Revolver im Wahlkampf
07.01.2025 Region UnterfreiamtErinnerungen bewahren
Buch zur Dorfgeschichte Uezwil getauft
Wer wusste, dass Uezwil eine eigene Gemeindehymne hat? Oder dass unter einem Acker in der Eichenweid vor bald 90 Jahren ein mutmasslich steinzeitliches Grab entdeckt und gesprengt wurde? Das und ...
Erinnerungen bewahren
Buch zur Dorfgeschichte Uezwil getauft
Wer wusste, dass Uezwil eine eigene Gemeindehymne hat? Oder dass unter einem Acker in der Eichenweid vor bald 90 Jahren ein mutmasslich steinzeitliches Grab entdeckt und gesprengt wurde? Das und viel mehr ist im neuen Buch «Uezwil – Geschichte und Geschichten» nachzulesen, geschrieben von Dieter Kuhn, Historiker aus Wohlen. Mehr noch als mit seinen historischen Fakten punktet das Werk mit berührenden Porträts von Persönlichkeiten aus dem Dorf. Die Vernissage mitgeprägt haben die Kindheitserinnerungen von Fabienne Hadorn an die Ferien bei der Grossmutter. «Uezmel» sei für sie eine Herzensangelegenheit, so die bekannte Schauspielerin. --tst
Das Buch «Uezwil – Geschichte und Geschichten» bietet Einblick in spannende Zeiten
Den Neujahrsapéro hat die Gemeinde Uezwil genutzt, um ihr neues Buch vorzustellen. Es dokumentiert die Entwicklung des Dorfs, lebt aber auch von spannenden Personenporträts.
Thomas Stöckli
Einen «Überraschungsgast» hat die Gemeinde Uezwil für die Buchvernissage ihrer Dorfgeschichte angekündigt. Im bereitgestellten Ohrensessel neben dem dreiarmigen Kerzenständer auf der Bühne des Mehrzwecksaals nimmt dann Fabienne Hadorn Platz. Für den Auftritt am Neujahrsapéro ist die schweizweit bekannte und preisgekrönte Schauspielerin und Moderatorin in eine Freiämter Werktagstracht gekleidet. Ihre Grossmutter, Martha Portmann, hat schliesslich in Uezwil das geführt, was ihre berühmte Enkelin als «Inbegriff für ein gutes Leben» bezeichnet.
So teilt Fabienne Hadorn die Erinnerungen ihrer Mutter – etwa, dass am ersten schönen Frühlingstag auf dem Pausenplatz der Schule jeweils die Wäsche zum Trocknen aufgehängt wurde – und persönliche Eindrücke aus der eigenen Kindheit.
Meditative Momente
Untermalt mit passender Geräuschekulisse aus der Konserve berichtet Fabienne Hadorn von meditativen Momenten, ausgelöst erst vom Holpern ihres Kinderwagens über Kieswege und später vom Töffli, mit dem sie in der Region unterwegs war, sowie vom Knarren des Schaukelstuhls und dem Klappern der Stricknadeln ihrer Grossmutter. Und schliesslich vom Guetzlibacken nach altem Familienrezept, das noch heute zur Vorweihnachts-Tradition gehöre. Unerfreulicher in ihr Gedächtnis eingeprägt hat sich der Tag der grossen Überschwemmung, als Bäume und Geröll den Bach stauten und das «Brüggli»-Haus ihrer Grossmutter überschwemmt wurde.
Normalerweise kommen zu den Dorfanlässen in Uezwil jeweils rund 60 bis 70 Personen. Diesmal waren es sicher doppelt so viele, die Gemeindeammann Werner Trottmann in der Mehrzweckhalle begrüssen durfte. «Ihr müsst keine Angst haben», gab er gleich Entwarnung: «Wir brechen nicht mit unserer Tradition und haben auch für dieses Jahr ganz bewusst keine Neujahrsansprache geplant.» Stattdessen traf man sich zum ungezwungenen Anstossen aufs neue Jahr, mit Livemusik von Olivia Bürger (Trompete) und Marcel Kocbek-Malepa (Tuba). Und eben zur Vernissage des neuen Buchs.
Es sei das Herzensprojekt von Vizeammann Thomas Füglistaler, wie Trottmann festhielt, umgesetzt mit viel Herzblut unter Federführung des Wohler Historikers Dieter Kuhn, der seinerseits auf die Unterstützung der Arbeitsgruppe Ortsgeschichte sowie weiterer Autorinnen und Autoren zählen durfte, allen voran Journalistin Andrea Lim.
