«Wohlen war wie ein Magnet»
01.04.2025 Wohlen«Die Hutmode welt weit bestimmt»
Rundgang «Internationale Verbindungen» als Bestandteil des Geschichtenfestivals
Das «interkulturelle Geschichtenfestival» sollte die Menschen verbinden. Ein gutes Beispiel ist die ...
«Die Hutmode welt weit bestimmt»
Rundgang «Internationale Verbindungen» als Bestandteil des Geschichtenfestivals
Das «interkulturelle Geschichtenfestival» sollte die Menschen verbinden. Ein gutes Beispiel ist die Strohindustrie. Dank dieser hatte Wohlen Verbindungen in die ganze Welt hinaus.
Daniel Marti
Kaum zu glauben, Wohlen wurde einst im gleichen Atemzug mit London, New York und Paris genannt. Die blühende Strohindustrie hat es möglich gemacht. Früher gab es beispielsweise die Parisstrasse in Wohlens Zentrum, daran erinnerte Daniel Güntert bei seinem Rundgang. Erstmals organisierte er einen Rundgang, der Wohlens «internationale Verbindungen» thematisierte. Logisch, da drehte sich fast alles um die Strohindustrie.
Das Provinzdorf Wohlen bestimmte einst die Hutmode, so Güntert, «und zwar weltweit, das ist doch beeindruckend». Ein paar Zeitzeugen prägen heute noch das Dorfbild. Diese brachte der Lokalhistoriker den Interessierten näher – wie beispielsweise die Isler-Villa. Mit der blühenden Strohindustrie waren auch Migration und Integration ein wiederkehrendes Thema in der grössten Freiämter Gemeinde, auch diese Verbindung erklärte er.
Der Rundgang «Internationale Verbindungen» war ein Teil des «interkulturellen Geschichtenfestivals», das von der Gemeindebibliothek und der Fachstelle Integration Freiamt durchgeführt wurde. Mit dem Motto «Worte verbinden Welten» wurden die Interessierten angelockt. Die Bibliothek habe ein vielseitiges Image «und sie hat auch viel Vernetzungspotenzial», sagte Melanie Müller, die Leiterin der Gemeindebibliothek. Einwohnerratspräsident Marc Läuffer betonte in seinen Eröffnungsworten, dass er «früher Bücher verschlungen» habe. Und selbstverständlich sei Migration und Integration auch für ihn ein wichtiges Thema.
«Worte verbinden Welten» könne kaum besser zur Fachstelle Integration Freiamt passen, so Monika Landmann von der Fachstelle. «Wir arbeiten für vier Gemeinden.» Dies sind Wohlen, Villmergen, Dottikon und Dintikon. Dabei spielt der Bereich Migration eine wesentliche Rolle. «Wir begleiten diese Menschen sehr gerne.»
Lokalhistoriker Daniel Güntert zeigte auf einem Rundgang Wohlens «internationale Verbindungen» auf
Gelungene Premiere. Erstmals beleuchtete Lokalhistoriker Daniel Güntert die internationalen Verbindungen von Wohlen. Vor allem während den Blütezeiten der Strohindustrie – als Wohlens Strohbarone mächtig waren. Sie bestimmten die Trends der Hutmode. Weltweit. Güntert deckte hochinteressante Spuren auf.
Daniel Marti
Die ehemalige Parisstrasse, das architektonische Schmuckstück «Haus zur Stadt Paris», ein Kaufhaus an der Zentralstrasse, aber auch ganze Lastwagen voller Exporte Richtung New York. Die Liste von Wohlens internationalen Verbindungen ist ellenlang: Das Capitol, eine Herrschaftsvilla an der Wehrlistrasse, die Villa Isler mit dem Schweizer Strohmuseum. Der römische Triumphbogen über dem Eingang des Manufakturgebäudes. Oder der Prunkbau der ehemaligen Strohindustrie-Firma Georges Meyer draussen neben der reformierten Kirche.
