«Sehe ich überhaupt was?»
09.01.2024 HandballEuphorie entfachen
Pascal Jenny vor Rekordspiel am Mittwoch
EM-Start. Deutschland gegen die Schweiz. Und das vor 53 000 Fans. «Was will ein Handballherz mehr?», sagt Pascal Jenny.
So etwas hat es im Handball noch nie ...
Euphorie entfachen
Pascal Jenny vor Rekordspiel am Mittwoch
EM-Start. Deutschland gegen die Schweiz. Und das vor 53 000 Fans. «Was will ein Handballherz mehr?», sagt Pascal Jenny.
So etwas hat es im Handball noch nie gegeben. Morgen Mittwochabend wird die Europameisterschaft mit dem Spiel von Gastgeber Deutschland gegen die Schweiz eröffnet. Im Fussballstadion von Düsseldorf werden 53 000 Zuschauer dabei sein. Weltrekord. Der Wohler Pascal Jenny, Präsident des Schweizerischen Handballverbandes (SHV), freut sich riesig. Er will 2024 im Schweizer Handball Euphorie entfachen. --spr
Der Wohler Pascal Jenny, Präsident des Schweizerischen Handballverbands, über Inklusion, Rekorde und die EM
Weltrekord im Fussballstadion. Zum Auftakt in die Handball-EM spielt Gastgeber Deutschland gegen die Schweiz (Mittwoch, 20.45 Uhr, live SRF 2). Unter den Fans wird Verbandspräsident Pascal Jenny aus Wohlen sein. Er würde selbst gerne mitspielen.
Stefan Sprenger
Ein Stichwort: 53 000 Fans. Ihre Gedanken?
Pascal Jenny: Auftakt in die Handball-EM. Die Schweiz spielt gegen Gastgeber Deutschland im Fussballstadion von Fortuna Düsseldorf. Ich kriege jetzt schon Hühnerhaut. Das wird gigantisch. Von solchen Spielen träumt man als Handballer.
Würden Sie gerne mitspielen?
Als Präsident des Schweizerischen Handballverbands hat man gewisse Privilegien. Deshalb werde ich mich einwechseln lassen. Nur ein paar Minuten (lacht laut). Das ist natürlich nur Spass. Diese Partie wird für jeden Beteiligten etwas Riesiges. Egal ob als Spieler, Funktionär oder als Zuschauer. Für jeden Menschen, der mit dem Handballsport verbunden ist, wird der Mittwoch, 10. Januar, etwas Besonderes sein.
Der Schweizer Handball-Superstar Andy Schmid hätte lieber in einer normalen Halle gespielt. In einem Podcast sagte er: «Ich glaube, in diesem Fussballstadion verliert der Handball so ein bisschen von seiner Essenz.» Was sagen Sie dazu?
Ich verstehe es. Es ist ja auch eine einmalige Sache und soll nicht zur Gewohnheit werden. Es gibt eine riesige mediale Aufmerksamkeit, es tut unserem Sport gut. Aber der Handball wird in der Halle bleiben. Ich persönlich freue mich und habe aber auch aus Event-technischer Sicht ein paar offene Fragen.
Welche?
Erst einmal: Sehe ich überhaupt etwas? Ich habe zur Sicherheit einen Feldstecher eingepackt (lacht). Kein Witz. Dann: Wie ist das mit den Temperaturen? Das Stadion hat ein Dach, aber es wird wohl nicht so warm sein wie in einer Halle. Ich bin gespannt, wie man das ganze Spiel umsetzt. Am Ende müssen an einem Grossevent auch Taten rund um Nachhaltigkeit sichtbar sein. Ich bin mir aber auch sicher, dass der Gastgeber das bestens hinkriegt.
Wie schätzen Sie sportlich die Chancen der Schweizer gegen Deutschland ein?
