Den Mut nicht verlieren
11.11.2022 Region Unterfreiamt, VillmergenDie Villmergerin Beatrice Widmer hat ein Buch über ihre langwierige Verletzungsgeschichte geschrieben
Nach einem Skiunfall vor über 40 Jahren begann für sie eine Odyssee durch Ärztezimmer, OPs und Reha-Kliniken. Nach dem Einsetzen einer Prothese geht es ...
Die Villmergerin Beatrice Widmer hat ein Buch über ihre langwierige Verletzungsgeschichte geschrieben
Nach einem Skiunfall vor über 40 Jahren begann für sie eine Odyssee durch Ärztezimmer, OPs und Reha-Kliniken. Nach dem Einsetzen einer Prothese geht es für Beatrice Widmer endlich aufwärts. Über ihre Erlebnisse und Erfahrungen hat sie jetzt ein Buch geschrieben.
Chregi Hansen
«Als ich das erste Mal wieder auf dem Velo unterwegs war, habe ich vor Freude laut geschrien», erzählt Beatrice Widmer und blickt über den ruhig daliegenden Hallwilersee. Den Ort, der in den vergangenen Jahren zu ihrer Kraftquelle geworden ist. «Hierher komme ich fast täglich, es ist einfach wunderbar», erzählt die Villmergerin, die seit einigen Jahren in Seengen lebt.
Und hier erzählt sie die Geschichte ihrer Odyssee. Laut der griechischen Mythologie war Odysseus rund 20 Jahre unterwegs, bevor er wieder nach Hause zurückkehrte. Beatrice Widmers Irrfahrt dauerte über 40 Jahre. 40 Jahre, in denen sie mit Schmerzen im Knie und in der Hüfte leben musste. In denen sie mehrere Male operiert wurde. In denen jeder positive Befund durch einen weiteren negativen zerstört wurde. Schmerzen hat sie heute noch. «Aber ich kann damit umgehen», sagt Widmer. Wobei: Manchmal beneide sie Menschen mit einer Beinprothese – die können ihr Bein zwischendurch abnehmen und wegstellen. «Meines ist immer mit mir dabei.»
Knacken spürt sie noch heute
Angefangen hat alles vor 42 Jahren in den Skiferien auf der Bettmeralp. Mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern genoss die junge Villmergerin die sonnigen Tage im Schnee. «Ich war schon immer ein Bewegungsmensch. Und ich war so glücklich, lernte ich als Erwachsene noch das Skifahren», erzählt sie. Doch dann kam diese eine, letzte Abfahrt vor dem Kaffeehalt. «Es war eine enge, vereiste Piste. Der Rest der Familie wartete unten auf mich. Mein Mann rief, ich solle es einfach fahren lassen. Das tat ich – und stürzte prompt.» Noch heute spürt sie das Knacken, das ihr damals durch das Knie schoss. Es war der Anfang einer fast schon unglaublichen Odyssee durch Behandlungsräume und Kliniken. Der Anfang einer Irrfahrt, die sie nun viele Jahre später niedergeschrieben und – auf Anraten ihres Arztes – als Buch veröffentlich hat. Der passende Titel: «Meine endlose Knieodyssee».
Der Arzt auf der Riederalp diagnostizierte damals einen angerissenen Meniskus und riet von einer Operation ab. Der Hausarzt im Freiamt hingegen drängte auf eine sofortige OP. Es folgte der allererste von zahlreichen Eingriffen. Immerhin, es schien bergauf zu gehen. Zwar hatte die Modeberaterin und zweifache Mutter noch immer Schmerzen, aber sie konnte wenigstens wieder unterwegs sein. Zu Fuss und auf dem Rad. Doch dann, bei einem Spaziergang in den nächsten Skiferien, stürzte sie erneut. Schon damals sah man auf dem Röntgenbild, dass die Knochen im Knie in einem schlechten Zustand waren. Trotzdem wollte sich Widmer nicht einschränken. «Ich mache alles mit dem Knie, dieses soll nicht stärker sein als ich», notiert sie dazu in ihrem Buch. Einzig das Skifahren war für immer gestrichen. Und die Schmerzen waren von da an ständiger Begleiter.
Später zogen sie und ihr Mann nach Seengen, an den Hallwilersee. Beatrice Widmer blühte wieder auf. Auch beruflich hatte sie Erfolg. Zum 60. Geburtstag war eine Kreuzfahrt geplant. Zuvor wollte sie sich nochmals mit einem Spezialisten besprechen, wollte endlich etwas gegen die Schmerzen im Knie unternehmen. Doch einen Tag vor dem Termin passierte es. Das Ehepaar war mit dem E-Bike unterwegs, Beatrice Widmer wollte auf ihren Mann warten, hielt an, wollte absteigen, kam ins Stolpern und spürt, wie das ganze Knie einfach zerbrach. Die Schmerzen waren höllisch – per Ambulanz ging es ins Spital.
