Würde gegeben
01.04.2025 Mutschellen, WidenDer ehemalige Gefängnisseelsorger Bruno Zeltner sprach am Frühstückstreff über seine Arbeit
Elf Jahre lang betreute der ehemalige Leiter der katholischen Kirchgemeinde Rudolfstetten Bruno Zeltner in den Untersuchungsgefängnissen Aarau und ...
Der ehemalige Gefängnisseelsorger Bruno Zeltner sprach am Frühstückstreff über seine Arbeit
Elf Jahre lang betreute der ehemalige Leiter der katholischen Kirchgemeinde Rudolfstetten Bruno Zeltner in den Untersuchungsgefängnissen Aarau und Unterkulm Gefangene als Seelsorger. Am Frühstückstreff der reformierte Kirche Bremgarten-Mutschellen gab er Einblick in diese Arbeit.
Roger Wetli
«Der zwei Meter grosse Deutsch-Russe schrie, als wäre er am Messer», erzählte der Wider Bruno Zeltner am Frühstückstreff eine sehr eindrückliche Erinnerung aus seiner elfjährigen Tätigkeit als Gefängnisseelsorger. Der Deutsch-Russe wurde dabei nicht von anderen Gefangenen oder von den Gefängniswärtern bedrängt, sondern hatte nur eine Hand des Seelsorgers auf seinem Kopf, der ihn auf eigenen Wunsch des Gefangenen segnete. «Die grossen Schmerzen lösten bei ihm die Erinnerungen an seine Grossmutter aus», weiss Zeltner. «Der Deutsch-Russe erzählte mir, dass ihm seine Grossmutter ebenfalls die Hand auf den Kopf gelegt hatte, als sie starb und sie ihm sagte: Junge, bleib brav.»
Trostlose Umgebung
Bruno Zeltner betreute ab 2010 elf Jahre lang als Seelsorger Gefangene in Aargauer Untersuchungsgefängnissen. Er war zusammen mit einem Kollegen der Erste, der das tat. «Zuvor wurden die Gefangenen nicht seelsorgerisch betreut. Es gab zwar Psychologen und Pfarrer, diese wurden aber manchmal von den Gefangenen missbraucht, indem sie für sie Dinge organisierten, die sich nicht durften», so Zeltner.
Der Seelsorger beschrieb am Frühstückstreff eindrücklich, was geschieht, wenn man in ein Untersuchungsgefängnis eingeliefert wird. «Damit Sie wissen, was Sie möglicherweise erwartet», schmunzelte er zu den grossmehrheitlich pensionierten Zuhörern. «In diese Anstalt kommen Sie, wenn Sie bei einer schweren Tat ertappt werden oder es einen schweren Verdacht gibt. Sie werden zuerst nackt ausgezogen, alle Löcher ihres Körpers werden nach Schmuggelgut untersucht und Sie erhalten neue Kleider. Alles Private wird Ihnen abgenommen», erzählte der Gefängnisseelsorger. «Ihre Zelle ist 7½ m2 gross. Es gibt eine Toilette ohne Deckel, ein Brünnlein, ein kleines Mäuerchen, ein Bett mit Wolldecke und Kissen. Alles ist festgeschraubt, die Fenster bruchsicher und nicht zu öffnen. Die ersten 23 Stunden verbringen Sie darin. Dann erhalten Sie eine Stunde Auslauf in einem kleinen Hof, über dem ein Netz hängt, damit nichts und niemand rein und raus kann.» Am zweiten Tag würden die Gefangenen einen Fernseher mit zwei Sendern und ab dann pro Tag zehn Zigaretten erhalten.
Ein einziges Mal gelogen
Genauso trostlos wie die Zelle sei auch der Tagesablauf. «Um 6 Uhr gibt es eine Kontrolle, ob Sie noch leben, um 7 Uhr Frühstück, für dessen Erhalt Sie sich bücken müssen. Um 11.15 Uhr ist Mittagessen angesagt. In Untersuchungshaft ist kein Besuch erlaubt, ausser durch den Anwalt und den Seelsorger», weiss Bruno Zeltner. «Und wer die Wärter stark nervt, sie zum Beispiel immer wieder ohne Grund zu sich ruft oder gewalttätig wird, verschieben die Gefängniswärter in einen Bunker, der mit 34 Farben bemalt ist.» Wenn er sich nicht beruhigt, würden dort zusätzliche die Hände gefesselt, allenfalls auch die Füsse und der Kopf in einen Helm gesteckt, damit sich der Gefangene nicht selbst nicht schaden könne. «Ein Russe war zwölf Tage drin», gab der Seelsorger zu bedenken. Er weiss: «Selbstmordgedanken kommen bei den Gefangenen häufig vor.» Auch der Deutsch-Russe habe ihn gefragt, ob er bei einem Selbstmord nicht in den Himmel kommen und nicht begraben würde. «Da log ich zum einzigen Mal in den elf Jahren und sagte Ja.»
In seiner Zeit hätte es nur einen einzigen Selbstmord gegeben. Dies von einem Flüchtling aus dem Maghreb-Gebiet. «Er kam zusammen mit seinem Bruder über das Mittelmeer nach Europa. In Chiasso meldete er sich bei den Schweizer Behörden an, während sein Bruder den Gang über die grüne Grenze wählte. Er hatte also alles richtig gemacht», bedauert Bruno Zeltner. «Er hängte sich auf. Sein Bruder allerdings erhielt Asyl in der Schweiz. Soll ich also alle Gesetze einhalten?», fragte der Wider, ohne darauf eine Antwort zu geben.
Keine «Fotzelcheiben»
«Die Gefangenen sind einfach nur Menschen wie du und ich», betonte Zeltner. «Es sind Kinder Gottes und trotz ihrer zum Teil schweren Taten keine «Fotzelcheiben».» Die Aufgabe des Seelsorgers sei es, ihnen Würde zu geben und zuzuhören. «Neue Gefangene fragte ich nie, was sie getan hatten, sondern was ihnen vorgeworfen wird. Und ob das ihre Angehörigen wüssten – und ihre Mutter?» Die Gefangenen hätten keine Verpflichtung, mit den Seelsorgern zu sprechen, die meisten wollten es aber. «Nur schon, um überhaupt jemand zum Sprechen zu haben. Einige wollten schlicht die Zeit damit totschlagen.» Er habe stets nur Kopf und Herz mit zu den Gefangenen genommen.
Seine Worte umrahmte Bruno Zeltners Frau Franziska mit wunderbaren Liedern auf dem Klavier. Darunter war auch «Von guten Mächten treu und still umgeben» von Dietrich Bonhoeffer. «Er verfasste den Text als Gedicht an Silvester 1944 als Gefangener und Widerstandskämpfer gegen das Nazi-Regime und schickte es nach Hause», weiss der Gefängnisseelsorger. Er sorgte damit für einen Bezug zu seiner Arbeit. Und er wusste: «Am 9. April 1945 wurde Bonhoefer durch die Nazis mit einem Kleiderbügel erhängt.» Bruno Zeltner unterstrich: «Ein Gefängnis ist eine traurige Sache.»