Seya geht den Weg weiter

  09.03.2019 Kampfsport

 

Auf den Spuren des Vaters
 

Zu Besuch bei Seya und Ilona Hug in Los Angeles

Von Stefan Sprenger


Er ist nicht tot. «De Papi», er ist immer noch da. Sohn Seya nimmt sein Handy aus der Jeans. Als Bildschirmschoner erstrahlt ein Bild des «Tetsujin», zu Deutsch «Iron Man». Ein Foto von Andy Hug zu seinen besten Zeiten. Muskelbepackter Oberkörper, der Schnurrbart als Markenzeichen in einem selbstsicheren Gesicht, das ausdrückt: «Mich kann niemand stoppen.» Sein Sohn Seya blickt auf den Bildschirm. «Papi war der Wahnsinn.» Er steckt das Smartphone zurück in die Hosentasche. Seya schaut  zu seiner Mutter Ilona. Ihr Blick verrät, wie stolz sie auf ihren Sohn ist.

Die Bedenken des Umfeldes

Die beiden sitzen auf der Terrasse des  Restaurants «Salt» in Marina del Rey, gleich neben dem Venice Beach in Los Angeles, USA. In der schwarzen Sonnenbrille der Mutter spiegeln sich die Segelmasten des nahe liegenden Hafens, der Anlegeplätze für 5300 Boote hat. Hier hält sich die «High Society» auf, Schauspieler, Geschäftsleute, Reiche und Schöne.

Ilona Hug zieht schwungvoll die Sonnenbrille aus ihrem Gesicht. «Aus unserem Umfeld bekam ich einiges an Bedenken zu hören», sagt sie. Die Gegenstimmen kamen, als Freunde und Familie vom Entscheid hörten, wie Sohn Seya seinen Lebensunterhalt verdienen will. «Schauspieler zu sein, ist kein normaler Job. Man weiss nicht, ob man es schafft und irgendwann davon leben kann», meint die Mutter. Seya schaut nach unten, seine Backen ziehen sich zusammen, werden rund, in seinen Mundwinkeln erscheinen kleine Falten. Es ist dasselbe Lächeln zu sehen, wie es sein Vater Andy jeweils hatte. Es bedeutet: «Ich schaffe das sowieso.»

Schon als Kind kommt Seya Hug immer wieder nach Los Angeles. An einer internationalen Schule geniesst er früh eine gute Ausbildung. Daher auch sein akzentfreies Englisch. Der Lebensmittelpunkt war lange die Schweiz, die Familie lebte in Horw, bis er 2013 definitiv nach Los Angeles zog. Mit damals 18 Jahren studierte er Wirtschaft und Film an der «Loyola Marymount University».

Mutter war die Kupplerin bei der «grossen Liebe»

Er vermisst den Luzerner Rahmkäse, Bündnerfleisch und seine Liebsten in der Schweiz – doch er verliebt sich endgültig in die Stadt der Engel. Wirtschaft studieren und später ein «Bänkler» sein? Das will er jedoch nicht. Nach zwei Jahren verlässt er die Universität und das Studium. Seya will Schauspieler werden. Er absolviert die zweijährige Ausbildung an der «Lee Strasberg»-Schauspielschule in Hollywood und nimmt Privatunterricht bei Coaches. Die Mutter unterstützt ihn. Finanziell,  aber vor allem mental.

In dieser Zeit lernt er Taylor kennen, die «Liebe seines Lebens», wie Seya  sagt. Mutter Ilona spielt den «Match­maker», die Kupplerin. «Ich kannte Taylors Bruder und wir beide fanden, dass sie sich kennenlernen sollten», so Ilona. Ein Date wird vereinbart. Taylor, die Innenarchitektin aus Texas, die Schränke und Zimmer für grosse Stars kreiert, und Seya, der angehende Schauspieler und Sohn der Kampfsportlegende aus Wohlen, sie verliebten sich über alle vier Ohren. Und sie heirateten ein Jahr später, 2016, am Samstag, 13. August, dem Hochzeitsdatum von Andy und Ilona Hug. Seya ist damals 21 Jahre jung. «Ich wusste, Taylor ist die eine und Richtige. Wenn man die richtige Frau gefunden hat, spielt das Alter keine Rolle.»

