Für das Wohl der Tiere
23.12.2025 Region Unterfreiamt, NiederwilHans und Rösli Vock gehörten vor 50 Jahren zu den Schweizer Pionieren der Mutterkuhhaltung
Wenn Hans Vock die Weide mit den Angusrindern betritt, spürt man den gegenseitigen Respekt. Auch wenn inzwischen sein Sohn den Betrieb führt, hilft der Vater ...
Hans und Rösli Vock gehörten vor 50 Jahren zu den Schweizer Pionieren der Mutterkuhhaltung
Wenn Hans Vock die Weide mit den Angusrindern betritt, spürt man den gegenseitigen Respekt. Auch wenn inzwischen sein Sohn den Betrieb führt, hilft der Vater noch gern auf dem Hof mit. Und freut sich, wie sein damaliger Entscheid noch heute positive Wirkung entfaltet.
Chregi Hansen
Vor 50 Jahren gehörten Hans und Rösli Vock zu den Allerersten in der Schweiz, die ihren Betrieb auf Mutterkuhhaltung umstellten. «Viele hielten mich damals für einen Spinner», sagt er mit einem Schmunzeln im Gesicht. Heute kann er darüber lachen. Aber damals, vor 50 Jahren, war es nicht immer angenehm, als Landwirt andere Wege zu gehen als die üblichen. Und das bekam Vock in Niederwil durchaus zu spüren. Doch er war damals überzeugt, dass es der richtige Weg war. Und ist es heute noch mehr. «Ohne die Umstellung würde es den Wendelinhof heute nicht mehr geben», sagt er.
Der Wendelinhof ob Niederwil, er ist heute ein Vorzeigebetrieb. Hier wird seit 40 Jahren biologisch produziert, im Ackerbau, bei den Obstbäumen oder den Tieren. Ob Poulets, Rindfleisch oder auch die immer mehr gefragten Festtagsgeflügel wie Truthahn oder Perlhuhn – die Tiere werden artgerecht und mit viel Respekt behandelt. Geschlachtet wird möglichst stressfrei, wenn möglich auf dem Hof, hier werden die Tiere gleich zerlegt und im eigenen Laden verkauft. Geführt wird der Betrieb heute von Esther und Lukas Vock, dem Sohn von Hans. Der Vater hat zu vielem, was heute noch funktioniert, die Grundlage gelegt. Und packt selbst noch mit an. Den Sommer durch führen er und Rösli die eigene Alp, im Winter hilft er beim Ausbeineln. Gerade in der Vorweihnachtszeit gibt es viel zu tun auf dem Hof. Hans Vock hilft gerne mit. Aber: «Am liebsten wäre er das ganze Jahr über auf der Alp», sagt seine Frau Rösli. Sie hingegen schätzt auch die Wintermonate in ihrer Wohnung in Nesselnbach.
Vertrag mit der ETH
Heute ist Bio und Mutterkuhhaltung akzeptiert. Vor 50 Jahren war das ganz anders. «Wir waren eine kleine Gruppe, verteilt in der ganzen Schweiz, die mitmachten», erzählt Hans Vock. Geleitet wurde das Pilotprojekt von Hans Burger, dem späteren Direktor des Bundesamts für Landwirtschaft. Damals doktorierte dieser über Mutterkühe an der ETH und brauchte dafür Betriebsdaten – mit der ETH hatten die 12 beteiligten Landwirte einen Vertrag. Ihr mussten die Bauern im Projekt regelmässig Angaben zu den Tieren melden. «Ich bin glücklich, dass ich mitmachen konnte», sagt Vock heute. 1977 wurde schliesslich der Verein Mutterkuh Schweiz gegründet. Mit 42 Mitgliedern. Und Hans Burger als Präsident. «Er war die entscheidende Figur», zollt ihm Hans Vock Respekt.
