Carmen Bärtschi, wohnt in Zürich, vormals in Wohlen und Bremgarten.
Man muss kein Pessimist sein, um zu spüren, dass die Welt derzeit auf wackligen Beinen steht. Kriege auf mehreren Kontinenten, der Planet schwitzt, an den ...
Carmen Bärtschi, wohnt in Zürich, vormals in Wohlen und Bremgarten.
Man muss kein Pessimist sein, um zu spüren, dass die Welt derzeit auf wackligen Beinen steht. Kriege auf mehreren Kontinenten, der Planet schwitzt, an den Rändern unserer Demokratien marschieren Parolen, die wir längst im Museum glaubten. Reines Wunschdenken hilft da wenig. Was wir brauchen, ist eine Haltung, die klar sieht, was machbar und möglich ist, statt in Resignation zu verfallen – kurz: Possibilismus. Wer vergangene Kriege studiert, erkennt: Frieden fällt nicht vom Himmel. Er lässt sich auch nicht herbeireden. Historisch gesehen wurden Waffenstillstände fast immer von zähen Verhandlungen, gezielten Sanktionen und humanitärer Unterstützung begleitet. Possibilismus besteht darauf, genau dort anzusetzen: Diplomatie aufstocken, Konfliktparteien an einen Tisch holen, die Opfer vor Ort unterstützen und Nachkriegsperspektiven skizzieren.
Ähnlich unbarmherzig zeigt sich das Klima. Die Daten sprechen klare Worte: CO2-Konzentrationen steigen wie auch die Anzahl der Hitzetage. Die Erde regeneriert sich eben nicht von selbst, nur weil wir sie darum bitten. Possibilistische Klimapolitik denkt daher zweigleisig: Sie forciert grüne Innovation und schafft ökonomische Leitplanken, die fossile Geschäftsmodelle unattraktiv machen. Ja, das kostet Geld; und nein, es ist nicht optional. Unser Leben hängt davon ab.
Ebenso beängstigend ist das Wiedererstarken autoritärer Ideologien. Wenn eine Partei von Remigration redet und ein pathologischer Lügner alles tut, um Präsident zu bleiben, reicht es nicht, empört den Kopf zu schütteln. Possibilismus bedeutet, die liberale Demokratie aktiv zu immunisieren: Medienkompetenz ab Kindergarten, politische Partizipation für alle und eine Justiz, die Hetze einschmilzt wie Altmetall. Kurz: Mitwirken und laut werden, bevor es zu spät ist.
Possibilismus ist weder Träumerei noch Resignation. Sondern Arbeit. Er schreibt To-do-Listen, setzt Prioritäten und stellt die ungemütlichen Fragen in der Sitzung, in der alle heimwollen. Er malt keine Wolken rosa an, sondern deckt das Dach, bevor es regnet. Möglichkeiten gibt es genug; nutzen wir sie, statt ihnen beim Verstreichen zuzusehen. Nur dann verwandelt sich die Summe unserer Krisen in die Summe unserer Chancen.