Er war der Chef der Bundesrätin
19.09.2025 Wohlen, ArbeitKurt Fricker geht nach 50 Jahren Tätigkeit als Rechtsanwalt in den verdienten Ruhestand
Ein halbes Jahrhundert setzte sich Kurt Fricker für die Menschen ein. Rechtsanwalt zu sein, wurde für ihn zur Berufung und zur Herzensangelegenheit. Unvergessliche ...
Kurt Fricker geht nach 50 Jahren Tätigkeit als Rechtsanwalt in den verdienten Ruhestand
Ein halbes Jahrhundert setzte sich Kurt Fricker für die Menschen ein. Rechtsanwalt zu sein, wurde für ihn zur Berufung und zur Herzensangelegenheit. Unvergessliche Begegnungen begleiteten ihn – vom legendären KAK bis zu Regierungsrat Peter Wertli. Doris Leuthard arbeitete bei ihm auf der Kanzlei, bis sie sich als Bundesrätin nach Bundesbern verabschiedete.
Daniel Marti
Der Mensch steht für ihn immer im Mittelpunkt. Im normalen Alltag und im Berufsleben. Für Kurt Fricker war es während 50 Jahren bereichernd, die Menschen zu beraten und zu unterstützen. Gemeinsam Wege zu finden und Probleme zu lösen. Er hat dies mit Hingabe gemacht. Und die Faszination des Anwaltsberufes begleitete ihn stets. Nun, im Alter von 77 Jahren, sagt er seinem Lieblingsberuf und seiner Kanzlei Adieu.
Geplant war allerdings alles ganz anders. «Ursprünglich», verrät Kurt Fricker, «wollte ich Pfarrer werden, das war mein Bubentraum.» Dennoch entschied er sich früh für eine Karriere als Rechtsanwalt – und machte damit seinem Vater eine grosse Freude. Dieser war rund 50 Jahre lang Betreibungsbeamter, er wäre jedoch so gerne Fürsprecher geworden. Während der Matur war für Kurt Fricker alles klar: Er wählte den Traumberuf des Vaters. Es war sicherlich ein weiser Entscheid.
Die Zeit mit Bundesrätin Doris Leuthard
Daraus wurden 50 bewegte Jahre mit viel Genugtuung und Freude. Bei Peter Wertli am Bezirksgericht Bremgarten erhielt er die Chance, als Praktikant einzusteigen. Jener Peter Wertli, der dann später Karriere als Regierungsrat machte. Kurt Fricker wählte einen anderen Weg. Ein gewisser Karl Albert Kuhn, Rechtsanwalt und Gemeindeammann von Wohlen, nur als KAK bekannt, war von Frickers Arbeit am Gericht begeistert. «Er war als Anwalt ein Draufgänger», schaut Fricker gerne zurück. Auch deshalb musste er nicht lange überlegen, als er von Kuhn ein Angebot erhielt. Er sagte sofort zu und nahm 1975 seine Tätigkeit als Rechtsanwalt in der Kanzlei in Wohlen auf.
«Ich schätze es, dass er mir vom ersten Tag an grosse Selbstständigkeit bei der Betreuung meiner Mandate einräumte. Das war eine wirklich gute Zeit», erinnert sich Fricker. Die Kanzlei von KAK an der Friedhofstrasse war weitherum bekannt. Und dann trat am 1. September 1989 die junge Praktikantin Doris Leuthard in die Kanzlei ein, ins Team von Kurt Fricker. «Ich habe den Vertrag immer noch», freut er sich.
Fricker und die spätere Bundesrätin gingen danach 17 Jahre lang einen gemeinsamen Weg. Im Jahr 1988 übernahm Fricker die Anwaltskanzlei von Marco Hauser in Muri. Und 1991 eröffneten Leuthard und Fricker in einer Partnerschaft die eigene Kanzlei am Sorenbühlweg in Wohlen. Aber alles endete, wie es Fricker formuliert, «abrupt am 14. Juni 2006». Doris Leuthard wurde zur Bundesrätin gewählt und am 31. Juli 2006 «standesgemäss» vom Bundeschauffeur mit der Staatslimousine abgeholt. In Wohlen und Muri freute man sich riesig für die neue Magistratin «Doris Leuthard war bravourös – als Anwältin und als Bundesrätin», so ihr ehemaliger Chef.