Lokalhistoriker Daniel Güntert hat diese Orte in Wohlen alle aufgesucht und den Interessierten auf seinem Rundgang erklärt. Viel Historie, viel Interessantes und Wissenswertes gab er mit dem Thema «Internationale Verbindungen» weiter. Auch Migration und Integration spielten dabei eine wichtige Rolle.
Bis hin zur Betriebsspionage
«Es ist schon bemerkenswert, wie ein Provinzdorf wie Wohlen die Hutmode bestimmte, die dann weltweit Gültigkeit hatte», sagt er auf dem Rundgang. Dieser Satz alleine bekräftigt die Dominanz, die einst von der blühenden Strohindustrie ausging. Dies beweist auch die Macht, die die Strohbarone von Wohlen einst hatten. «Früher», so Güntert, sei niemand ohne Hut aus dem Haus gegangen, darum sei der riesige Markt auch erklärbar. Und in Wohlen konzentrierte sich ebendiese Stroh- und Hutindustrie. «Das führte zu einer grossen Konkurrenzsituation, die ab und zu in Betriebsspionage gipfelte. Aber die Konkurrenz beflügelte auch.» Einfach solange das Huttragen in war. «Als der Hut aus der Mode kam, war dies gleichzeitig der Todesstoss für die Strohindustrie.» Und gekappt waren die florierenden internationalen Verbindungen.
Hohe Absätze der Produkte aus Wohlen in der ganzen Welt bedeuteten auch Vollbeschäftigung, manchmal sogar Fachkräftemangel. Dank der Migration konnten die offenen Stellen besetzt werden. Oder die Frauenquote bei den Beschäftigten schnellte in die Höhe.
Daniel Güntert führte die Gruppe der Interessierten zu verschiedenen Standorten im Zentrum. Er zeigte dabei alte Bilder – und erntete Begeisterung. Schöne, beeindruckende, einzigartige Bilder gab es von Wohlen vor ein paar Jahrzehnten oder vor 200 Jahren.
Die Gattin aus New York
«Wohlen war wie ein Magnet für Arbeitsplätze», erklärte Güntert. Und dies zu einer Zeit, als die Menschen eher von der Schweiz aus auswanderten. «Hier gab es also eine Gegenbewegung.» Wie ein Monument dieser Zeit steht die Villa Isler mit dem Schweizer Strohmuseum. Die Villa Isler und ihr Park wurden in den 1860er-Jahren durch den Strohfabrikanten August Isler erbaut. Weil man zu jener Zeit auch das nötige Geld hatte, um die besten Architekten zu engagieren, kam der Architekt der Villa Isler aus Italien. «Das Fremde hat etwas Faszinierendes», sagt Güntert dazu. In London stehen Häuser in der Art wie die Villa Isler immer noch zuhauf.
«Was fremd ist, schafft Neugier, aber auch Angst», dies sei auch in der Blütezeit der Strohindustrie nicht anders gewesen. Und gegenüber Neuem oder anderem war man skeptisch. Beispielsweise auch, als Johann Rudolf Isler im Jahr 1919 seine künftige Frau nach Wohlen holte. Sie kam von New York. Sie sei eine starke Frau gewesen, weiss Güntert. Johann Rudolf Isler ist früh in den 40er-Jahren gestorben, sie ist in Wohlen geblieben, «als Strohbaronin war sie privilegiert». Der gemeinsame Sohn Rudolf, 1921 geboren, übernahm mit 22 Jahren zusammen mit seinen Cousins die Firma Jakob Isler & Co AG.
