Es gibt Erlebnisse, die sich ins Gedächtnis einbrennen, ohne dass man weiss, weshalb. Eine solche Erinnerung kommt bei mir hoch, wenn im Herbst das Laub fällt. Dann denke ich zurück an jenen Ausflug mit meiner Grossmutter in den Tierpark. Wie wir auf dem Waldweg gemeinsam ...
Es gibt Erlebnisse, die sich ins Gedächtnis einbrennen, ohne dass man weiss, weshalb. Eine solche Erinnerung kommt bei mir hoch, wenn im Herbst das Laub fällt. Dann denke ich zurück an jenen Ausflug mit meiner Grossmutter in den Tierpark. Wie wir auf dem Waldweg gemeinsam durchs herbstliche Laub geschlurft sind.
Es war unser letzter gemeinsamer Ausflug. Meine Grossmutter habe ich in der Folge zwar noch einige Mal gesehen. Die glänzenden Augen und das unbeschwerte Strahlen in ihrem Gesicht allerdings nie mehr. Jedes Mal, wenn im Herbst das Laub fällt, sehe ich jenes Strahlen wieder vor mir. Dann fühle ich mich ihr näher als beim Besuch ihres Grabs auf dem Friedhof. Ein bittersüsses Gedenken.
Ähnlich gefühlsintensives Erinnern kann auch Musik auslösen. Zwei Lieder werden für mich immer mit Liebeskummer in Verbindung stehen. Das eine, weil es just in dem Moment gelaufen ist, in dem ein Traum zerbrach, das andere, weil es uns zwar in der Beziehung verbunden, aber in seiner Aussage doch auch das Ende vorweggenommen hat.
Heute noch lösen beide Lieder ein quälendes Gefühl aus, jedes Mal, wenn ich sie höre. Auch wenn ich mich mit den damaligen Situationen längst ausgesöhnt habe. Da ist nichts Handfestes mehr, nichts Reales. Nur noch eine diffuse Wehmut, aus der Tiefe hervorgeholt durch eine bestimmte Abfolge von Klängen. Ein urtümliches Gefühl, gegen das die Rationalität nicht anzukommen vermag.
«Die Erinnerungen verschönern das Leben, aber das Vergessen allein macht es erträglich», hat Honoré de Balzac, französischer Schriftsteller des Realismus, gesagt. Das scheint einleuchtend. Ist aber doch nur ein Teil der Wahrheit: Nichts ist erschreckender als das Vergessen. Gerade jetzt, wo die Tage kürzer und die Gedanken schwerer werden, ist der Zeitpunkt, sich bewusst zu machen, dass auch schmerzlichen Erinnerungen etwas Schönes innewohnt. In ihnen können vermisste Menschen weiterleben.
Erinnerungen öffnen uns aber auch Fenster zu den Menschen, die wir mal waren. Das hilft, sich in andere hineinzuversetzen, die genau jetzt in genau dieser Situation sind. Anteil nehmen. Für sie da sein. Neue Erinnerungen schaffen – auch erfreuliche.