Manchmal «piekst» ihn Andy

Dasselbe hat wohl auch Andy Hug gesagt, als er sich in den 90er-Jahren während eines Fotoshootings unsterblich in eine hübsche Blondine verliebte. Ihr Name: Ilona. Sie heirateten. An einem 13. August. Sie bekamen ein Kind am 19. November 1994. Seya ist sein Name. Augen, Nase, Stirn, die Herzlichkeit, das Lachen, diese Dinge hat er von der Mutter. Von seinem berühmten Vater hat Seya Bescheidenheit, Power, Ehrgeiz – und den Körperbau. «Hände, Füsse, Beine, Oberkörper, vieles an Seya hat er extrem von seinem Vater geerbt», meint Mama Ilona. Seit dem Jahr 2000 ist sie Witwe, ihr Mann starb an akuter Leukämie. «De Andy», er ist immer noch da. Seya  spürt ihn. Manchmal «piekst» er ihn,  um ihn auf die richtige Spur zu bringen, wie er sagt.

Die richtige Spur. Seya scheint diese gefunden zu haben, um seinen Traum vom Schauspieler zu erfüllen. Er ergattert sich Kurzauftritte in den Filmen «Lucky Girl» (2015) und «Walk of Fame» (2017). Im letzten Jahr folgt die erste Hauptrolle. «Shiner» heisst der Film. Er spielt Matt, den Kampfsportler, der von einer Weltkarriere träumt. Wie passend, denn Vater Andy Hug schafft diese Film-Story im wahren Leben – aus dem kleinen Wohlen stammend wird er ein Kampfsport-Star, gefeiert in vielen Teilen der Welt.
31 Tage lang steht Seya Hug für «Shiner» vor der Kamera. Nach dem ersten Drehtag ist er total euphorisch: «Mama. Ich will nie mehr etwas anderes machen.» Für Ilona Hug ist dies ein ergreifender Moment. «Ich wusste, ich habe alles richtig gemacht. Die Leute, die zweifelten, hatten unrecht. Denn das Wichtigste im Leben ist, seinen Traum zu leben.» Das habe Andy Hug schon immer gesagt.

Eigene Bar eröffnet

So geht Seya nun fleissig und geduldig seinen Weg. Sein Alltag: Er steht um 6 Uhr morgens auf, erledigt Dinge, die anstehen, nimmt Schauspielunterricht, meldet sich für Castings an. Vor dem Mittagessen geht er ins Ju-Jitsu- oder Muay-Thai-Training. Seya ist ein grosser Kampfsportfan. Ehrensache als Sohn einer Legende. Er hat den Schwarzgurt im Taw Kwon Do und  viele Kampfsportarten schon mal ausgeübt. Die Nachmittage gestaltet er je nach Bedarf. Sport, Lesen, Vorsprechtermine. Abends geht es oft in die Bar. In seine Bar.

