckte Zeitungen fast überall auf der Welt schwer tun. Die Bevölkerung und die Behörden von Dottikon und Hägglingen aber stehen hinter ihren Zeitungen. Gleichzeitig vermittelt ein Blatt wie der «Generalanzeiger» eben auch ein Stück Heimat. Die meisten der darin enthaltenen Meldungen findet man online nirgends. Und darum wird der «Geni» auch in den kommenden Jahren regelmässig am Donnerstag erscheinen, Nicht aber in den kommenden zwei Wochen – dann macht die Zeitung Ferien.