Schimmel und Rückenwind
«Die Produktion eines Buches lässt sich mit einer Rundreise auf dem Atlantik vergleichen», beschreibt Kuhn. Drei Jahre lang sei man in einem Hybridschiff mit Segel und Motor unterwegs gewesen. Das war auch nötig, denn ein ganzes Jahr sei der Wind ausgeblieben, beschreibt der Historiker. Als er sich im Dorfarchiv im Keller des Schul- und Gemeindehauses mit einigen der ältesten Bücher verschanzt hatte, traten Atembeschwerden und Schlafstörungen auf, typische Symptome von Buchschimmel. Die Bücher waren tatsächlich von ruhendem Schimmel befallen, wie ein vom Gemeinderat in Auftrag gegebenes Fachgutachten bestätigte. Die Notwendigkeit einer professionellen Reinigung, verbunden mit einer Digitalisierung, bremste das Buchprojekt vorerst aus.
Auf die Windstille folgte dann allerdings eine umso stürmischere Phase, wie Kuhn beschreibt. Er berichtet von «wundervollen Gesprächen» und von einer «Fülle an Fotos», die ihm und seiner Crew im Rahmen des Projekts zur Verfügung gestellt worden seien. Mit dem Resultat, dem fertigen Buch, sei er unglaublich zufrieden, so der Historiker weiter. Um nebst der wissenschaftlichen Genauigkeit, für die er einsteht, auch die bestmögliche Lesbarkeit und Verständlichkeit gewährleisten zu können, habe es sich gelohnt, mit Schreibprofis zusammenzuspannen.
Abriss und Eskalation
Den Anstoss zum Buchprojekt gab ursprünglich der Abriss des Dorfrestaurants «Stifeliryter», einst eine wilde Töff-Beiz, später ein Gourmetlokal. Das Verschwinden der alten Bausubstanz und die wertvollen Erinnerung der älteren Generation, die es zu bewahren gilt, haben die Üezmeler bewogen, den Kredit für die Ortsgeschichte in Buchform an der Wintergmeind 2021 fast einhellig zu bewilligen.
An der Vernissage bietet der Autor dem Publikum Einblick in einige Personenporträts, welche die Dorfchronik so lebendig machen. Etwa jenes über den handwerklichen Tausendsassa Johann Meyer-Planzer, genannt «Bucki-Hani» (1895–1980). Unter anderem als Wagner und Küfer, Schulpfleger und Feuerwehrkommandant, Waldarbeiter, Jäger und Störmetzger hat er sich einen Namen gemacht. Und vor allem als Dorforiginal, wie eine Episode aus dem Jahr 1933 eindrücklich untermauert: Im Rahmen des Gemeinderats-Wahlkampfs sei es damals zu einer veritablen Schlägerei gekommen, wobei den Gegnern «mit Gartescheieli ond Munizech (...) de Giebel krieset» wurde. Auch mit Pfeffer habe man versucht, einander kampfunfähig zu machen, zitiert die Dorfchronik den pensionierten Bezirksrichter Max Hübscher. Im Laufe der Rauferei zog «Bucki-Hani» den Revolver und schrie, er werde den ersten, der ihn anfasse, niederknallen. Die Drohung zeigte Wirkung, trug dem waffenschwingenden Schützen und Jagdaufseher allerdings auch eine Busse ein: 28 Franken musste er zahlen.
Hauslehrerin beim Vizekönig
Deutlich gesitteter, aber nicht minder spannend liest sich der Lebenslauf von Emma Mövius-Grollimund. Die Lehrerin sowie Kunst-, Literatur und Sprachen-Enthusiastin verliebte sich in einen chilenischen Geschäftsmann, folgte diesem in den damals angloägyptischen Sudan, zog später aus gesundheitlichen Gründen ins klimatisch mildere Jerusalem um und arbeitete nach dem Tod ihres Mannes als Hauslehrerin im Palast von Abbas II., dem Vizekönig von Ägypten. Über das private Goldschmidt-Gymnasium in Konstantinopel und eine Hauslehrerinnen-Stelle in Barcelona fand sie schliesslich als Lehrerin nach Uezwil.
Auf die Pensionierung folgte dann ein neues Leben als Schriftstellerin. In ihrem Erstlingswerk «Der Weg zu Amon Rê. Kreuzfahrt einer Liebe» thematisierte sie die grosse Liebe ihres Lebens, nahm aber auch auf literarische Werke Bezug. In ihrem zweiten Roman «Die Eulenfiebel: Roman um Schuld und Sühne», erschienen 1942, wurde Uezwil zum Handlungsort einer zwar fiktiven Geschichte, die doch auch den dörflichen Wahrheiten auf den Grund zu gehen vermag. So ist etwa das Ringen um den Bau des neuen Schulhauses ein Thema.
Das Buch «Uezwil – Geschichte und Geschichten» ist für 33 Franken auf der Gemeindekanzlei erhältlich. Für jeden Uezmeler Haushalt steht ein Exemplar kostenlos zur Verfügung.