Weil die Bilder täuschen können
31.03.2023 Villmergen, Region UnterfreiamtDie Wanderausstellung «Alt?» macht derzeit in der Oberen Mühle Villmergen halt
In der Schweiz leben immer mehr ältere Menschen. Doch was heisst eigentlich alt? Welche Bilder existieren über alte Leute? Und wie erleben sie die Situation selber? ...
Die Wanderausstellung «Alt?» macht derzeit in der Oberen Mühle Villmergen halt
In der Schweiz leben immer mehr ältere Menschen. Doch was heisst eigentlich alt? Welche Bilder existieren über alte Leute? Und wie erleben sie die Situation selber? Eine Wanderausstellung in der Oberen Mühle Villmergen stellt Fragen und liefert Antworten.
Chregi Hansen
«Ich habe die Ausstellung per Zufall in einer anderen Institution entdeckt und wusste sofort: Die gehört auch zu uns nach Villmergen», erzählt Walter Cassina, der Geschäftsleiter des Alterszentrums Obere Mühle. Und darum stehen die grossen Stellwände mit den tollen Bildern und den Tonbeiträgen derzeit im Eingangsbereich des Restaurants zur Rose. Da also, wo sich Besuchende und Bewohner der Oberen Mühle treffen.
Die Ausstellung thematisiert die Wahrnehmung von Alter, vom Älterwerden und von älteren Menschen in der heutigen Gesellschaft. Noch bis zum 23. April kann sie täglich besucht werden. Sieben künstlerische Bild-Ton-Installationen erzählen von den persönlichen Begegnungen zwischen älteren Menschen aus dem ganzen Kanton Aargau und jüngeren Fotografinnen und Fotografen aus der ganzen Schweiz.
Spannende Begegnungen
Die Fotografinnen und Fotografen besuchten die Seniorinnen und Senioren in ihrem Zuhause und persönlichen Umfeld. Sie führten mit ihnen Gespräche zu den Themen Alter, Älterwerden, Altersbilder und hielten die Begegnungen und Gespräche fotografisch und auf einer Tonspur fest. Entstanden sind sehr persönliche und künstlerische audiovisuelle Bilder von alten Menschen – «Altersbilder». Sie erzählen aus der subjektiven Perspektive der Fotografinnen und Fotografen von der Begegnung zweier Menschen aus zwei unterschiedlichen Generationen. Und regen an, über die eigene Sichtweise auf das Alter nachzudenken.
«Was heisst alt? Für die einen ist es etwas Positives. Man kann entspannter durchs Leben gehen, muss nicht mehr alles mitmachen, verfügt über viel Erfahrung», schildert Cassina seine eigenen Eindrücke. «Für andere ist der Begriff negativ besetzt. Alte Menschen leisten nichts mehr und kosten nur noch. Und mit dem Alter nehmen die Gebrechen zu.» Aber es gebe nicht nur Vorurteile der Jüngeren gegenüber den Älteren, sondern auch umgekehrt. «Wie oft hören wir: Ach, die Jungen von heute, die verstehen wir nicht mehr», so der Leiter des Alterszentrums weiter. Die Ausstellung soll dazu beitragen, über den eigenen Tellerrand hinwegzusehen.
Material für Schulklassen
Für Walter Cassina ist die Obere Mühle der ideale Ort für diesen Austausch. Hier treffen Jung und Alt täglich aufeinander – seit der Eröffnung des Sinnesparks im letzten Jahr noch mehr als früher. Der Geschäftsführer hofft, dass auch die Schulen vom Angebot Gebrauch machen. «Es gibt zu dieser Ausstellung viel didaktisches Material, welches gratis zur Verfügung gestellt wird.» Das Dossier beinhaltet zum einen eine inhaltliche Einführung zum Thema Altersbilder, mit deren Hilfe die Lehrperson die Schulklasse auf den Besuch vorbereiten kann. Zum anderen bietet es der Lehrperson konkrete Vorschläge und Anregungen, wie sie den Besuch der Wanderinstallation mit ihrer Schulklasse gestalten kann.
In der Schweiz leben immer mehr betagte Menschen
Für Walter Cassina ist es wichtig, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. «Aktuell leben im Aargau etwa 30 000 Menschen, die 80 Jahre oder älter sind. Bis ins Jahr 2050 werden es vermutlich 100 000 sein», zitiert er eine Studie. Zudem sind die Älteren von heute kaum noch mit denen von früher zu vergleichen. «Da hat man sein ganzes Leben lang harte Arbeit verrichtet, war beim Eintritt ins AHV-Alter schon körperlich beeinträchtigt. Die Pensionierten von heute sind oft topfit», erklärt er. Es sei wichtig, die eigene Vorstellung über alte Menschen immer wieder zu hinterfragen. Die Wanderausstellung kann dazu beitragen. «Es ist spannend, sich hinzusetzen und mit dem Kopfhörer die verschiedenen Porträts anzuhören. Und die dazu gehörenden Bilder sind kraftvoll und berührend zugleich», schwärmt Cassina.
Die sieben porträtierten Menschen sind komplett unterschiedlich. Da ist Berta, eine Frau, die im Altersheim lebt und hofft, dass sie bald gehen kann, nachdem ihr Mann und zwei ihrer Kinder schon gestorben sind. Oder Heinz, der im Chor singt, regelmässig auf Wanderungen geht und Kulturanlässe besucht, aber im Alter nicht mehr in den Bergen klettern kann, seine grosse Leidenschaft. Charlotte, die ehemalige Lehrerin, die arbeitete, während ihr Mann sich zu Hause um die Kinder kümmerte – eine Kombination, die damals noch selten war. Und die sich freut, mit dem Fotografen ihre frühere Schule zu besuchen. Oder Köbi, der einst ein Altersheim leitete. Der in seiner Arbeit oft mit dem Tod konfrontiert war und sich heute aktiv Gedanken macht über den eigenen Tod. Und der darum ganz bescheiden und sehr bewusst jeden Augenblick lebt, der ihm bleibt.
Mit Veranstaltungen vermehrt Besucher anziehen
Es hätten schon einige Personen die Wanderausstellung besucht, freut sich Cassina. Auch einzelne Bewohner der Oberen Mühle hätten sich Zeit genommen und die Porträts studiert. Der Geschäftsleiter hofft, dass noch viele die Möglichkeit nutzen, sich aktiv Gedanken über die eigenen Bilder vom Alter zu machen. «Es ist unser Ziel, dass sich hier in der Oberen Mühle Alt und Jung trifft und austauschen kann», sagt er. Und das nicht nur während der Zeit der Wanderausstellung. Sondern beispielsweise auch am Ostermontag, wenn das Alterszentrum erstmals zur Ostereiersuche in den Sinnespark einlädt. Oder zur Bundesfeier, welche ebenfalls in der Oberen Mühle stattfindet. «Unsere Bewohner sind nicht mehr so mobil, sie kommen nicht mehr so einfach ins Dorf. Darum versuchen wir, das Dorf in unser Haus zu holen», sagt Walter Cassina noch. Und hofft, dass auch solche Anlässe helfen, die Vorurteile gegenüber dem Alter zu revidieren.