Die Zeit mit Doris Leuthard sei bereichernd gewesen und als das Amt als Bundesrätin aktuell wurde, hat er ihr geraten, diesen Entscheid gut zu überlegen. Ein so grosses Departement zu übernehmen, das sei eine riesige Herausforderung. «Dann ging alles so schnell. Aber wir sind natürlich stolz darauf, dass Doris Leuthard unsere Partnerin war.» Er macht da immer gerne einen Vergleich: «Doris Leuthard ist als Praktikantin zu uns gekommen, und als Bundesrätin ist sie wieder gegangen.»
Komplexer und hektischer
Irgendwie war vieles bereits vorgespurt. Im Jahr 2000 wurde die Kanzlei mit Roger Seiler erweitert. Und 2005 trat sein Sohn, Matthias Fricker, in die Kanzlei ein. Ab 2008 wurden beide zu Partnern. Von nun an führte das Trio die Kanzlei gemeinsam. Stabile Verhältnisse waren Kurt Fricker eben immer wichtig. «Beide Standorte, Muri und Wohlen, haben sich bewährt», er sei sehr zufrieden, und im Alter von 70 Jahren konnte der Firmengründer kontinuierlich sein Pensum reduzieren. Nun, genau 50 Jahre nach seinem Einstieg als Rechtsanwalt, zieht sich Kurt Fricker ganz zurück.
Nun geht er in Pension und kann natürlich gut vergleichen. Ein halbes Jahrhundert Rechtsanwalt – da hat sich einiges bewegt. «Wie überall», betont er, «alles ist komplexer und aufwendiger geworden. Nicht zuletzt deshalb, weil das Bundesparlament in den letzten 20 bis 30 Jahren eine teilweise unnötige Hektik entwickelt hat.» Fricker erwähnt ein Beispiel: «Ein Scheidungsurteil mit Berechnung der Unterhaltsbeiträge für Ehefrau und Kinder umfasste vor 30 Jahren ungefähr 10 Seiten, heute sind es nicht selten 40 Seiten und mehr.» Ob die Urteile «gerechter» sind, bezweifelt Fricker.
Fricker bezeichnet sich als «Allgemeinpraktiker». In den ersten 20 bis 30 Jahren betreute er Mandate namentlich im Familienrecht, Vertragsrecht, Strafrecht, Haftpflicht- und Sozialversicherungsrecht sowie im privaten und öffentlichen Baurecht. Als Folge der vielen Gesetzesrevisionen und der anspruchsvollen Praxis des Bundesgerichtes wurde eine Konzentration auf wenige Rechtsgebiete notwendig.
Grosse Genugtuung und ein Glücksfall
Trotz Komplexität hat er die Faszination für den Beruf des Rechtsanwalts allerdings nie verloren. «Ich hatte stets ein gutes Team und langjährige Mitarbeiter um mich», gibt er die Komplimente gerne weiter. Weil ihm diese Tätigkeit stets grosse Freude bereitete, dauerte die Rechtsanwaltskarriere ganze 50 Jahre. «Jetzt ist aber ein guter Zeitpunkt, um aufzuhören. Das fühlt sich auch richtig an.» Zu Spitzenzeiten führte er 60 bis 70 Mandate gleichzeitig. «Das war anspruchsvoll, um die Fristen immer einzuhalten.» Deshalb gab es viel Nachtarbeit. Mit 70 Jahren arbeitete er dann nur noch morgens, «und ich machte Ferien wie ein Lehrer». Also gegen zwölf Wochen im Jahr. So konnte er sich behutsam auf die Pensionierung vorbereiten.
Gewiss, in dieser langen Zeit gab es auch etliche besondere Fälle. Aber reden darüber darf er natürlich nicht. Berufsgeheimnis. Nur eine Reminiszenz lässt er sich entlocken. Vorerst erinnert er sich an eine Bestimmung aus dem Code Napoleon aus dem Jahre 1804, die sein Professor in Rechtsgeschichte gerne zitierte: «La recherche de la paternité est interdite» (Die Erforschung der Vaterschaft ist untersagt). «Tempi passati, Gott sei Dank», sagt Fricker. Vor allem zu Beginn seiner Anwaltstätigkeit führte er viele Vaterschaftsprozesse. Nicht immer führte die erste Klage zum richtigen Vater.
