«Das kommt nicht gut»
14.05.2024 Wohlen, EinwohnerratDer Einwohnerrat diskutierte gestern Montagabend über den aktuellen Finanzplan: Schelte für den Gemeinderat
Mit durchwegs kritischer Haltung haben praktisch alle Parteien den Finanzplan zur Kenntnis genommen. Der Gemeinderat bekam kaum eine positive Beurteilung ...
Der Einwohnerrat diskutierte gestern Montagabend über den aktuellen Finanzplan: Schelte für den Gemeinderat
Mit durchwegs kritischer Haltung haben praktisch alle Parteien den Finanzplan zur Kenntnis genommen. Der Gemeinderat bekam kaum eine positive Beurteilung zu hören. Die SVP setzte den Negativpunkt. «Wir sind mitten in einem Orkan», wetterte Peter Christen.
Daniel Marti
«Wie soll das alles finanziert werden?», fragte Daniel Heinrich, Präsident der Finanz- und Geschäftsprüfungskommission. Antworten gibt es allerdings fast keine. 151 Millionen Franken sollen gemäss Finanzplan in den nächsten zehn Jahren investiert und maximale 156 Millionen Franken Schulden gestemmt werden. Mit der Erhöhung des Steuerfusses von aktuell 116 über 120 auf 124 Prozent sei dies noch lange nicht gemeistert. «Wir müssen jetzt Kosten prüfen, hinterfragen, Alternativen suchen», so Heinrich weiter. «Das sind wir dem Volk schuldig. Und es kommt jetzt die Zeit, wo neue Wege und neue Lösungen gesucht werden müssen.» Die Kommission nehme den neuen Finanzplan jedenfalls «mit wachen Augen» zur Kenntnis.
«Wir können nicht zwischen Szenarien wählen …»
Der Finanzplan zeige halt einmal mehr auf, dass es schwierig sei, mit dem tiefen Pro-Kopf-Steuerertrag alle Aufgaben zu erfüllen, betonte Finanzministerin Denise Strasser. Damit erklärt sich laut Gemeinderätin die hohe Netto-Verschuldung von 156 Millionen Franken bis ins Jahr 2030, wobei die Spitzen-Bruttoverschuldung sogar auf 165 Millionen Franken steigen wird.
Sie wisse, so SP-Präsidentin Laura Pascolin, dass der Gemeinderat in einer Art Zwickmühle steckt. Einerseits sind da die Projekte und Investitionen, die eben dringend anstehen, andererseits wächst der Schuldenberg. «Aber der Einwohnerrat kann Prioritäten verlangen.» Ob sich denn der Gemeinderat mit einer Finanzstrategie auseinandergesetzt habe, wollte Pascolin wissen. Da gibt es ja diverse Varianten, verschiedene Szenarien. «Wir können gar nicht mehr zwischen verschiedenen Szenarien wählen», antwortete Gemeinderätin Strasser. Denn die Gemeinde Wohlen habe so viele anstehende Aufgaben zu erfüllen, «und viele Ausgaben können wir nicht einmal beeinflussen. Die Situation ist ganz einfach schwierig. Es braucht immer ein Abwägen: Was ist gut, was kann hinausgeschoben werden?»
«Wohlen wird zur Steuer-Hölle»
Es sind vor allem die Investitionen in die Bildungsinfrastruktur (108 Millionen), die finanzielle Probleme bereiten. Diese Zahl kritisierte vor allem Lionel Zingg (FDP). «Die Kosten für die drei Zyklus-1-Schulhäuser sind einfach zu hoch, die müssen deutlich runter.» Nur schon aus diesen Posten entsteht laut Zingg eine «Finanzlücke, die nicht tragbar ist». Auch der Steuerfuss von 124 Prozent sei nicht akzeptabel. «Da wird Wohlen zur Steuer-Hölle.» Man müsse bedenken, dass die Steuerfusserhöhung auf 116 Prozent im vergangenen Januar nur eine knappe Mehrheit erhalten habe. «Dieses Resultat gilt es zu akzeptieren.» Und künftig müsse man zu immer neuen Stellen in der Verwaltung auch mal Nein sagen.
Auch die Grünliberalen sind besorgt. Ihr Sprecher Philipp Stäger warnte davor, dass man nicht mal wisse, wohin sich die Zinsen bewegen. «Und die Verschuldung wird höher sein als der gesamte Steuerertrag über drei Jahre.» Zudem gebe es in den nächsten Jahren nur negative Jahresergebnisse. Da müsse man doch besorgt sein. Und letztlich sei vieles im Finanzplan reines «In-die-Glaskugel-Schauen».