Sie befindet sich in West Hollywood. Im August 2018 hat Seya sie zusammen mit einem Kumpel eröffnet. «Es läuft super, wir bauen eine Stammkundschaft auf und wollen bald auch Essen anbieten.» Hinter der Bar fühlt er sich sowieso wohl. Es ist der beste Platz, um sich ein Netzwerk zu schaffen. Und Drinks mixen mag er sowieso. Mutter Ilona hat ihm vor Jahren einen Privatkurs in «Mixologie» – der Kunst des Drink-Mixens – geschenkt. Nun ist die Bar sein Haupteinkommen, wenn er gerade keinen Auftrag  als Schauspieler hat.
Seya Hug wird gefragt, ob ihn denn die Leute auf der Strasse in Los Angeles schon erkennen – immerhin hatte er eine Hauptrolle in «Shiner». Der 24-Jährige lacht. «Nein. Einen Oscar habe ich auch nicht gekriegt. Aber es war ein guter Start und hoffentlich ein Sprungbrett.» Auch in der Traumwelt Hollywood muss man sich langsam hinaufarbeiten. Was folgt als Nächstes? «Eine Rolle in einer Serie, eine Neben- oder sogar wieder eine Hauptrolle in einem Film, das wäre genial», sagt Seya. Er kneift die Augen zusammen, weil er durch die Sonne geblendet wird. Er formt mit seiner flachen Hand einen Blendschutz über den Augen und meint: «Ich möchte der beste Schauspieler sein, zu dem ich in der Lage bin.» Auch wenn er noch nichts verraten darf, aber es sind sich einige Dinge «am Entwickeln».

Mutter Ilona zieht in einem Wisch ihre Sonnenbrille weg, während sich ihre blonden Haare kaum bewegen.  Sie sagt: «Von den Film-Leuten, mit denen er bislang arbeitete, heisst es jeweils, er habe ein riesiges Talent und dass er es schaffen wird als Schauspieler.» In Seyas Gesicht erscheint wieder dieses selbstbewusste Lächeln.

Doch wer glaubt, er sei so töricht und habe die Vorstellung, sein Traum klappe ohne Aufwand, der irrt. Seya Hug, ein sensibler Mann, er hat auch  Bedenken. «Wenn ich zweifle, ist Papi da, er wacht über mich, er zeigt mir den Weg.» Damals, im August des Jahres 2000, da «ging alles sehr schnell». Für den 6-jährigen Seya bricht eine Welt zusammen. «De Papi», er war tot. Weg. Nicht mehr da. «Ich vermisse ihn. Jeden Tag.» Ohne Vater aufzuwachsen, sei hart gewesen, «doch Mama übernimmt beide Rollen».

«Am Ende geht irgendwie alles wieder auf»

Ilona Hug. Die Mutter. Die Witwe. Sie kennt die Geschichte von Andy und von Seya wie niemand sonst. Es ist ein Sonntagmorgen Ende Januar 2019, die Wintersonne wird immer heisser in Los Angeles. Mittlerweile herrschen auf der Terrasse des Restaurants «Salt» in Marina del Rey an die 30 Grad. Das mehrstündige Treffen der Hugs mit dem Besuch aus der Schweizer Heimat neigt sich dem Ende zu. Ilona Hug beschreibt zum Schluss einen «Meilenstein», einen Moment, der sie verblüffte. Für Aussenstehende erscheint es fast gespenstisch, wenn sie diese Geschichte erzählt.  

Andy Hug hegte Jahre vor seinem plötzlichen Tod einige Pläne, um Schauspieler zu werden. Er nahm bereits Schauspielunterricht und hatte mehrere Film-Angebote. «Wir planten, nach Los Angeles zu gehen», sagt Ilona. Dort hätte Andy nach der Kampfsportkarriere seinen Traum verwirklichen wollen. Doch dazu kam es nicht. Im Jahr 2000 starb Andy Hug. Etwa vier Jahre später schreibt Seya – er war 10 Jahre alt – in sein Tagebuch, dass er Schauspieler werden möchte. Als Mutter Ilona dies mitbekommt, kann sie es kaum fassen. «Ich habe ihm nie von den Plänen seines Vaters erzählt», sagt sie – und kriegt Gänsehaut. Seya muss bei dieser Erzählung lächeln, es ist wieder dasselbe selbstsichere Lächeln seines Vaters Andy Hug. «Am Ende geht irgendwie alles wieder auf. Wir sind nicht alleine», meint Ilona. Dort, wo der Weg von Andy Hug enden musste, dort macht sein Sohn Seya weiter. «De Papi», er ist immer noch da.


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