«Sonst droht ein Scherbenhaufen»
18.11.2025 WohlenGastbeitrag von Peter Lehmann, Vorsitzender der ibw-Geschäftsleitung, zum Stromabkommen Schweiz–EU
Jetzt müsse nachgebessert werden, fordert Peter Lehmann in seinem Gastbeitrag zum Stromabkommen der Schweiz mit der EU.
Seit einigen Wochen ...
Gastbeitrag von Peter Lehmann, Vorsitzender der ibw-Geschäftsleitung, zum Stromabkommen Schweiz–EU
Jetzt müsse nachgebessert werden, fordert Peter Lehmann in seinem Gastbeitrag zum Stromabkommen der Schweiz mit der EU.
Seit einigen Wochen wird in Politik und Medien über ein mögliches Stromabkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union diskutiert. Es ist Teil eines grossen Pakets zur «Stabilisierung und Weiterentwicklung» der Beziehungen Schweiz–EU. Ziel ist es, den Schweizer Strommarkt stärker mit dem europäischen zu verknüpfen. Das klingt nach mehr Versorgungssicherheit und günstigeren Preisen – doch die Sache ist komplizierter. Denn was in Brüssel und Bern derzeit vorbereitet wird, hat weitreichende Folgen für uns alle.
Energiestrategie 2050 in Gefahr
Die ibw – als Befürworterin einer sicheren, nachhaltigen Energieversorgung – sieht im Stromabkommen mehrere positive Elemente: Der offene Zugang zum EU-Strommarkt führt zu marktgerechteren Beschaffungspreisen. Und er begegnet der Gefahr, dass die Schweiz aufgrund von geplanten EU-Regelungen beim Stromimport eingeschränkt werden könnte. Leider weist das Stromabkommen – und vor allem dessen geplante Umsetzung in der Schweiz – jedoch auch grosse Mängel auf: Es untergräbt die Ziele der Energiestrategie 2050 und wird die Stromkosten in die Höhe treiben.
Die Energiestrategie 2050 sieht vor, dass der Anteil der Kernenergie – derzeit rund 30 Prozent der Schweizer Stromproduktion – durch erneuerbare Energien ersetzt wird. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es stabile Rahmenbedingungen und Investitionssicherheit für Produzentinnen und Produzenten von Solar- und Wasserkraft.
Genau diese Sicherheit droht nun verloren zu gehen: Nach EU-Recht dürfte Strom aus dem Inland künftig nicht mehr bevorzugt werden. Der bisherige Anreiz, erneuerbare Energie in der Schweiz zu fördern, entfällt. Das schwächt die Investitionsbereitschaft und wirft die Energiewende zurück. Gleichzeitig heizt die wiederaufgeflammte Diskussion über neue Kernkraftwerke die Unsicherheit zusätzlich an – statt Vertrauen in den Ausbau der erneuerbaren Energien zu schaffen. Bei einer Annahme des Stromabkommens würde zudem der Schweizer Strommarkt vollständig liberalisiert. Alle Stromkundinnen und -kunden könnten ihren Stromlieferanten künftig selbst wählen und wären nicht mehr an ihren örtlichen Energieversorger gebunden. Trotzdem ist im Rahmen der innerstaatlichen Umsetzung des Abkommens auch eine Neugestaltung der Grundversorgung geplant – also des Standardprodukts, das alle Haushalte erhalten, die ihren Strom nicht am freien Markt einkaufen. Diese neue Grundversorgung gaukelt den Konsumentinnen und Konsumenten Sicherheit vor, führt in Wahrheit aber zu zusätzlicher Regulierung und damit zu Mehrkosten.
Wenn Kundinnen und Kunden künftig mehrmals pro Jahr zwischen Grundversorgung und freiem Markt wechseln könnten, entstünden hohe Zusatzkosten für die Energieversorger – Kosten, die letztlich alle Stromkundinnen und -kunden tragen müssten. In einem vollständig liberalisierten Markt braucht es keine solche «Krücke». Schon heute existiert die gesetzliche Vorgabe einer sogenannten «Ersatzversorgung», um Konsumentinnen und Konsumenten bei einem Lieferausfall zu schützen. Diese reicht vollkommen aus. Die geplante Grundversorgung dagegen schafft Bürokratie, Unsicherheit und am Ende höhere Strompreise.
Es droht ein politisches Scheitern
Der politische Widerstand gegen das Stromabkommen wächst schon heute: So lehnen etwa die Gewerkschaften das Vorhaben aus Sorge um die Preisstabilität und die Arbeitsplätze in der Schweiz dezidiert ab – und ihr Einfluss könnte dazu führen, dass das Abkommen in einer Volksabstimmung nicht nur von rechter, sondern auch von linker Seite abgelehnt wird. Die Folge eines Neins wäre jedoch ein energiepolitischer Scherbenhaufen: jahrelanger Stillstand, wachsende Unsicherheit und endloses «Weiterwursteln» in der Schweizer Energiepolitik.
Gemeinsames Handeln ist nötig
Der Ball liegt deshalb nun beim Bundesrat, beim Bundesamt für Energie und bei den Verbänden der Strombranche. Sie müssen gemeinsam die innerstaatliche Umsetzung des Abkommens überarbeiten – sachlich, lösungsorientiert und mit Blick auf das Gesamtinteresse des Landes. Das Ziel muss ein Strommarktdesign sein, das die Energiewende unterstützt statt behindert. Dazu gehören klare Anreize für neue Photovoltaikanlagen und eine Wasserkraft, die zur Stabilisierung des Stromnetzes beiträgt. Nur so lässt sich die Abhängigkeit von fossilen und nuklearen Energien verringern.
Die Schweiz kann von einem Stromabkommen mit der EU profitieren – wenn es ökologisch verantwortbar, sozial tragbar und wirtschaftlich vernünftig ist. Alles andere wäre ein gefährliches Experiment auf Kosten unserer Energiezukunft.