Ich verfolge in diesen Tagen das Nationalteam eng. Ich war an allen Testspielen letzte Woche im Rahmen des Yellow-Cup. Und ich muss sagen: Unsere Nati war wohl selten so stark wie aktuell. Wir haben so viele Akteure aus der deutschen Bundesliga wie nie zuvor. Drei unserer Spieler sind unter den Top-15-Torschützen in Deutschland. Dazu ist es für Andy Schmid das letzte grosse Turnier. Mit Nikola Portner haben wir einen der besten Torhüter des Turniers. Zudem steht Deutschland heftig unter Druck in diesem Spiel. Wenn sie verlieren zum Start in die Handball-EM, beim Weltrekordspiel, gegen den Nachbarn aus der Schweiz, dann brennt der Baum. Wir können unbeschwert in diese Partie. Es ist total offen. Wir können Deutschland aber schlagen.
Danach geht es für die Schweiz gegen Frankreich und Nordmazedonien.
Richtig. Wir sollten nicht nur von diesem Rekordspiel gegen Deutschland reden.
Sondern ...?
Wir müssen unbedingt den 3. Rang in der Gruppe erreichen. Weil wir dann mit grosser Wahrscheinlichkeit einem ganz grossen Gegner in der WM-Qualifikation aus dem Weg gehen können. Das heisst: Wir müssen Nordmazedonien schlagen. Mindestens.
Die ersten beiden Teams bleiben im Turnier. Ist das für die kleine Handballschweiz überhaupt möglich?
Natürlich. Aber es muss vieles zusammenpassen.
Von Grossanlass EM ins eigene Land: Wie geht es dem Schweizer Handball? Wie ist die Entwicklung?
Unsere besten Ligen sind noch nicht da, wo sie sein müssten. Wir haben zu wenig Fans in den Hallen, sind zu wenig präsent in den Medien. Positiv ist, dass man neue Ideen hat und umsetzt. Der Verband und ganz viele Menschen arbeiten stets daran. Der Handball in der Schweiz will wachsen. Die Liga diskutiert über neue Strukturen und Vorschläge. Es benötigt neuen Wind, es braucht neue Lizenzen, mehr Spielerinnen und Spieler, mehr Begeisterung. Die EM in Deutschland kann etwas auslösen, neues Feuer entfachen. Je nachdem, wie unsere Nati sich präsentiert.
Und wo wird sonst noch gefördert?
Das Projekt «Handball macht Schule», wo die Wohlerin Dominique Meier an vorderster Front mitwirkt, ist sicherlich enorm wichtig. Das läuft bereits bestens, wir müssen aber noch in viel mehr Schulen reinkommen in den nächsten 12 Monaten. Ein gutes Beispiel ist Handball Wohlen, das beim Kinderhandball enorm gefragt ist und als Vorzeigeverein gilt diesbezüglich. «Handball macht Schule» ist so ein Projekt, das Begeisterung auslösen kann. Wir sollten uns dringend überlegen, mehr Geld in dieses Element zu investieren, halt eben zu Ungunsten von anderen Projekten oder durch die Akquise von neuen finanziellen Quellen.
Der Schweizerische Handballverband ist einer der wenigen Sportverbände in der Schweiz, welche die Inklusion von Menschen mit einer Beeinträchtigung intensivieren. Swiss Olympic hat dies gefordert. Wieso machen andere Verbände kaum mit?
Da fragen Sie die falsche Person.
Wieso macht der Handball bei der Inklusion mit?
Weil es für die Gesellschaft wichtig ist, weil wir mit gutem Beispiel vorangehen wollen. Der Schweizerische Handballverband hat in Sachen Inklusion Nagel mit Köpfen gemacht – und auch neue Sponsoren dafür gefunden. Das macht mich stolz.
Handball Wohlen, der TV Muri und der HC Mutschellen gehören zu den ersten Vereinen im Land, die auf eigene Initiative nun ebenfalls die Inklusion vorantreiben.
Auch das macht mich als Freiämter sehr stolz. Was dort passiert in Sachen Inklusion, ist grossartig. Das Freiamt ist eben schon eine starke Region. Die Initiative ging von Steff Jaeggi aus, Mitglied von Handball Wohlen. Ich spielte früher mit ihm im «Eis» kurze Zeit zusammen. Als er in Winterthur bei seinem ersten Inklusionsanlass dabei war, sass ich direkt neben ihm und habe hautnah miterlebt, wie seine Augen begonnen haben zu leuchten. Eine wunderbare Geschichte. Und auch wenn ich Verbandspräsident bin, so darf ich das sagen: Handball Wohlen spielt vielleicht nicht in der obersten Liga mit, aber mein Heimatverein gehört zu den vorbildlichsten des ganzen Landes, und das in vielerlei Hinsicht.