Wichtig war ihm jedoch immer, dass er den Menschen helfen und sie unterstützen konnte. «Die meisten kommen halt erst zum Anwalt, wenn es grössere Probleme gibt.» Und selbstverständlich habe auch er nicht alles richtig gemacht. «Im Grossen und Ganzen bin ich mit meiner Bilanz sehr zufrieden», so Fricker. «Und ich ging jeden Tag gerne zur Arbeit.» Dies auch, weil ihn dabei sein Sohn seit 20 Jahren begleitet. «Das ist bereichernd.» Als Matthias Fricker in die Kanzlei eintrat, war dies für ihn auch «eine grosse Genugtuung», und er habe diesen Schritt seines Sohnes nicht als selbstverständlich erachtet. «Aber es ist halt einfach schön.» Man spürt, dass ihm dies viel bedeutet. Und dann darf man seine Frau Monika nicht vergessen. 28 Jahre lang begleitete sie ihn in der Kanzlei, vor allem verantwortlich für die Buchhaltung. «Sie ist eben ein Glücksfall für mich.»
Der Politiker und die freie Zeit
Frickers Leben besteht nicht «nur» aus Anwaltstätigkeit. Er war auch viele Jahre Rechtskonsulent der Aargauischen Zahnärzte, erteilte über 30 Jahre lang den Mitgliedern des Hauseigentümerverbandes Rechtsauskünfte, war Präsident der Regionalkommission Freiamt des Aargauischen Vereins für Suchtprobleme und der ökumenischen Eheberatungsstelle Freiamt.
Schliesslich war Fricker auch Politiker mit Leib und Seele. Sein Vater mit freisinnigem Gedankengut sass bereits im Grossen Rat. Als ehemaliger Benediktinerschüler schloss sich Fricker schon während des Studiums dann der jungen CVP an. Von 1978 bia 1983 war er – neben seinem Anwaltsberuf – nebenamtlich Sekretär der CVP Aargau. Von 1985 bis 1997 gehörte er dem Grossen Rat an. «Während der Zeit im Büro KAK durfte ich von Karl Albert Kuhn – ebenfalls begeisterter CVP-Politiker – viel Unterstützung erfahren.»
Nach drei Amtsperioden die Politlaufbahn zu beenden, sei ein guter Entscheid gewesen. Sehr ähnlich sieht er das mit dem Wohnort. Im Fricktal aufgewachsen, war die Stelle am Bezirksgericht Bremgarten massgebend, um nach Wohlen zu ziehen. Auch hier mag die Familie Beständigkeit. Seit 1978 wohnen die Frickers am Brunnackerweg – gleich neben seinem ersten Chef in Bremgarten, Peter Wertli.
«Uns ist es hier wohl», sagt er. Langweilig wird es ihm sicherlich nicht. Musik machen, Velo fahren, Sport allgemein, wandern, lesen, Familie, die Enkelkinder zählt er auf. Weil er sein Pensum in den letzten sieben Jahren schon merklich reduziert hat, werde «die Zäsur nicht so gross sein».
«Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit und Sorgfalt»
Zudem wird Kurt Fricker in der Anwaltskanzlei, die neu im sanierten Bahnhofgebäude zu Hause ist, wohl immer ein gern gesehener Gast sein. Vielleicht auf einen Kaffee oder für ein gutes beratendes Wort. Denn wer kann schon von sich behaupten, dass er auf 50 Jahre Anwaltserfahrung bauen kann? Eine wahre Seltenheit, die Kurt Fricker immer mit viel Faszination gelebt hat. Vor allem für die Menschen, die Unterstützung suchen und die er immer in den Mittelpunkt gerückt hat.
Und ganz zuletzt ist er einfach nur dankbar für eine erfüllende Lebensphase. Das hält er auch in seinem Abschiedsschreiben fest. Ganz viele Klientinnen und Klienten haben ihm ein halbes Jahrhundert lang ihr Vertrauen geschenkt. «Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit und Sorgfalt standen für mich bei meiner Arbeit im Zentrum.» Und er sei dankbar für das Glück, dass er von so vielen kompetenten Mitarbeitenden begleitet worden sei. Wegbegleiterin und Bundesrätin Doris Leuthard könnte das wohl nur bestätigen.