Zeiten des Umbruchs zeigen
07.02.2025 BremgartenDas Kellertheater spielt «Vater und Söhne»
In seiner neuen Eigeninszenierung präsentiert das Kellertheater unter der Regie von Dodó Deér ein Drama aus dem 19. Jahrhundert. Seine Botschaft hat indes nichts an Aktualität ...
Das Kellertheater spielt «Vater und Söhne»
In seiner neuen Eigeninszenierung präsentiert das Kellertheater unter der Regie von Dodó Deér ein Drama aus dem 19. Jahrhundert. Seine Botschaft hat indes nichts an Aktualität eingebüsst.
Marco Huwyler
Arkadij und Jewgenij sind zwei Männer, wie sie auch heute irgendwo im Freiamt leben könnten. Mal abgesehen vom Namen. «Genau das ist es, was für mich den Reiz des Stückes ausmacht und schlussendlich dazu geführt hat, dass wir uns dafür entschieden haben», sagt Dodó Deér lächelnd. Das Allgemeingültige, das ewig Wiederkehrende beziehungsweise schlicht das Menschsein steht im Zentrum von «Väter und Söhne». Einem Roman aus dem Jahr 1862 von Iwan Sergejewitsch Turgenjew.
Nihilistisch geprägt von ihrem Studium kommen Arkadij und Jewgenij für den Sommer in ihre ländliche Heimat zurück. Die beiden stellen Gesellschaft und Wahrheiten ihrer Väter völlig infrage und wollen die Welt neu erschaffen – wenn es sein muss mit Gewalt. Doch damit ecken sie nicht nur bei ihren Eltern an, sondern stossen auch in der Realität auf Widersprüche und Konflikte. Denn das Verliebtsein und zwei junge, kluge Frauen kommen ihrem bedingungslosen Idealismus in die Quere. So nimmt das Drama mit seinen starken Charakteren, leidenschaftlich ausgefochtenen Steitgesprächen, Wendungen und Gefühlen seinen Lauf.
Hohe Ansprüche
«Ich bin zufällig auf ‹Väter und Söhne› gestossen, als ich mich in meiner Muttersprache mit Literatur und Theater beschäftigte», erzählt Deér. Auf ungarisch las er das russische Stück, war alsbald gefesselt davon und fragte sich, ob das nicht etwas sein könnte für die Bremgarter Eigeninszenierung. Für diese zeichnet Deér zum bereits dritten Mal nach 2017 und 2022 als Regisseur verantwortlich. Der Theatermann weiss also genau, was gefragt ist im Kellertheater, wo die Verantwortlichen trotz ihres Amateurdaseins stets einen hohen Anspruch an sich selbst stellen. Primär wollen die Leute vom Kellertheater natürlich unterhalten. Aber nicht nur. Ein gewisses Niveau müssen die inszenierten Stücke schon haben. Und wenn möglich eine aktuelle Botschaft transportieren. «Aber nicht zu plump», wie es Anja Betschart ausdrückt, die sowohl für die Produktionsleitung verantwortlich ist als auch selbst als Schauspielerin fungiert. In globalen Zeiten des Umbruchs, wo scheinbar zementierte Wertvorstellungen und Weltordnungen gerade erodieren, sollte das Stück ebenfalls einen solchen Umbruch thematisieren – ohne dabei aber zu offensichtlich moderne Themen und Schlagwörter wie Umweltverantwortung, Inklusion oder Kapitalismuskritik ins Zentrum zu stellen. «In ‹Väter und Söhne› fanden wir genau diesen Zugriff auf das Thema Umbruch, welcher die Eigenheiten des Mediums Theater in all seiner Sinnlichkeit zu nutzen weiss», sagt Deér.
Bühne inmitten der Zuschauer
Dass aus dem 163-jährigen Roman Turgenjews sein solches Theaterstück wurde, ist dem Dramatiker Brian Friel zu verdanken. Der Ire adaptierte den Roman 1987 fürs Theater. Und zwar auf eine Art und Weise, «wie es eine Kunst ist», wie Deér findet. «Friel hat den Roman nicht bloss eingedampft, sondern sorgfältig auf jene Zutaten gesetzt, die ein gutes, fesselndes Theaterstück ausmachen.» Zentral dabei ist für Deér vor allem eines: «Die Menschen stehen im Zentrum und sind wichtiger als die Message und die Ideologie.» So böten die Figuren und Charaktere viel Raum zur Entfaltung. Vieles sei zwischen den Zeilen lesbar. «Das macht es auch anspruchsvoll für die Schauspieler», sagt der Regisseur. «Sie müssen sich intensiv mit ihren Figuren auseinandersetzen und ihnen charakterliche Tiefe verleihen.»
