Ein Stück Frauengeschichte
21.11.2025 Bremgarten, MuriDer Soroptimist International Club Bremgarten-Freiamt lud zur berührenden Benefizkino-Soiree
Die Regisseurin und eine der Hauptprotagonistinnen verliehen der Filmvorführung im Kino Mansarde besondere Tiefe. Der Erlös des Abends kommt dem Kinderheim Brugg ...
Der Soroptimist International Club Bremgarten-Freiamt lud zur berührenden Benefizkino-Soiree
Die Regisseurin und eine der Hauptprotagonistinnen verliehen der Filmvorführung im Kino Mansarde besondere Tiefe. Der Erlös des Abends kommt dem Kinderheim Brugg zugute.
Thomas Stöckli
«Wollen wir ...?», fragt Nicole Wey. Eigentlich ist es mehr eine Aufforderung. In der nächsten Einstellung zieht sie mit zwei anderen Frauen energisch am Seil. Oben im Türmchen der Kapelle bimmelt die Glocke. Symbolhaft für die Stärke der Frauen. Für den Kampf um ihre Rechte. Für den Ruf nach Gehör.
«Kinderfabrik» in der Fremde
Die Szene habe sich genauso spontan ergeben, wie sie im Film dargestellt sei, versichert Regisseurin Christa Miranda. Mit ihrem Film «Né à Belfond» hat sie ein Stück Frauengeschichte aufgearbeitet, das lange tabuisiert wurde. Es geht um ledige Frauen, die schwanger wurden und ihr Umfeld verlassen mussten, um versteckt zu gebären. Die jungen Frauen kehrten danach in ihr Umfeld zurück. Die Babys blieben in vielen Fällen. Bis sie an eine Pflege- oder Adoptivfamilie vermittelt werden konnten.
Eine solche «Kinderfabrik» lag im Jura, im abgelegenen Belfond. 920 Kinder erblickten hier in den 50er- bis 70er-Jahren das Licht der Welt. Rund ein Fünftel wurden direkt zur Adoption freigegeben, andere blieben bei der Mutter oder gingen an Pflegefamilien. Um das mittlerweile leer stehende Geburtshaus mit der eingangs beschriebenen Kapelle hat Christa Miranda ihre Geschichte aufgebaut. Sie führt empathisch in eine andere Zeit. Eine Zeit, in der die Gesellschaft «gefallene Mädchen» davor bewahren wollte, mit dem Stigma eines unehelichen Kinds leben zu müssen. Eine Zeit, in der man Kindern um jeden Preis eine «normale» Familie ermöglichen wollte, mit einem verdienenden Vater und einer Mutter am Herd. Mit der Folge, dass sich Mütter gezwungen sahen, ihre Babys abzugeben. Als beste Lösung für alle, so die damals anerkannte Überzeugung, selbst in Fachkreisen.
Nach Villmergen adoptiert
Ein solches Kind war Nicole Wey. Sie ist nach Villmergen gekommen. In eine Pflegefamilie, die bereits ein leibliches Kind hatte und ein zweites wollte, was aber nach zwei Eileiterschwangerschaften nicht mehr möglich war. «Zwischen ihrem eigenen und dem adoptierten Kind haben sie nie einen Unterschied gemacht», sagt Nicole Wey über ihre Adoptiveltern. Das Bedürfnis, die leiblichen Eltern kennenzulernen, sei denn auch erst gekommen, als ihr mit 24 Jahren eine ernste Operation bevorstand und sie nach Erkrankungen in der Familie gefragt wurde. Die Suche gestaltete sich schwierig. Die Akten des Geburtshauses lieferten den einstmaligen Wohnort der Mutter. Nach deren Wegzug verlor sich die Spur. Nicole Wey hakte nach, erhielt über einen ehemaligen Arbeitgeber und eine Freundin der Mutter einen Kontakt. Schliesslich kam ein Treffen zustande. «Das Erste, was sie zu mir sagte, war: ‹Du hast den selben ‹Zinggen› wie ich›», erinnert sich die Villmergerin.
