Beten für schlechtes Wetter
25.07.2025 Wohlen, FilmRegisseur Victor Rohner kam mit seinem Film «Hölde» ins Open-Air-Kino
Der frühere Journalist und Sportkommentator Victor Rohner hat unzählige Reportagen realisiert in seiner Heimat, der Ostschweiz. «Mach doch mal einen richtigen Film», ...
Regisseur Victor Rohner kam mit seinem Film «Hölde» ins Open-Air-Kino
Der frühere Journalist und Sportkommentator Victor Rohner hat unzählige Reportagen realisiert in seiner Heimat, der Ostschweiz. «Mach doch mal einen richtigen Film», musste er sich immer wieder anhören. Das hat er getan – und gleich einen Überraschungserfolg gelandet.
Chregi Hansen
Ein wenig Stolz ist spürbar. Fast 60 000 Menschen haben seinen Film schon gesehen. «Das ist bei den aktuellen Schweizer Dokumentarfilmen hinter dem neuen Werk über den Dalai Lama Platz 2», berichtet Regisseur und Produzent Victor Rohner. Damit hat er nicht gerechnet. Und auch der Bund nicht. Der wollte erst gar kein Geld sprechen für die Realisierung. Die Sicherung der Finanzierung war denn auch eine der grössten Herausforderungen bei dieser Produktion.
Die zweite waren die Dreharbeiten selbst. «Hölde» spielt grösstenteils auf dem Säntis. Verteilt über ein Jahr, zu allen Jahreszeiten und bei unterschiedlichstem Wetter, wurde auf dem Ostschweizer Hausberg gedreht. «Es war meine grösste Sorge, dass es zu einem Unfall kommt. Denn das Alpstein-Gebirge ist gefährlicher, als viele glauben», erzählt Rohrer. Er weiss, wovon er spricht. Der frühere Fernsehkommentator für alpine Skirennen, Radrennen, Motorradrennen und Tennis ist im Rheintal aufgewachsen. Hatte den Säntis stets vor Augen. In den vergangenen Jahren realisierte Rohner in der Region über 120 touristische Sendungen. War dafür immer wieder im Alpstein-Gebirge unterwegs. Er wandert auch in seiner Freizeit und kennt darum die Gefahren in den Bergen genau.
Mord ist bis heute unvergessen
Bei seiner Arbeit kam Rohner auch mit den Menschen ins Gespräch. Sie waren es, die ihn ermuntert haben, einen Film über den Säntis zu drehen. Respektive über die Säntisträger. Die mutigen Männer, die während Jahrzehnten Material vom Tal auf den Berg geschleppt haben. Mit bis zu 30 Kilo auf dem Rücken – von Kohle über Essen bis zu Instrumenten und Baumaterial – wagten sie bei jedem Wetter den schweren Aufstieg. Und da war noch diese Wunde in den Seelen vieler Ostschweizer. Der Doppelmord auf dem Säntis. Am 21. Februar 1922 wurde das damalige Wetterwart-Ehepaar Haas auf dem Säntis von einem Bekannten ermordet und erst Tage später aufgefunden. Der Fall ist bis heute unvergessen. Zum einen, weil das Paar sehr beliebt war und ihr Tod die Region erschüttert hat. Zum anderen, weil das Geschehen 1990 im Spielfilm «Der Berg» nacherzählt wurde, die Dreharbeiten aber nicht auf dem Säntis, sondern auf dem Pilatus stattfanden und viel an der Geschichte geändert wurde. «Das kam im Appenzell gar nicht gut an», weiss Rohner.
Der Landammann als Helfer
Der erfahrene Journalist und Fernsehmann hat lange überlegt, ob er den Film machen will. Auf einer Trekking-Reise nach Nepal konnte er die Arbeit der Sherpas bestaunen. «Da wurde mir bewusst: Über diese gibt es bereits Dutzende von Filmen. Über die Säntisträger aber keinen.» Das wollte der Ostschweizer ändern. Die Realisation erwies sich aber als gar nicht so einfach. Mit der Eröffnung der Säntis-Bahn 1935 endete die Arbeit der Träger. Zeitzeugen von damals gibt es keine mehr. Auch sonst gibt es nur wenige Quellen zu der Arbeit dieser mutigen Männer. «Das hat aber auch Vorteile. Man muss sich bei der Recherche nicht durch einen Berg von Akten arbeiten», erzählt Rohner schmunzelnd.
