«Wohnungen allein reichen nicht»
28.07.2023 Niederwil, Region Bremgarten, Fischbach-Göslikon, Region Unterfreiamt«Auf einen Kaffee mit …» Alois Riner, Präsident des Seniorenrates Niederwil/Fischbach-Göslikon
Er ist selbst schon im Ruhestand und weiss darum, wie es ist, älter zu werden. Und er setzt sich dafür ein, dass die Senioren und Seniorinnen ...
«Auf einen Kaffee mit …» Alois Riner, Präsident des Seniorenrates Niederwil/Fischbach-Göslikon
Er ist selbst schon im Ruhestand und weiss darum, wie es ist, älter zu werden. Und er setzt sich dafür ein, dass die Senioren und Seniorinnen von Niederwil und Fischbach-Göslikon die Unterstützung erhalten, welche sie benötigen. Alois Riner ist nah bei den Menschen. «Anderen zu helfen, macht Freude», sagt er.
Chregi Hansen
Wir reden heute über das Alter. Wie alt fühlen Sie sich selber?
Alois Riner: Ich bin jetzt 76 Jahre alt, seit 13 Jahren pensioniert. Und so langsam spüre ich, dass nicht mehr alles so einfach geht wie früher – die Kraft lässt ein wenig nach. Ich bin froh, kann ich noch Auto fahren und bin ich dadurch mobil. Aber man muss sich doch eingestehen, dass man älter wird.
Was ist Ihre Motivation, sich im Seniorenrat zu engagieren?
Ich hatte als Gemeindeschreiber 41 gute Jahre hier in Niederwil. Nach meiner Pensionierung war es mir darum ein Anliegen, weiterhin noch etwas für die Gemeinde zu leisten und etwas zurückzugeben. Zudem habe ich die Gründung des Seniorenrates vor über 10 Jahren hautnah miterlebt. Es ging zu dieser Zeit noch weniger um Wohnangebote für ältere Menschen, sondern vor allem auch um den Aufbau einer Art Nachbarschaftshilfe. Sei es für den Haushalt, für den Garten oder auch für einen Fahrdienst, einen Mahlzeitendienst oder die Organisation eines Treffs. Ich war damals aber nur als normales Mitglied dabei, das Verdienst der Gründung hatten andere Leute.
Leistet der Seniorenrat auch politische Arbeit?
Wir haben uns letztes Jahr im Mitwirkungsverfahren für die Zentrumsüberbauung eingebracht. Konkret haben wir gewünscht, dass rund 30 Prozent der neuen Wohnungen altersgerecht ausgebaut werden sollen. Das Anliegen wurde aufgenommen, es sollen laut Bericht jetzt 25 Prozent der Wohnungen werden. Darauf sind wir schon ein wenig stolz. Auch bei anderen Projekten bringen wir uns aktiv ein. Etwa bei der Frage der Gestaltung des Dorfplatzes.
Müssen die Gemeinden mehr tun für die ältere Bevölkerung?
Im Vergleich zu anderen Gemeinden ist Niederwil heute schon eine seniorenfreundliche Gemeinde. Neben dem Seniorenrat gibt es auch andere Organisationen, die Anlässe und Dienstleistungen organisieren. Wir spüren, dass die Gemeinde unser Engagement schätzt, der Seniorenrat hat den Status einer gemeinderätlichen Kommission mit einem Pflichtenheft und einem Budget. Und sie finanziert auch die Broschüre mit allen wichtigen Infos, welche wir regelmässig aktualisieren. Auch die Senioren selbst sind froh um unsere Angebote, die Dienstleistungen werden geschätzt. Umgekehrt empfinden die Freiwilligen ihre Einsätze als sinnvolle Sache.
Ist es das Ziel des Seniorenrates, dass die älteren Menschen möglichst lange zu Hause leben können?
Ja. Gerade hier bei uns in Niederwil. Im Gegensatz zu anderen Gemeinden haben wir kein eigentliches Altersheim. Natürlich, wir haben den Reusspark, aber das ist doch eher ein Pflegeheim. Es gab vor rund 25 Jahren bereits einmal eine Initiative für den Bau von Alterswohnungen, es wurde gar eine Genossenschaft gegründet, an der sich auch die Gemeinde beteiligen wollte. Der Antrag wurde aber leider abgelehnt. Erstaunlicherweise waren es vor allem ältere Stimmbürger, welche Nein sagten. Seither gab es von Gemeindeseite her keine Initiative mehr für Wohnangebote für ältere Personen. Umso wichtiger ist es, die Menschen zu unterstützen, dass sie in ihren eigenen vier Wänden bleiben können. Es gibt ja keine Alternativen.
