«Was machen wir da?»
16.08.2025 Region OberfreiamtVier Freiämter «Wander-Jungs» auf dem Weg von Osten nach Westen quer durch die Schweiz
Vor vier Jahren liefen sie vom Norden in den Süden der Schweiz. Seit dem 14. Juli sind sie vom östlichsten Punkt der Schweiz, dem Piz Chavalatsch, unterwegs zum ...
Vier Freiämter «Wander-Jungs» auf dem Weg von Osten nach Westen quer durch die Schweiz
Vor vier Jahren liefen sie vom Norden in den Süden der Schweiz. Seit dem 14. Juli sind sie vom östlichsten Punkt der Schweiz, dem Piz Chavalatsch, unterwegs zum westlichsten Punkt. 540 Kilometer und rund 35 000 Höhenmeter durch Wind, Regen, Schnee und Sonne. Vorbei an den schönsten Panoramen der Schweiz. In fünf Wochen wollen sie ihr Ziel in Genf-Chancy erreichen.
Verena Anna Wigger
Um es vorwegzunehmen: Nach vier Wochen erreichten Jonas Villiger, Beinwil, Mario Meier und Sven Lang aus Muri und Ramon Seiler ihr Ziel. Allerdings konnten sie auf den letzten Kilometern am Genfersee kaum noch von Wandern sprechen. Teerstrassen dominierten, und ein Weg direkt am See fehlte. Es glich eher einem Spaziergang. Die grosse Hitze der letzten Tage brachte zudem neue Blasen an den Füssen. Dennoch bleibt die Strecke von Vevey nach Lausanne durch die Rebberge in schöner Erinnerung. Um der Hitze zu entkommen, starteten sie jeden Morgen um halb sieben. Aufgeben kam nicht infrage.
Die letzten Tage ihrer Schweiz-Durchquerung waren von Emotionen geprägt. Nach vier Wochen gemeinsamer Reise fiel der Abschied schwer. Das Kleeblatt, das schon als WG zusammengelebt hat und lebt, bewies erneut seine Freundschaft. Diese trug sie durch die gesamte Tour. Wie Mario Meier es ausdrückt: «Wir haben alles zusammen erreicht.» Eine schöne Erkenntnis – die Gruppe funktioniert.
Da sie ihr Ziel früher als geplant erreichten, bleibt ihnen noch eine Woche Ferien. Zeit zum Waschen, Erholen und Durchatmen. Danach kehren drei von ihnen an ihre Arbeitsplätze zurück, während der Vierte sein Studium fortsetzt. Ob ein neues Projekt folgt, wissen sie noch nicht. Doch ausgeschlossen ist es nicht, dass sie wieder gemeinsam wandern.
Schweizer Wanderwege schätzen
Wie gut die Schweizer Wanderwege ausgebaut sind, erleben die vier «Wander-Jungs» bereits am ersten Tag, bei ihrem Aufstieg zum Ausgangspunkt. Sie wanderten über italienische Wanderwege, hoch zum Piz Chavalatsch auf 2763 Metern. Dem höchsten Punkt ihrer Wanderung quer durch das Land. Dabei mussten sie sich immer wieder orientieren. Der heftige Regen und die schlechte Beschilderung taten ihres dazu. Sie waren also noch vor dem Start nass bis auf die Haut.
Als Mario Meier mit der Redaktion telefoniert, ist es der erste Tag der vierten Woche. Es ist auch der erste Montag, an dem das Wetter mitspielt.
Traumhaftes Bergpanorama
In der ersten Woche sind sie im Bündnerland unterwegs. Sie kommen gut über die Pässe und nie unter 1500 Höhenmeter. Dabei passieren sie Ofenpass, Strelapass, Flüela und Oberalp, um nur einige zu nennen. Auch in die Rheinschlucht werfen die vier einen Blick. «Wander-Jungs» heisst das Quartett laut ihrem Instagram-Account, der zugleich Tagebuch ist und ihnen auch verschiedene hilfreiche Kontakte vermittelt. So können sie in der Gärtnerei Müller in Susch ihr Nachtlager aufschlagen und trocken nächtigen. Das Wetter ist in der ersten Woche gut und nicht zu warm, perfekt zum Wandern. Am Sonntag der ersten Woche gibt es einen eingeplanten Pausentag in Arosa. In der Ferienwohnung einer Tante ist Wäschewaschen angesagt und sich etwas erholen. Nicht nur das Wetter setzt den vier Wanderern zu. Nach anstrengenden Routen spüren sie ihre Beine, und einer der Jungs hat mit offenen Blasen zu kämpfen.