Wertvolle Hilfe bekam der Regisseur durch hinterbliebene Familienmitglieder und auch durch den früheren Appenzeller Landammann Roland Inauen. Er kennt Land und Leute und als Historiker auch die Geschichten. «Er konnte daher die Geschehnisse von damals richtig einordnen», lobt Rohner.
Der Filmemacher hat sich für die Form eines Dokudramas entschieden. Er mischt Aufnahmen und Aussagen von heute mit nachgestellten Szenen von früher. Diese zeigen die schwierige und auch gefährliche Arbeit der Träger, die auch bei Schnee und Sturm den Weg zum Gipfel auf sich nahmen. So manch einer kehrte nicht mehr zurück, wurde Opfer einer Lawine oder ist abgestürzt. «Wir wollten das möglichst realitätsgetreu nachspielen. Darum haben wir regelmässig für schlechtes Wetter gebetet», berichtet Rohner. Zum Einsatz kamen – neben einem Profi in der Hauptrolle – nur Laien. Es waren die Mitglieder der Theatergesellschaft Appenzell. Rohner ist des Lobes voll für deren Leistung. Auch Schauspieler Matthias Flückiger zeigte sich beeindruckt. «Er meinte am Schluss nur: Für was habe ich jahrelang studiert, wenn das Laien ebenso gut können.»
3000-mal auf dem Gipfel
«Hölde – Die stillen Helden vom Säntis» bietet dem Publikum sehr viel. Der Film dokumentiert zum einen die Arbeit der Träger. «Es war mir wichtig, ihre Arbeit zu ehren. Es ist verrückt, was sie geleistet haben», sagt Rohner. Zum Zweiten wird die Geschichte der höchstgelegenen Wetterstation Europas nacherzählt. Deren Eröffnung 1882 war ein Meilenstein der Meteorologie. Die Daten mussten fünfmal täglich von Hand abgelesen und via Telegraf ins Tal gemeldet werden. Das machte es nötig, dass die Station immer besetzt war – deren Bewohner waren dem Berg, dem Wetter und der Einsamkeit ausgeliefert. Für den Bau und die Versorgung kamen die Träger zum Einsatz. Einer von ihnen war Andreas Rusch – er bestieg in seiner 25-jährigen Tätigkeit als Säntisträger den Säntis über 3000 Mal. Eine Leistung, die auch den Bund beeindruckte. Er zahlte ihm nach seinem Rücktritt eine lebenslange Pension aus. Die Säntisträger, die für die Wetterstation im Einsatz waren, galten sozusagen als Bundesangestellte.
Gelungener Mix
Natürlich wird in seinem Werk auch der Doppelmord nacherzählt. Und zwar so, wie er sich wirklich ereignet hat. Der Film ist aber auch eine Hommage an das Appenzell und seine Menschen und Traditionen. Aufnahmen von heute wechseln immer wieder mit den nachgestellten Szenen von früher und mit historischen Fotoaufnahmen. Dazu berichten die Nachkommen der damaligen Träger von den Geschichten, die sie in der Familie mitbekommen haben. «Eigentlich hätte man den Film 20 Jahre früher machen müssen», sagt Rohner heute. Dann hätte man vermutlich noch mit echten Zeitzeugen reden können. So bleiben vor allem Erinnerungen. Und ganz viel Respekt.
Vieles hat sich verändert im Leben der Appenzeller. Gleich geblieben ist der Säntis. «Er ist mit 2500 Metern nicht der höchste Berg. Aber er steht unglaublich exponiert. Und die Wetterbedingungen hier sind ganz speziell», weiss Victor Rohner. Mit seinem Film hat er dem Berg und den Menschen dort ein Denkmal gesetzt. Die Arbeit der Säntisträger ist schon lange zu Ende. Seine hingegen nicht. «Der Bund hat ganz am Schluss doch noch Gelder zur Verfügung gestellt. Allerdings als Filmförderung für weitere Werke. Also muss ich wohl noch einen Film machen», berichtet der 77-Jährige lachend, bevor er sich auf den Heimweg in die Ostschweiz macht.