Ganz freiwillig hat er die Umstellung damals nicht vorgenommen. Sein Vater, Hans Vock senior, war noch ein konventioneller Bauer. Ein wenig Milchwirtschaft, ein wenig Ackerbau. Doch Mitte der 70er-Jahre war die wirtschaftliche Situation schwierig. Hans Vock junior arbeitete extern, doch gehörte er zu den Ersten, die wegen der Krise entlassen wurde. «Du hast ja zu Hause einen Hof», meinte der Chef bloss. Sein Vater war bereit, ihm den Hof frühzeitig zu übergeben. «Aber für mich war klar: So wie er will ich das nicht machen. Jeden Morgen und Abend zum Melken in den Stall und danach zur Käserei, das war nicht das, was mir vorschwebte. Schon gar nicht angesichts der drohenden Milchkontingentierung», erzählt er. Fast alles war geregelt in der Landwirtschaft. Im Gegensatz zum Ausland – Hans Vock hat viele Länder bereist und sich innovative Betriebe angeschaut. Unter anderem war er in den USA, wo er erstmals die Mutterkuhhaltung kennenlernte. Kein Wunder, nannte man ihn im Dorf nur den «Amerikaner.»
Metzger wollten Fleisch nicht
Die Umstellung war nicht einfach. «Die Kühe hatten zu Beginn Mühe mit den herumspringenden Kälbern auf der Weide», schmunzelt Vock. Schlimmer war die Tatsache, dass kein Metzger ihr Fleisch wollte, weil es eben nicht schön weiss war, wie man es von Kalbfleisch gewohnt war. Vocks waren gezwungen, ihr Fleisch selbst zu vermarkten. Ein Kundenmetzger schlachtete die Tiere, zerlegt wurden sie auf dem Betrieb. Dazu baute Vock ein Extragebäude. «Die Gemeinde hat dieses schnell bewilligt. Aber ich brauchte auch das Okay des Kantonstierarztes, und der meldete sich einfach nicht. Darum habe ich es ohne seinen Segen gebaut und es wurde schliesslich von ihm akzeptiert», erinnert sich der innovative Bauer. Es blieb nicht der einzige Ausbau, bald schon folgte ein erster kleiner Hofladen. «Zuvor haben wir das Fleisch in Viertelportionen zu den Kunden gebracht», berichtet Rösli Vock. Zur Lieferung wurden auch mal Waschzainen genutzt. Fortschritt brachte dann der Kauf eines Vakuumiergeräts. «Das war damals noch extrem teuer.»
Schon bald waren weitere Anpassungen nötig
Auch beim Tierwohl waren Anpassungen nötig. Die Kühe waren den ganzen Sommer über auf der Weide, den Winter aber verbrachten sie angebunden im Stall. Nach einem Jahr bauten Vocks diesen zu einem Laufstall um – auch dieses Prinzip hatte der Bauer auf einer Exkursion kennengelernt. Doch die Schweiz war noch nicht bereit für solche Innovationen. «Die Vorgaben änderten ständig. Ich musste den Stall sicher viermal umbauen, weil wieder anderes verlangt wurde», erzählt Vock. Aber es gab auch Sachen, die mussten Hans und Rösli Vock erst lernen. So gab es Kälber, die vergnügt auf der Wiese herumtollten und von einem Moment auf den anderen zusammenbrachen. Ursache war, wie sie später herausfanden, ein Mangel an Selen. Nur Gras als Nahrung reichte offenbar nicht, es brauchte hier noch einen Zusatz. «Da kein Getreide verfüttert wird, fehlt das Selen», weiss Hans Vock heute.
Auf der Alp das Glück gefunden
Er musste viel Lehrgeld bezahlen. Sich immer wieder anpassen. «Man konnte nicht irgendwelche Rassen importieren, das war alles vorgegeben», berichtet er. Zum Glück durften sie die Angus-Rasse in ihr Braunvieh und Simmentaler Kühe einkreuzen, die Angus-Tiere bilden heute noch den Viehbestand des Wendelinhofs. War sein Vater der Umstellung gegenüber anfangs skeptisch, so hatte er mit der Zeit immer mehr Freude, wie sich der Hof entwickelte. Er war es auch, der im Sommer 1978 mit dem Vieh erstmals auf die Alp ging. Ein Jahr zuvor hatte er die Alp Bärenboden im Linthal besichtigt und seinen Sohn vor die Wahl gestellt: «Entweder kaufst du die Alp oder ich kaufe sie.» Er wollte den Sohn machen lassen und eine eigene Aufgabe übernehmen. «Der Kauf war ein Glücksfall, fast alle Alpen sind heute in öffentlicher Hand. Aber diese war nur schwer zugänglich und in einem schlechten Zustand. Die Einheimischen meinten darum: Die könne man ihm schon verkaufen, der bleibt nicht lange», erzählt er. Doch da hatten sich die Glarner getäuscht, die Familie Vock hat den Bärenboden auf Vordermann gebracht. Ob Gebäude, Trinkwasser, Weidezäune oder Zufahrt, die Freiämter haben den Glarnern gezeigt, dass sie etwas verstehen vom Leben auf der Alp. Heute hätten die Bauern im Kanton Glarus sie gerne wieder zurück – doch der Bärenboden bleibt im Besitz der Familie. Und wie schon sein Vater zieht auch Hans Vock jeden Sommer mit rund 60 Tieren hierher und überlässt den Hof seinem Sohn Lukas.
