Unerwarteter Abgang
17.08.2023 WohlenDer Bundeskanzler geht
Walter Thurnherr, aufgewachsen in Wohlen
Acht Jahre sind genug. Zu diesem Entschluss ist Walter Thurnherr gekommen. Überraschend hat er vorgestern Mittwoch erklärt, dass er sich im Dezember nicht mehr zur Wiederwahl ...
Der Bundeskanzler geht
Walter Thurnherr, aufgewachsen in Wohlen
Acht Jahre sind genug. Zu diesem Entschluss ist Walter Thurnherr gekommen. Überraschend hat er vorgestern Mittwoch erklärt, dass er sich im Dezember nicht mehr zur Wiederwahl stellt. Ende Jahr verabschiedet er sich als Bundeskanzler. Thurnherr ist in Wohlen aufgewachsen und hat heute noch einen starken Bezug zu seiner ehemaligen Heimat. Damit verliert auch Wohlen «seinen» wichtigsten Mann im Bundeshaus. --dm
Bundeskanzler Walter Thurnherr, aufgewachsen in Wohlen, tritt auf Ende Jahr zurück
Beides, Energie und Motivation, sei absolut vorhanden. Und darum mache er diesen Job sehr gerne. Dies sagte Walter Thurnherr vor zwei Jahren. Nun ist vieles anders: Der 60-Jährige mit ausgeprägten Wohler Wurzeln tritt Ende Jahr als Bundeskanzler ab.
Daniel Marti
Diese Meldung kam für viele überraschend und hat sich kaum abgezeichnet. Bundeskanzler Walter Thurnherr, der Bundeskanzler, der Wohlen aufgewachsen ist, wird Ende Jahr nicht mehr zur Wiederwahl antreten. Der 60-Jährige ist seit acht Jahren Bundeskanzler. Als solcher führt er die Geschäfte des Bundesrates. Der Bundeskanzler wird auch als «achter Bundesrat» bezeichnet. Bei der Gesamterneuerungswahl des Bundesrates am 13. Dezember wird auch seine Nachfolge bestimmt.
Gute Stimmung im Bundesrat, schlimme Legislatur
Er habe noch keine Pläne geschmiedet, was nach seiner Zeit in der Verwaltung kommen werde, sagte er der versammelten Presse vorgestern Mittwoch. «Ich habe keine Ahnung, was ich tun werde.» Für ihn gebe es durchaus auch Dinge neben der Politik, die ihn interessieren.
Gemäss Thurnherr hat seine Rücktrittsankündigung nichts mit der Stimmung im Bundesrat zu tun. Diese sei sehr gut. Dagegen bezeichnete Thurnherr im Schweizer Fernsehen die laufende Legislatur als «schlimmste seit dem Zweiten Weltkrieg». Eine Krise habe die nächste gejagt, sagte Thurnherr. Zwei solcher Krisen nannte er auch beim Namen: die sehr dramatische Pandemiephase und die CS-Notübernahme. Beides sei nicht spurlos am Land vorbeigezogen.
Thurnherr sprach auch davon, dass bei seinem Eintritt in den Dienst des Bundes vor über 30 Jahren eine Aufbruchstimmung herrschte. Damals sei man der Überzeugung gewesen, man könne etwas gestalten. «Heute ist die Stimmung fatalistisch, als ob wir uns damit abgefunden haben, dass die Situation nicht mehr besser wird», sagt er jetzt.
Pro Jahr rund 2600 Geschäfte
Diese Zeitung durfte Walter Thurnherr im Februar 2021 im Bundeshaus besuchen. Damals war er knapp fünf Jahre lang im Amt. Und die Aufgabe als Bundeskanzler passte bestens zu ihm. «Mir gefällt sie sehr. Ich wirke an einer spannenden Position zwischen Bundesrat, Parlament und Verwaltung, bin mein eigener Chef und habe gute Leute um mich herum. Ich kann also nicht klagen», sagte er vor zweieinhalb Jahren. Und weiter: «Einen Durchhänger hatte ich noch nie.»
Er deutete aber schon damals die grosse Belastung an. «Als Bundeskanzler sollte man überall Bescheid wissen.» Die Beratungstätigkeit in verschiedenen Dossiers, wenn diese einmal auf Stufe Bundesrat behandelt werden, sei wichtig. «Ich mache das zwar gerne, aber es erfordert auch sehr viel Dossierarbeit und Gespräche. Die schwierigen Dossiers sind meistens kompliziert, sie haben eine lange Vorgeschichte und keine eindeutigen Antworten. Es gibt auch Zeiten, wo ich froh bin, wenn ich am Wochenende an einem Tag abschalten kann.»
Die Belastung könne recht gross sein, so der Bundeskanzler. An einer Bundesratssitzung werden 80 bis zu 150 Dossiers behandelt, pro Jahr rund 2600 Geschäfte. «Jedes Geschäft kann potenziell weitreichende Folgen haben. Es lohnt sich deshalb, die Dossiers genau anzuschauen.»
«Solange ich noch Energie und Motivation verspüre»
Vor zwei Jahren, damals im Alter von 58 Jahren, machte er sich durchaus Gedanken zur nahen Zukunft, zur Pensionierung. Konkrete Frage damals: Bleiben Sie Bundeskanzler auch in den nächsten fünf Jahren? Oder haben Sie andere Pläne? Walter Thurnherr: «Meine Kinder sagen mir zwar, dass ich alt aussehe. Aber ich denke eigentlich noch nicht an meine Pensionierung. Als Bundeskanzler wird man für vier Jahre gewählt und plant entsprechend in diesen Vierjahresabschnitten.» Und weiter: «Solange ich noch Energie und Motivation verspüre, mache ich diesen Job gern weiter. Und beides ist absolut vorhanden.»
Das war vor zwei Jahren. Nun hat er doch Gründe gefunden, nicht mehr zur Wiederwahl anzutreten. Der Schweiz gehe es im Vergleich mit anderen Ländern sehr gut, sagte er vor zwei Tagen der versammelten Presse. Er nannte dabei die tiefe Arbeitslosigkeit, die günstigen Studienmöglichkeiten, das gute Gesundheitswesen und die Schweiz habe praktisch keine Inflation. Dass es dem Land gut geht, kann ja auch ein Grund für den Abgang als Bundeskanzler sein.
Sein Werdegang
Walter Thurnherr (Jahrgang 1963) ist in Wohlen aufgewachsen und hat hier die Schulen besucht. Mittlerweile wohnt er im Kanton Bern. Er ist verheiratet mit Edith Hufschmid aus Wohlen und hat zwei Kinder.
Thurnherr war von 1997 bis 1999 persönlicher Mitarbeiter von Bundesrat Flavio Cotti. Vorher wurde er als diplomatischer Mitarbeiter zweimal in Moskau und in New York eingesetzt. 2000 ernannte ihn der Bundesrat zum Botschafter und Abteilungschef im EDA. Ab 2002 war er ein Jahr lang Generalsekretär des EDA, ehe er 2003 ins Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement (EVD) wechselte und dort die gleiche Funktion ausübte. Ebenfalls Generalsekretär war er ab 2011 im Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation.
Mit 230 Stimmen gewählt
Am 9. Dezember 2015 wurde er von der Bundesversammlung mit 230 Stimmen zum Bundeskanzler gewählt. Bei der Bundesratswahl 2019 wurde er als Bundeskanzler mit 219 Stimmen bestätigt. Ende 2023 wird Walter Thurnherr seine Zeit als Bundeskanzler beenden.