Sie steckt in einem Dilemma
05.07.2024 WohlenDie Anglikerin Charlotte Bell ist riesiger England-Fan und fiebert dem EM-Fussballspiel gegen die Schweiz entgegen
Sie unterrichtet Englisch, ihr Vater ist Engländer und sie ist riesiger Fan der «Three Lions». Morgen Samstag (18 Uhr), wenn die Schweiz gegen ...
Die Anglikerin Charlotte Bell ist riesiger England-Fan und fiebert dem EM-Fussballspiel gegen die Schweiz entgegen
Sie unterrichtet Englisch, ihr Vater ist Engländer und sie ist riesiger Fan der «Three Lions». Morgen Samstag (18 Uhr), wenn die Schweiz gegen das Mutterland des Fussballs antritt, wird die Freiämterin Charlotte Bell «ultra-nervös» sein. «Ich stecke in einem Dilemma», sagt die 36-Jährige.
Stefan Sprenger
«Ich werde mich wohl unbeliebt machen», sagt Charlotte Bell. Sie wird sich morgen Samstag das England-Trikot anziehen, wenn sie in einem Pub in Zürich den EM-Viertelfinal zwischen der Schweiz und England anschauen wird. «Es ist ein besonderes Spiel für mich. Und ja, ich stecke ein wenig in einem Dilemma, denn ich bin mit beiden Ländern verbunden. Aber ein bisschen mehr mit England», sagt sie. Wenn sie aber auf einen Sieger tippen müsste, würde sie die Schweiz wählen. «England hat nicht abgeliefert. Das Achtelfinal-Spiel gegen die Slowakei war eine Tortur. Hingegen ist die Schweiz gut drauf.»
Schöne Erinnerungen an Wohlen, Club, Blindalley, Flower-Power
Geboren ist Charlotte Bell in Welwyn Garden City, Hertfordshire, einer Stadt nördlich von London. Ihr Vater ist Engländer, ihre Mutter Schweizerin. Als sie ein Jahr alt war, zügelt die Familie nach Villmergen. Gemeinsam mit ihrer drei Jahre älteren Schwester Katie lebt sie dort bis zum 12. Lebensjahr, bevor der Wohnort erneut gewechselt wird: nach Anglikon. In Wohlen geht sie an die Bezirks- und später an die Kantonsschule. Ausserdem spielte sie lange im Nachwuchs von Handball Wohlen. «Ich habe schöne Erinnerungen an meine Heimat, besonders an die Kanti und die vielen tollen Sportstunden in der Hofmattenhalle», sagt die 36-Jährige, die heute in Zürich wohnt. «Flower-Power, Blindalley oder die Bäckerei Kuhn wurden früher von mir und meinen Freundinnen gut frequentiert und besucht», meint sie lachend. «Später ging es in den Club am Bahnhof oder die Plattform beim Chappelehof.» Nur in die Badi ist sie lieber nach Villmergen gegangen. Heutzutage geht sie nicht mehr in den Ausgang nach Wohlen, da reizt sie die Grossstadt Zürich natürlich mehr. Meist ist sie im Freiamt, um ihre Eltern in Anglikon zu besuchen. Allerdings war sie vor rund einem Monat dennoch in Wohlen, um Party zu machen: nämlich am Hive Air.
Auswandern nach England? Ja, wenn das Wetter nicht wäre
Beruflich ist sie Gymnasiallehrerin und unterrichtet Englisch (Masterstudium im Fach Englisch und Lehrdiplom für Maturitätsschulen an der Universität Zürich). Natürlich kann die Halb-Engländerin die Sprache perfekt. Als Kind und Jugendliche sei die Familie ein bis zwei Mal pro Jahr mit dem Auto nach Grossbritannien gefahren und hat dort Grosseltern, Tanten, Onkel – und so weiter – besucht. Ausserdem lebte sie zwischen 2016 und 2017 in den Midlands in England und arbeitete als Lern-Assistentin. In jener Zeit reiste sie im «United Kingdom» umher und machte unvergessliche Erfahrungen. «Ich schätze die Mentalität, die Offenheit und den tollen Humor und Charme der Menschen in England.» Kurz: «Ich liebe England.» Und eigentlich hält sie nur etwas davon ab, in das Heimatland ihres Vaters auszuwandern: «Die ungünstigen Wetterbedingungen.»
Vorteil: Weg frei auf der Toilette
Charlotte Bell jubelte den «Three Lions» – wie das englische Fussball-Nationalteam genannt wird – vor wenigen Tagen live an der Europameisterschaft 2024 in Deutschland zu. Beim Spiel gegen Slowenien (0:0) war sie im Stadion in Köln. «Ich wollte das schon immer mal erleben, bei so einem grossen Spiel dabei zu sein.» Und sie hat es auf keinen Fall bereut. «Die Stimmung war schon einen Tag vor dem Spiel riesig. Die englischen Fans wissen bestens, wie man eine gute Zeit erlebt. Die Euphorie war gross. Im Stadion herrschte eine elektrisierende Stimmung. Und ich fand es richtig aufregend, Teil eines solch tollen Events zu sein. Ich wurde ganz emotional», sagt Bell, die sich während Welt- und Europameisterschaften fast jedes Spiel im TV ansieht. Auf dem Rasen wurde eher magere Fussballkost gezeigt. Dafür erlebte sie neben dem Rasen ein Highlight: «Als Frau musste man für einmal nicht anstehen vor der Toilette.» Alles in allem sei es ein «wahnsinnig tolles Erlebnis» gewesen.
Vom Flughafen direkt zur Arbeit
Und selbst als ihr Heimflug annulliert wurde und sie einen Tag später als geplant – und in aller Frühe – auf den Flieger und direkt vom Flughafen aus mit dem Koffer zur Arbeit musste, hat sich ihre Reise an die Fussball-EM «zu 100 Prozent gelohnt».
Charlotte Bell ist nun vor dem EM-Viertelfinal zwischen der Schweiz und England sehr nervös. Sie tippt auf ein 1:1 – und dass die Schweiz im Penaltyschiessen gewinnt. Die Frau, die augenzwinkernd von sich behauptet, im Hula-Hoop Profi zu sein und sehr gut Badminton und Pingpong zu spielen, sagt aber: «Es ist ja letztendlich eine Win-win-Situation für mich. Ich werde mich am Samstagabend so oder so freuen können. Egal, wie das Spiel ausgeht.» Jedoch wird sie ihr England-Trikot ausziehen, sollte die Schweiz gewinnen. Denn darunter trägt sie ein rotes Shirt mit weissem Kreuz.