Auf Homöopathie gesetzt
Nicht nur, was die Mutterkuhhaltung betrifft, war Hans Vock seiner Zeit voraus. Er stellte auch den übrigen Betrieb bald auf bio um, so etwa den Obstanbau. Auch da musste er zu Beginn Lehrgeld zahlen. Hatten die Früchte nicht die Qualität, die er sich erhoffte. Auch in der Geflügelzucht ging er neue Wege – weg von der Massentierhaltung. Die Tiere durften sich ebenfalls im Freien bewegen, dazu entwickelten sie fahrbare Ställe. Zu dieser Zeit, vor 40 Jahren, gab es in der Schweiz noch keine Freiland-Poulets – geschweige denn bio. Und auch hier galt es erst, die passenden Rassen zu finden. Immer wieder kam Vock in Konflikt mit der Gemeinde und dem Kanton und ihren starren Regeln und Vorgaben. Doch er wusste sich zu wehren. Auch die Regeln zur Pachtvergabe waren nicht auf einen wie ihn zugeschnitten. «Das Landwirtschaftsland war immer mit einem Milchkontingent verknüpft. Weil ich kein Milch produzierte, ging ich leer aus. Also musste ich mir mein Land selbst kaufen.»
Hans und Rösli Vock lag das Tierwohl stets am Herzen. Und sie misstrauten der Tiermedizin, setzten eher auf homöopathische Mittel. Und hatten Erfolg. Dass ihre Tochter Anita als Tierärztin nun auch Homöopathie einsetzt, freut sie. Ebenso freuen sie sich, dass Lukas und Esther Vock der Philosophie auf dem Wendelinhof treu bleiben, aber zudem eigene Ideen entwickeln. Und während die anderen Bauern lange die Nase rümpften, kam das so produzierte Fleisch bei der Kundschaft bestens an. «Wir hatten beim Natura Beef nie ein Absatzproblem. Auch heute nicht. Im Gegenteil, die Nachfrage ist fast höher als das Angebot», sagt Sohn Lukas. Und tatsächlich brummt das Geschäft im Lädeli während des Gesprächs.
Hans Vock weiss viele Anekdoten zu erzählen aus den vergangenen Jahren. Eine gefällt ihm ganz besonders. Da es seine Tiere nicht gewohnt waren, angebunden zu sein, musste man auf dem Weg zum Schlachter immer vorsichtig sein. Ein bulliger Metzger machte sich über diese Vorsicht lustig, er werde mit dem Tier schon allein zurechtkommen. «Es dauerte nur Sekunden, da lag er am Boden, hatte sich das Tier losgerissen und war getürmt. Gefunden haben wir es dann in der Limmat, von wo wir es dann wieder rauslocken mussten», erzählt er.
Hans Vock ist in der Vorweihnachtszeit viel auf dem Hof. Aber schon jetzt freut er sich auf die Rückkehr auf die Alp. Da, mitten in der Natur, allein mit seiner Frau Rösli und den Tieren, findet er sein Glück. Auch weil die beiden jederzeit von den Glarner Freunden Hilfe bekommen, «Wir sind inzwischen fest verankert im Glarnerland. Die Umstellung vor 50 Jahren war wohl das Beste, was ich je gemacht habe», sagt Hans Vock darum heute.