Eine Mutter-Tochter-Beziehung habe sich nie ergeben, so Nicole Wey. «Ich habe ja auch keine Mutter gesucht», stellt sie klar. Für Differenzen sorgte das Thema Vater. «Sie wollte den Namen nicht verraten.» Das Schweigen war vertraglich geregelt, die Mutter mit 3000 Franken entschädigt worden. Erst als sie mit rechtlichen Schritten drohte, habe die Mutter das Geheimnis gelüftet, widerwillig. Das erfährt das Publikum in Muri aus erster Hand. Im Gespräch mit Manuela Luzio, Präsidentin, und Michaela Allemann, Vizepräsidentin des Soroptimist Clubs Bremgarten, lassen die Hauptprotagonistin und die Regisseurin das Publikum tiefer blicken.
Idylle und Drama
Christa Miranda hat für ihren Film ein weiteres Kind aus Belfond aufgespürt. Sie begleitet beide auf der Spurensuche nach der eigenen Herkunft. Zu Wort kommen auch eine betagte Hebamme, Schwestern des ehemaligen Geburtshauses – und eine Frau, die selbst in Belfond ein Kind zur Welt gebracht hat und dieses abgeben musste, da sie erst 17 Jahre jung, also noch minderjährig, war. «Es war nicht richtig, was man damals getan hat», findet sie heute.
Die Perspektive der Mutter ist wichtig für den Film. Eine Mutter zu finden, die in Belfond ein Kind zur Welt brachte, sei allerdings schwierig gewesen, erzählt die Regisseurin. Als Hauptgrund vermutet sie die starke Tabuisierung des Themas: «Die Frauen müssen damit leben, dass sie ihr Kind nicht vor der Wegnahme schützen konnten», so ihr Erklärungsversuch.
Auf «La Kinderfabrik» in Belfond sei sie zufällig gestossen, sagt Christa Miranda: «Ich wusste nicht, dass es in der Schweiz Häuser gab, wo ledige Mütter ihre Kinder versteckt zur Welt bringen können.» Der Kontrast zwischen ländlichem Idyll und persönlichen Dramas habe sie filmisch gereizt. Und nicht nur das: «Die Aufarbeitung fürsorgerischer Zwangsmassnahmen ist seit Jahren ein grosses Thema, von Adoptionen hörte man in diesem Zusammenhang allerdings nichts.»
An der Benefizkino-Soiree des Soroptimist Clubs Bremgarten hat Nicole Wey den Film zum vierten Mal gesehen. «Es war das erste Mal, dass ich nicht geweint habe», sagt sie – und verrät noch etwas anderes: Am Vorabend sei sie Grossmutter geworden. «Die Schwangerschaft meiner Tochter hat vieles hochgebracht. Aber jetzt schliesst sich ein Kreis.»
Gegen Gewalt und für Kinder
Die Unterstützung und Förderung von Frauen und Mädchen, das hat sich Soroptimist International auf die Fahne geschrieben. «Wir sind eines der grössten Netzwerke für Frauen», sagt Manuela Luzio, Präsidentin des Clubs Bremgarten-Freiamt. Und als solches setze man sich ein für bessere Bedingungen für Frauen und Mädchen – lokal und weltweit. Vom 25. November, Tag der Gewalt gegen Frauen, bis zum 10. Dezember, Tag der Menschenrechte, wollen die Soroptimists im Rahmen der «Orange Days» das Bewusstsein für diese Thematik schärfen.
Mit dem Erlös der Benefizkino-Soiree im Kino Mansarde in Muri unterstützt der Serviceclub das Kinderheim Brugg. Dessen Kernangebot wird durch eine Leistungspauschale abgedeckt, was darüber hinaus gehe, da sei man auf Spenden angewiesen, hält Daniel Wölfle, Geschäftsleiter der Trägerstiftung, fest.
Den Zustupf werde man konkret in die Neugestaltung des Spielplatzes einfliessen lassen. Den nutzen die Heimkinder ebenso wie jene der Tagesschule und die aus der Stadt. Das ermögliche wertvolle Begegnungen, so Wölfle. --tst