Im Januar ist die EM der Männer. Im Dezember steht das nächste Highlight an, die Frauen-EM, die auch in der Schweiz stattfindet.
Auch das kann und wird etwas auslösen in unserem Land.
Ihre Erwartungen?
Wir als Verband, explizit auch ich als Präsident, wollen, dass alle Spiele unseres Frauenteams in der Vorrunde ausverkauft sind. Das gab es bisher noch an keiner WM oder EM der Frauen und wäre auch Rekord. Wir wollen neue Menschen an diese Spiele locken. Das wollen wir mit besonderen Events und Aktionen schaffen. Wir geben Gas, damit die St.-Jakob-Halle in Basel sechs Mal voll sein wird. Wir haben beispielsweise erst vor wenigen Tagen ein Konzept für über 100 Firmen im Raum Basel – wo die Spiele stattfinden – fertiggestellt und wollen nun herausfinden, ob diese KMUs und Konzerne für einen Besuch der Frauen-Handball-EM mit Zusatzerlebnissen offen sind.
Die Resonanz ...?
Positiv. Die Handballschweiz zieht mit. Wir tun alles dafür, dass diese Heim-EM eine unvergessliche Sache wird. Das Team ist bereit, sehr gut aufgestellt und macht die Sache vorbildlich. Ich bin beeindruckt, wie professionell sich die Frauen-Nati präsentiert. Auch da sind wir so stark wie wohl kaum zuvor.
In der Frauen-Nati übernimmt die Murianerin Daphne Gautschi eine wichtige Rolle. Ihre Meinung zu Gautschi?
Sie hat meiner Meinung nach die beste Sprungkraft im Team, einen enorm variablen Wurf, sie ist eine Leaderfigur und hat schon viel Erfahrung für ihr Alter. Gautschi kann das Team mitreissen. Ich hoffe, sie wird gesund bleiben und topfit sein. Wenn ich ihr noch einen Tipp geben könnte, würde ich ihr raten, gelassener zu sein und sich von äusseren Einflüssen nicht aus dem Konzept bringen zu lassen.
2024 feiert der Schweizerische Handballverband seinen 50. Geburtstag. Ein Weltrekordspiel, die EM in Deutschland, dazu die Heim-EM im Dezember. Was kann man als Präsident mehr erwarten?
Unerwartete Erfolge, die für unvergessliche Momente sorgen und etwas auslösen im Land. Emotionen und Momente, welche mehr Kinder in die über 220 Handballvereine der Schweiz bringen und gleichzeitig mehr Firmen für eine Zusammenarbeit mit dem Handballverband und den Clubs motivieren.
Beispielsweise, wenn die Schweiz an der EM Deutschland schlägt – oder gar in den Halbfinal einzieht.
Richtig. Ich habe das Finalturnier jedenfalls bereits gebucht (lacht). Der Januar ist für mich praktisch nur Handball. Als ehrenamtlicher Präsident, aber auch als Fan. Das ist ein enorm wichtiges Jahr für den Schweizer Handball. Packen wir es an.
Die EM
Das Eröffnungs- und Weltrekordspiel zwischen Gastgeber Deutschland und der Schweiz in der Merkur Spiel-Arena in Düsseldorf findet am Mittwoch um 20.45 Uhr statt. Danach geht es für die Schweiz (in Berlin) am Sonntag, 14. Januar (18 Uhr), gegen Frankreich und am 16. Januar (18 Uhr) gegen Nordmazedonien. Es hat insgesamt 24 Teams – aufgeteilt in sechs Gruppen – an der EM dabei. Die besten zwei Teams pro Gruppe ziehen in die Hauptrunde ein, die auf zwei Gruppen aufgeteilt wird. Dort ziehen dann die besten zwei Teams in die K.O.-Phase (Halbfinals) ein. Der Final ist am 28. Januar. Mit Flügelspieler Marvin Lier spielt ein früherer Spieler des TV Muri im Schweizer Nationalteam mit. --red