Was bedeutet ein Nein zur Steuerfusserhöhung?
Nicht jede Sorgenfalte kann dagegen Patrick Schmid, Grüne, verstehen. «Die grossen Geschäfte haben wir im Einwohnerrat ja schon lange auf dem Radar. Auch die Kosten für den neuen Schulraum bringen wir nicht einfach los.» Und der Steuerfuss sei doch kein Wunschkonzert, kritisierte er weiter. Alle wollen doch laut Schmid darauf achten, dass in Wohlen die Lebensqualität hoch sei, und diese soll auch so erhalten bleiben. «Aber was ist denn, wenn das Stimmvolk Nein sagt zu den Steuerfusserhöhungen?», konterte Daniel Heinrich für die Mitte. «Wie geht dann der Gemeinderat mit dem Schulraum, mit dem Verkehr, mit den Stellen vor? Wie lösen wir dann die Probleme – ohne dass die Qualität leidet?» Auch darum nehme die Mitte den Finanzplan nur kritisch zur Kenntnis.
Gewitter, Orkan, Drama
Aber so richtig scharf geschossen wurde erst, als die SVP-Vertretungen ans Mikrofon traten. Claudia Hauri als SVP-Sprecherin deckte auf, «dass uns der Gemeinderat nur die halbe Wahrheit erzählt». Auch für den Gemeinderat sei die Schuldenlast besorgniserregend. So steht es im Finanzplan. «Aber warum zeigt er nicht auf, wie die Schulden reduziert werden könnten?» Aus der Sicht von Hauri wolle der Gemeinderat vieles nur schönreden, «dabei fährt er die Gemeindefinanzen mit Vollgas an die Wand».
Die Finanzexpertin hofft, dass sämtlichen Einwohnerratsmitgliedern endlich die Augen geöffnet werden. Die SVP werde in Zukunft anstreben, Investitionen zu streichen. «Und wir werden das mit gesundem Menschenverstand tun.» Für Peter Christen, ebenfalls SVP, herrscht der Notstand schon länger. «Seit sechs Jahren sagen wir, das kommt nicht gut. Da kommt ein Gewitter auf uns zu. Und jetzt sind wir schon mitten in einem Orkan.»
Gibt es noch eine Steigerungsform? In der Regel ist für die Steigerung SVP-Finanzexperte Johnny Nicoll verantwortlich. So auch in dieser Debatte. «Jetzt staunen plötzlich alle, und alle betrachten den Finanzplan kritisch», so Nicoll. «Und jetzt sehen alle, wohin die Reise geht.» Der Einwohnerrat habe 95 Prozent aller Vorlagen durchgewunken, «und jetzt jammern alle wegen des Dramas.» Die Hauptschuld sieht Johnny Nicoll jedoch beim Gemeinderat. Der überlege nicht mal, wie die Einnahmen ausserhalb der Steuern gesteigert werden könnten. Er sehe keine einzige Massnahme. «Nicht einen Vorschlag präsentiert der Gemeinderat, wie er denn gedenkt, das Steuer herumzureissen.»
Ähnlich sprach Johnny Nicoll schon öfters. Passiert ist nichts. Dieses Mal reagierte Laura Pascolin, sie machte ihre Drohung wahr.
Die SP handelt: Motion «Finanzstrategie» eingereicht
Die SP reichte tatsächlich während der Sitzung die Motion Finanzstrategie ein. Der Antrag: Zur langfristigen Steuerung der Finanzen der Gemeinde Wohlen soll der Gemeinderat eine Finanzstrategie erstellen, die auch den kommenden Generationen politischen Gestaltungsspielraum ermöglicht. «In der Finanzstrategie sollen zudem klare Zielvorgaben festgelegt werden, die durch ein Zahlencockpit jährlich in der Jahresrechnung geprüft werden können.» Als Beispiel nannte die SP die Finanzstrategie der Stadt Bern. Sie soll dem Gemeinderat für Klarheit dienen.
Die Erarbeitung der Finanzstrategie soll durch die FPGK und die Einnahmekommission begleitet werden, so lautet eine weitere Forderung der SP. Wohlen soll langfristig finanziell auf sicheren Beinen stehen. «Um künftige Investitionen stemmen zu können, braucht es klare Leitplanken.» Als Zentrumsgemeinde habe Wohlen eine Vielzahl von Herausforderungen zu meistern – mit einer Finanzstrategie könnte auch das besser gehen. Wenigstens klingt das ein wenig hoffnungsvoll.