Eine besondere Herausforderung für die Darsteller ist auch die Bühne, wie sie in der diesjährigen Eigeninszenierung gestaltet wurde. Wie in einer Arena sind die Zuschauer rund um das Schauspiel platziert. Folglich muss die Handlung von jeder Seite und allen Winkeln her gut ersichtlich verfolgt werden können. Eine Anordnung, die es auch für die Technik nicht ganz einfach macht. Müssen doch die Scheinwerfer die Mitte des Raumes beleuchten, ohne dass irgendwelche Zuschauer im Licht sitzen. Auch dies will erst einmal geübt und eingespielt sein.
Feilen an Details
Seit dem September tun dies die Beteiligten auf und neben der Bühne mindestens zweimal pro Woche gemeinsam. Die Proben sind intensiv und akribisch. Auch an Details wird gefeilt. Dafür sorgt unter anderem Choreografin Mariana Coviello. «Dieser Übergang der unterschiedlichen Emotionen muss noch klarer und überzeugender herauskommen», sagt sie beispielsweise ans versammelte Kollektiv gerichtet, als in einer der letzten Proben eine Schlüsselszene gespielt wird. Das Ensemble transportiert seine Geschichte nicht bloss mit Worten. Auch der Gesang und die Körpersprache spielen eine wichtige Rolle. «Dabei geht es nicht primär ums Schön-Aussehen, sondern ums Erzählen», erklärt Coviello. «Ein Theaterstück lebt auch vom Schrägsein. Vom Unkonventionellen. Von subtilen Gesten, welche vom Publikum bewusst oder unterbewusst wahrgenommen werden.» Es ist wahrhaft ein grosses Team, welches zusammen daran arbeitet, dass bei der Premiere am 15. Februar alles stimmt. «Das finde ich so toll an unserer Kunstform», sagt Regisseur Deér. «Ein gutes Theaterstück funktioniert nur als Kollektiv. Es ist ein Gemeinschaftswerk.»
Viel Klassik
Wie immer beim Kellertheater spielt dabei auch die Musik eine zentrale Rolle. «Ich sehe meine Arbeit als zudienend und unterstützend», sagt Fredi Spreng, der die Verantwortung über die musikalische Komponente trägt. «Die Klänge haben die Aufgabe den Generationenkonflikt, der in diesem Stück zentral ist, gefühlsmässig noch mehr zum Tragen zu bringen und zum Publikum zu transportieren.» Vieles in «Vater und Söhne» ist vom Stück vorgegeben. Viel Klassik kommt vor, wie etwa Mozarts «Reich mir die Hand mein Leben». «Doch wir arbeiten auch mit musikalischen Brüchen», schmunzelt Spreng. Darüber möchte er aber im Vorfeld noch nicht zu viel verraten. «Das Publikum wird es auf jeden Fall merken.»
Lang aber kurzweilig
Insgesamt 14 Schauspieler sind es, welche im Kellertheater die drei russischen Familien verkörpern, zwischen denen sich «Väter und Söhne» abspielt. Ein Stück, welches ziemlich exklusiv männlich tönt, dies aber in keiner Weise ist, wie Dodó Deér betont. «Die Frauen sind für die Geschichte zentral. Sie sind nicht nur schön, sondern vor allem klug. Sie beseelen das Stück», sagt der Regisseur. Mit ihnen stürzt sich das Publikum in ein Wechselbad der Gefühle, das nicht nur bestens unterhält, sondern auch zum Nachdenken anregt. So gelingt es stets, kurzweilig zu sein, obwohl die Inszenierung eine abendfüllende Sache ist. Damit es nicht zu spät wird, beginnen die 15 Aufführungen eine Dreiviertelstunde früher, als man sich dies aus früheren Jahren beim Kellertheater gewohnt ist. Sie starten jeweils bereits um 19.30 Uhr. Geboten wird einem dafür ein Abend voller Leidenschaften, eine emotional verschlungene Geschichte mit der Liebe als Motor – und ein Konflikt zwischen Alt und Jung mit ideologischen Fragen, die 2025 genauso aktuell sind, wie sie es bereits 1862 waren.
«Väter und Söhne», Eigeninszenierung des Kellertheaters, vom 15. Februar bis zum 29. März. Weitere Infos, Tickets und Reservationen für die 15 Aufführungen gibt es unter www.kellertheater-bremgarten.ch