Einen Migrationshintergrund hat auch das Capitol an der Bahnhofstrasse, 1931 gebaut im Bauhaus-Stil. «Ein solcher Bau war gewagt.» Er beheimatete bald das erste Kino von Wohlen. In den 1960er-Jahren wurde es zum Treffpunkt der Italiener. «Das war für Wohlen gewöhnungsbedürftig, denn die Italiener waren laut und haben geraucht. Das war heikel, heute lacht man darüber.» Wie die Isler-Villa in London wurde auch das Capitol andernorts häufig errichtet, vor allem im israelischen Tel Aviv. Die Italiener in Wohlen arbeiteten zuerst in der Strohindustrie, danach im Baugewerbe oder im Stahlwerk Ferro. Migration war also gefragt.
Georges Meyer fast ein Ausländer – er kam aus Uezwil
Die Strohindustrie hat schon immer Auswärtige angezogen. Schon in frühen Jahren gab es also das Thema Migration. Im Jahr 1910 beispielsweise waren die Zugezogenen mit 52 Prozent in der Überzahl in Wohlen. Und das bei einer Einwohnerzahl von knapp über 4000. «Das war eine Art Wende», so der Lokalhistoriker. Allerdings mit dem kleinen Unterschiede, dass auch Menschen aus den Nachbardörfern als Zugezogene registriert wurden. Wegen den diversen Hutgeschäften zogen viele Menschen nach Wohlen. Einer war auch Georges Meyer. Der sei aus Sicht der Wohler praktisch ein Ausländer gewesen, und den Wohlern ein Dorn im Auge, so Daniel Güntert. Georges Meyer kam übrigens aus Uezwil, praktisch einen Steinwurf von Wohlen entfernt. Hier schaffte er es zu grossem Ansehen. Seine Firma exportierte bald bis nach New York. Das imposante Geschäftshaus beim Bahnhof hat eine ausgeprägte Geschichte.
Die Bahn war dabei ein wichtiger Garant als Verkehrsmittel. «Und so war es kein Zufall, dass die Strohbarone ihren Anspruch angemeldet haben.» Die SBB-Linie war ursprünglich durchs Reusstal geplant, die Strohindustriellen forderten die neue Erschliessung jedoch durchs Bünztal – und so kam es auch.
Paul Walser – Auswanderer und FCW-Gönner
Wer Erfolg haben wollte in der Strohindustrie, der kam in der Regel nach Wohlen und geschäftete von der Freiämter Metropole aus. Es gibt aber auch den umgekehrten Weg. Den zeigte Paul Walser auf, der im Alter von 20 Jahren im elterlichen Betrieb einsteigen musste. Aufgewachsen im ehemaligen Haus der Firma Bernhard Hegi, neben dem «Bären», zog dieser Paul Walser Anfang der 1900er-Jahre nach London, wo er verschiedene Firmen gründete. Eine dieser Firmen lancierte er um 1940 mit dem Namen Reslaw Hut London. Die Firma gibt es heute noch, das Zauberwort ist der Name Reslaw – Walser von hinten her geschrieben.
Paul Walser war übrigens der grosse Gönner des FC Wohlen, er schenkte dem FCW einen Fussballplatz, die legendäre Paul-Walser-Stiftung.
Schon vor 2000 Jahren zählte das Miteinander
Migration war über die Jahrhunderte weg in der Region Wohlen bedeutungsvoll. Das war sie schon vor rund 2000 Jahren, wie Daniel Güntert erklärte. «Die Menschen sind stets herumgezogen, haben sich niedergelassen, mussten sich anpassen.» Vor knapp 2000 Jahren gab es in der Region Wohlen zwei römische Gutshöfe, einen bei der heutigen Bezirksschule. Und unten im heutigen Dorf mussten sich die Alemannen zufriedengeben. Beide merkten, dass sie nicht die gleiche Sprache sprechen. «Sie mussten sich also zusammenraufen», so Güntert.
Die Alemannen waren gemäss Überlieferung mit der Zeit den Römern zahlenmässig überlegen, sie arrangierten sich trotzdem. Und aus diesem Miteinander ist rund 1800 Jahre später etwas Einmaliges entstanden: die Strohindustrie. «Und die war prägend für Wohlen», folgerte Güntert.