Alles fein säuberlich aufgelistet
Der Tibiakopf, der untere Teil des Kniegelenkes, den man vor Jahren geflickt hat, war über die Jahre porös geworden und komplett zertrümmert. «Bekomme ich jetzt endlich meine Prothese?», fragte Widmer im Krankenhaus. Doch die Hoffnung wurde zerstört – es sei nichts da, um sie zu befestigen. «Rückblickend war klar, dass die Implantate nach der ersten OP zu früh wieder entfernt wurden», weiss die Villmergerin heute. Jetzt müsse der Knochen erst wieder aufgebaut werden. Es folgten ein erster Aufenthalt in der Rehaklinik, weitere Untersuchungen und Abklärungen. Und immer neue Rückschläge. So etwa das Nein der SUVA zu einer Verlängerung der Rehabilitation – trotz des Einsatzes durch den Professor.
Es ging auf und ab. Feinsäuberlich listet Beatrice Widmer in ihrem Buch die verschiedenen Stationen, Befunde, Eingriffe und Therapien auf. Mal machte ihr ein Arzt neue Hoffnung, dann wieder war ihnen der Eingriff zu riskant. Dann kam heraus, dass bei einer Operation eine Schraube im Knie vergessen ging. Dazu kamen Auseinandersetzungen mit der Suva und der IV, die so weit gingen, dass sich Widmers einen Anwalt nehmen mussten. Weil sie wegen der Schmerzen ihre Arbeit im Kleidergeschäft nicht mehr ausüben konnte, musste sich Beatrice Widmer kurz vor ihrer Pensionierung noch beim RAV anmelden. Trotz der vielen Tiefschläge – ihren Lebensmut verlor sie nie. Trainierte fleissig. Kümmerte sich um ihre Lieben zu Hause, so gut es ging. «Ich wurde immer wieder gefragt, wie ich das alles wegstecken kann. Und natürlich hatte ich in all den Jahren auch meine Tiefs. Aber ich wusste: Ich muss da durch, wenn ich etwas ändern will. Und hoffte immer, dass es nach der nächsten OP einfach gut ist», sagt sie.
Schliesslich fand Beatrice Widmer im Bruderholzspital in Basel eine Koryphäe, welche sich an den schwierigen Eingriff wagte. Es folgte ein längerer Reha-Aufenthalt in Rheinfelden. Hier blühte sie endlich wieder richtig auf, genoss die Umgebung, betätigte sich sogar künstlerisch. «Die Schmerzen konnte man mir nicht nehmen, doch ich lernte, anders damit umzugehen», sagt sie heute. Und sie habe neue Energie gewonnen in dieser Zeit, nachdem sie sich zuvor jahrelang durchs Leben schleppte. «Ich muss nicht mehr alles», sagt sie selber von sich. Sie mache zwar noch immer ihre Übungen, aber nicht mehr so verbissen wie früher. Und hoffe einfach, dass es nicht noch eine weitere Operation brauche.
Mit ihrem Buch will sie vor allem eins: anderen Mut machen. «Es lohnt sich zu kämpfen», so lautet ihre Botschaft. Ihr kaputtes Knie und die damit verbundenen Schmerzen haben sie fast ihr ganzes Leben begleitet. Doch den Lebensmut hat sie nicht verloren. Auch die Familie hat sie immer unterstützt. «Selbst die Enkel schauen beim Spazieren, dass sie mit mir auf Naturwegen unterwegs sind und nicht auf Asphalt, weil das für mein Knie besser ist», erzählt sie lächelnd. Und blickt wieder über den See, in dem sie so oft badet wie möglich. «Das Leben ist doch schön», meint sie zum Schluss.
Das Buch von Beatrice Widmer ist erhältlich in der Papeterie in Seengen oder kann per Mail bei der Autorin bestellt werden: widmer.b@gmx.ch.
Zu Gast in Villmergen
Beatrice Widmer lebt heute zwar in Seengen, hat den Grossteil ihres Lebens aber in Villmergen verbracht. Sie war Präsidentin ihres Jahrgängervereins und hat sich auch im Quartierverein Ballygebiet engagiert. Am Donnerstag, 1. Dezember, 19 Uhr, ist Widmer in ihrer alten Heimat zu Gast. In der Berg-Apotheke Villmergen wird sie ihr Buch «Meine endlose Knieodyssee» vorstellen und von ihren Erfahrungen berichten. Dazu liefert ihr Hausarzt die passenden medizinischen Erläuterungen. Beim anschliessenden Apéro hat man die Möglichkeit für persönliche Gespräche, zudem kann das Buch dort erworben werden. Für die Teilnahme ist eine Anmeldung in der Berg-Apotheke erwünscht: info@bergapotheke.ch.