Sackgasse oder Zukunft?
29.09.2023 WohlenBeim Podium der SVP Wohlen-Anglikon stand das Thema «Zuwanderung» im Fokus
Gleich fünf Nationalratskandidaten von links bis rechts debattierten über Pro und Kontra der hohen Zuwanderung. Dass die Meinungen von Christina Bachmann-Roth (Mitte), Stephan ...
Beim Podium der SVP Wohlen-Anglikon stand das Thema «Zuwanderung» im Fokus
Gleich fünf Nationalratskandidaten von links bis rechts debattierten über Pro und Kontra der hohen Zuwanderung. Dass die Meinungen von Christina Bachmann-Roth (Mitte), Stephan Dietrich (SP), Markus Dietschi (Grüne), Philipp Gut (SVP) und Adrian Schoop (FDP) in vielen Punkten diametral auseinanderliegen, war rasch klar.
Walter Minder
Über 70 Besucherinnen und Besucher, darunter auch einige rotgrüne Vertreter, trafen sich in der Aufbereitungshalle der Auto Kunz AG zu einem Politabend, in dem sich die Podiumsteilnehmenden keine Geschenke machten. Im Mittelpunkt des von Fabian Hägler moderierten Anlasses standen die Themen Zuwanderung, Migration und Asyl. Während Dietrich daran erinnerte, wie wichtig die Flüchtlingshilfe auf der sogenannten Balkanroute und wie gross in Rumänien die Solidarität mit den geflüchteten syrischen Familien sei, meinte Gut kurz und bündig: «Die EU-Aussengrenze ist so löchrig wie Emmentaler Käse, das muss korrigiert werden.» Und dass Bundesrätin Baume-Schneider beziehungsweise das Staatssekretariat für Migration heimlich entschieden hat, dass sämtliche afghanische Frauen und Kinder in der Schweiz Asyl beantragen dürfen, müsse unbedingt korrigiert werden.
«Wir haben keinen Platz mehr»
Für Dietschi hingegen ist es angesichts der weltweit 100 Millionen Flüchtlinge eine Illusion, von sicheren Grenzen zu reden, zumal Betroffene zuerst in Nachbarländer flüchten würden. Auch seien «wir für die Misere mitverantwortlich, denn wir kooperieren aus wirtschaftlichen Gründen mit Diktatoren». Hilfe ist nur vor Ort möglich, das heisst die Schweiz müsse dazu beitragen, dass die Menschen beispielsweise in Afrika oder Afghanistan in Sicherheit leben können und genug zu essen haben.
Schoop ist dagegen froh, dass er durch den Zusammenschluss mit Baden nicht mehr Gemeindeammann in Turgi ist. «Wir haben bei uns einfach keinen Platz mehr für die laufende Zuweisung von Asylbewerbern.» Zudem hätten diese oft eine grosse Anspruchshaltung bezüglich der Unterkunfts- und Betreuungsqualität, «Dankbarkeit sieht anders aus.» Bachmann-Roth schloss die Vorstellungsrunde mit der Bemerkung, es sei einfacher, laut zu sein, als Lösungen zu finden. Sie sehe zwar die Probleme, aber für sie sei auch klar, dass die Schweiz eine moralische und verfassungsmässige Pflicht habe, sich in der Aufnahme von Asylbewerbern und in der Flüchtlingshilfe zu engagieren. «Es braucht zwar tatsächlich eine funktionierende EU-Aussengrenze, aber ebenso wichtig sind zielgerichtete, transparente Verhandlungen mit Herkunftsländern von Asylsuchenden.»
Hin und her
Dann folgte eine Debatte, in der immer wieder erwähnt wurde, der Bund versage im Asylwesen und schiebe die Probleme einfach den Gemeinden in die Schuhe. Aber auch die Forderung, dass die Hilfe vor Ort intensiviert werden muss, wurde immer wieder ins Feld geführt – so beispielsweise in der Südtürkei für vertriebene Kurden. Auf die Frage, wer für die ungelösten Probleme verantwortlich ist, kam von linker Seite die Antwort, die Mehrheit im Bundesrat liege ja in bürgerlichen Händen. Gut: «Die SVP ist zwar die grösste Partei, aber verantwortlich für die Misere sind mit Unterstützung der Mitte die linksgrünen Parteien.»
Dass die Zuwanderung weit oben im Sorgenbarometer der Bevölkerung steht, ist für Gut ein klares Argument für die SVP-Initiative «10 Millionen sind genug». Da vertritt Dietrich eine ganz andere Position: «Wer die Zuwanderung beschneiden will, riskiert unseren Wohlstand, denn wir haben eine zu tiefe Anzahl Kinder pro Familie.» Und was sind politische, was wirtschaftliche Flüchtlinge? Warum gibt es 35 000 negative Asylentscheide, aber keine Wegweisungen?
Klar ist für Dietschi als Replik auf die Feststellung von Andreas Glarner (siehe unten) in dessen Referat, dass sich alle zwölf Tage die Zahl der Menschen in Afrika um eine Million erhöht: «Wo es an allem fehlt, gibt es viele Kinder.»
Keine Konflikte importieren
Für einen Teil der eritreischen Bevölkerung ist der 1. September ein Freudentag, denn 1961 begann an diesem Datum der Krieg, der zur Unabhängigkeit von Äthiopien führte. Am 1. September dieses Jahres kam es nicht nur in Opfikon zu gewaltsamen Zusammenstössen zwischen regimetreuen und oppositionellen Gruppen von Eritreern. Für Schoop ist klar: «Wir leben in einem Rechtsstaat und dürfen keine Importe von Konflikten dulden.» Auch im Nationalrat war zu hören: Wer das Regime unterstützt, muss die Schweiz verlassen, denn sie sind keine politisch Verfolgten. Zudem ist für Schoop die Unterbringung in Containern oder Luftschutzanlagen vertretbar. Bachmann-Roth gab zu bedenken: «Wir sind zu unersättlich und haben auch hausgemachte Probleme.»
Dass die Zuwanderung nur in Zusammenarbeit mit der EU angepackt werden kann, war unbestritten: Das bilaterale Abkommen darf nicht durch einseitige Kündigung der Personenfreizügigkeit infrage gestellt werden.
Auch das Publikum redete mit
Der Abschluss des zum Teil emotionalen Politabends war offen für Fragen und Bemerkungen aus dem Publikum. «Wir müssen zuerst für unser Land und unsere Bevölkerung schauen, nur dann können wir den Zustrom an Asylsuchenden verkraften.» Dass gewisse Volksentscheide in Sachen Zuwanderung wie die Volksinitiative «Gegen Masseneinwanderung» in den Schubladen in Bern spurlos verschwunden sind, bot Anlass zu kritischen Bemerkungen wie etwa: «In Bern sitzen keine Volksvertreter, sondern Volksverräter.»
Auch die Hilfe vor Ort wird befürwortet und als einzige funktionierende Lösung beurteilt, «warum müssen wir immer das Gefühl haben, wir müssten der ganzen Welt helfen, warum nicht zuerst den Armutsbetroffenen in der Schweiz?». Klar geäussert wurde auch, dass der Bund vertieft prüfen muss, ob jemand berechtigt Asyl beantragt oder Wirtschaftsflüchtling ist, «denn für die Fluchthelfer werden Unsummen bezahlt». Abschliessend ein konsensorientiertes Votum: «Das eine tun und das andere nicht lassen, denn es braucht eine Balance zwischen rechten und linken Positionen.»