Doch sie gehen weiter. Manchmal laufen Ramon und Mario eine Stunde vor den anderen los, damit sie in ihrem Tempo gehen können. Das Wetter wird in der zweiten Woche schlechter und ihre Motivation gerät bei Dauerregen manchmal ins Wanken. Darum stellten sie sich die Frage: «Was machen wir hier?» Sie gehen trotzdem weiter.
Die Tage ziehen sich dahin und wenn immer möglich starten sie früh am Morgen, um am Abend beizeiten am Zielort zu sein. Rund 25 Kilometer beträgt der Tagesdurchschnitt. Am Vorabend planen sie jeweils den nächsten Tag. «Wohin laufen wir und wo werden wir übernachten?», erzählt Meier. «Das Dorf, in dem wir schlafen, wird am Vorabend definiert und die Schlafstätte organisiert.» Dabei hilft ihnen schon mal ihr Instagram-Tagebuch. Dort setzten sie ihre täglichen Filme ein und erzählen, wann sie wo sind und was sie erleben. Wie es ihnen geht und wie fein sie duften. Über diesen Kanal kommen auch Mittagessen- und Übernachtungseinladungen – wie beispielsweise eine Einladung eines Kaminfegermeisters, der sie in seinem Geschäft übernachten lässt. Aber auch die Einladung ins Freilichtmuseum Ballenberg ist ein Erlebnis. Meier freut sich: «Die Leute sind offen und kommen oftmals und setzen sich zu uns.» Ihn beeindrucken die Hilfsbereitschaft und die Begegnungen mit den Menschen in den verschiedenen Kantonen. Als sie im Internet entdecken, dass ein Reiterhof auf ihrem Weg liegt, fragen sie spontan an und erhalten prompt ein Nachtlager im Stroh.
Durch Schnee und Minusgrade
In der dritten Woche besteigen sie den Susten und kommen so ins Bernbiet. Doch der Susten hat es nochmals in sich. Natürlich ist es ein Montag – und es hat geschneit. Das Thermometer zeigt minus zwei Grad. So verwandeln sich die Wanderwege in Bachbetten. Alle vier sind wieder bis auf die Haut nass und finden trotz gutem Schuhwerk fast keinen Halt auf ihrem Weg. Worauf sich Mario Meier und Ramon Seiler entscheiden, die letzten 15 Kilometer mit dem Postauto zurückzulegen, um zum Zielort zu gelangen. Am anderen Morgen fahren sie mit dem Postauto zurück zur Haltestelle und marschieren die fehlende Strecke ab.
Andere Gespräche führen
Im Berner Oberland in Meiringen legen sie einen zweiten Pausentag ein, um sich zu pflegen und die Wäsche wieder zu machen. Hier bekommen sie Wanderbegleiter mit auf den Weg, Eltern, Freundinnen und Kollegen begleiten sie ein Stück des Weges. «Es macht Spass, mal wieder andere Gespräche zu führen», sagt Meier zu der willkommenen Abwechslung. «Das hat uns auch einen Motivationsschub gegeben.» In Meiringen ist Halbzeit auf dem Weg in den Westen.
Die Etappen mit den vielen Höhenmetern sind am anstrengendsten, «sie sind auch die eindrücklichsten. Denn sie bieten immer wieder ein unvergleichliches Panorama auf schöne Landschaften und die Berge.»
Am 1. August übernachten die 25-jährigen Wanderer in Wimmis. Das 2800 Einwohner zählende Dorf veranstaltet eine Feier. Rund 40 Personen haben sich dazu eingefunden. Die vier Freiämter besuchen den Anlass und erleben einen lustigen Abend und gewinnen neue Freunde. Am 1. August nächsten Jahres haben sie auf alle Fälle schon eine Verabredung.
«Parlez-vous allemand?»
Als die vierte Woche anbricht, sind sie beim Telefonanruf in Fribourg angekommen. Vor dem französischen Teil der Schweiz haben die vier noch etwas Respekt, wegen der Sprache. Was sich nun im Rückblick als unbegründet herausstellt. «Wir haben uns gut geschlagen», sagt Mario Meier. Die Wetteraussichten waren sonnig, und so haben sie auf dem letzten Teilstück ihre Zelte aufschlagen und im Freien am See genächtigt. Mit den Tagesrouten kamen sie trotz der Hitze gut voran. Vevey, Lausanne, Gland und Nyon bis hinunter an den westlichsten Punkt nach Genf-Chancy. Den Punkt erreichten sie am Montag, 11. August, um die Mittagszeit, nach genau vier Wochen.