Aber ist es nicht falsch, wenn Einfamilienhäuser von einem oder zwei Senioren bewohnt werden, während junge Menschen nach Wohnraum suchen?
Das ist tatsächlich ein Problem. Darum braucht es altersgerechte Wohnungen im Dorf. Denn wegziehen will doch niemand im Alter. Und Wohnungen allein reichen auch nicht. Es braucht zusätzlich gewisse Dienstleistungsangebote. Die geplante Zentrumsüberbauung wäre von ihrer Lage her ideal dafür geeignet. Meiner Meinung nach müsste sich die Gemeinde in diesem Projekt beteiligen. Das wäre gut investiertes Geld. Denn wenn jemand in ein Heim eintritt, kommen auch immer hohe Kosten auf die Gemeinde zu.
Müssten die Gemeinden generell mehr auf die Bedürfnisse und Anliegen der älteren Bevölkerung Rücksicht nehmen?
Es gehört zum Pflichtenheft des Seniorenrates, die Meinung der älteren Bevölkerung bei wichtigen Fragen einzubringen. Aufgrund des Massnahmenkataloges des neuen Altersleitbildes ist beispielsweise vorgesehen, die ältere Bevölkerung nächstes Jahr zu einer Quartier- und Dorfbegehung einzuladen, um auf schwierige Situationen im Dorf aufmerksam zu machen. Welchen Belag baut man wo ein? Wo sind Gehwege? Wo Absätze, welche Leuten mit Rollatoren Probleme bereiten? Wo braucht es Sitzbänke? Wir sehen uns in diesen Fragen als Sprachrohr der älteren Bevölkerung und sind in dieser Hinsicht nahe bei den Leuten.
Die Welt wird immer digitaler. Wird dadurch die ältere Bevölkerung abgehängt?
Ich glaube nicht. Das Problem betrifft mehrheitlich Leute ab 80 Jahren. Jüngere Senioren und Seniorinnen kommen meist gut klar mit den digitalen Mitteln. Aber ja, wir müssen allen Sorge tragen. Als damals die Post aufgehoben wurde, haben wir an einem Tag demonstriert, wie man nun im Volg seine Post aufgeben kann. Auch ein Ticketautomat kann Menschen überfordern. In unserem Senioren-Treff behandeln wir darum regelmässig solche Themen. In Kürze werden unsere Bibliothekarinnen an diesem Anlass die Nutzung von E-Books und E-Readern erklären. Auch hier versuchen wir, die Bedürfnisse der älteren Einwohner aufzugreifen.
Macht die Gesellschaft heute genügend für die ältere Bevölkerung?
Wir können feststellen, dass es viele Angebote gibt. Manchmal fehlt es an der Information. Wie erfahren die Menschen von all den Angeboten? Da sind wir gefordert. Umgekehrt fällt es vielen schwer, sich einzugestehen, dass sie nicht mehr alles selber machen können. Das entspricht nicht der Mentalität der heutigen älteren Generation. Die Schwelle, Hilfe anzufordern, liegt eher hoch. Viele beschäftigen sich erst mit dem Thema, wenn es fast schon zu spät ist. Neuerdings gibt es auch immer mehr Firmen und Organisationen, die hier ein Geschäft wittern. Umso wichtiger ist es, dass die Gemeinden ein gewisses Grundangebot bereitstellen.
Müsste umgekehrt die Gesellschaft das Potenzial älterer Menschen noch mehr nutzen?
Ich bin der Meinung, dass dieser Austausch gut funktioniert. In vielen Familien unterstützen die Grosseltern ihre Kinder und Enkel im Alltag, dadurch findet automatisch ein Austausch statt. Auch Projekte wie Senioren im Klassenzimmer sind sehr wertvoll.
Den heutigen Senioren geht es finanziell mehrheitlich gut, während die Jüngeren Angst um ihre spätere Rente haben. Droht da eine Spaltung?
Man muss ehrlicherweise sagen, dass wir für unseren Wohlstand gearbeitet haben. Daher ist der Neid nicht gerechtfertigt. Aber natürlich gehen wir schwierigen Zeiten entgegen. Heute kommen auf einen Rentner noch vier Arbeitstätige, in 20 Jahren sind es nur noch zwei. Das wird uns in Zukunft sehr fordern. Daher verstehe ich den Unmut der Jungen. Aber ich bin auch überzeugt, dass es auch hierfür Lösungen geben wird.