Nur noch ein Nischendasein
31.10.2024 WohlenWiedereinführung von Kleinklassen – Gemeinderat stemmt sich dagegen
Der Gemeinderat Wohlen erteilt dem Begehren der SVP eine Abfuhr. Kleinklassen sind für ihn kein Thema mehr. «Im heutigen System stehen Kosten und Aufwand für das Führen von ...
Wiedereinführung von Kleinklassen – Gemeinderat stemmt sich dagegen
Der Gemeinderat Wohlen erteilt dem Begehren der SVP eine Abfuhr. Kleinklassen sind für ihn kein Thema mehr. «Im heutigen System stehen Kosten und Aufwand für das Führen von Kleinklassen in keinem sinnvollen Verhältnis zum erwarteten Nutzen», so seine Haltung.
Daniel Marti
Der Aargauer FDP-Ständerat Thierry Burkart sorgte im vergangenen Juni für einen medialen Wirbel: «Die integrative Schule ist gescheitert», liess er verkünden. Damit landete er für die SVP Wohlen einen Volltreffer. Er habe damit das angesprochen, was schon lange bekannt ist und «immer wieder von den Bildungsgelehrten bestritten wird», sagte dazu die Volkspartei und reichte eine Motion ein. Darin wird der Gemeinderat beauftragt, «auf den nächstmöglichen Termin die Kleinklassen an der Wohler Schule wiedereinzuführen und Separativ vor Integrativ zu unterrichten».
Die SVP begründete ihren Vorstoss ausführlich. Nun gibt der Gemeinderat seine Haltung bekannt und beantragt eine Nichtüberweisung der Motion. Der Gemeinderat geht in seinem Schreiben eingehend auf die kantonalen Richtlinien ein. Im Jahr 2009 wurde der integrative Schulunterricht in Wohlen eingeführt. Damals sei von der Schulpflege und den verantwortlichen Bildungspersonen vieles «versprochen und schöngeredet worden», lautet der Vorwurf der SVP.
Der Gemeinderat kontert: Gemäss Schulgesetz entscheidet der Gemeinderat (vormals die Schulpflege), ob Kinder und Jugendliche mit Lernschwierigkeiten, die dem Unterricht in Regelklassen nicht zu folgen vermögen, in der eigenen Schulgemeinde in Kleinklassen oder mit heilpädagogischer Unterstützung in der Regelklasse integrativ gefördert werden sollen.
Kleinklassen sind im Kanton Aargau nach wie vor zulässig – im Gegensatz zu anderen Kantonen. «Sie fristen ein Nischendasein», so der Gemeinderat. Seit Jahren ist die Zahl der Schulen mit Kleinklassen im Kanton Aargau rückläufig. Vor zehn Jahren, im Schuljahr 2013/14, waren es noch 74 Gemeinden, die mindestens eine Kleinoder Einschulungsklasse führten. Im vergangenen Schuljahr 2023/2024 waren es nur noch deren 38. In absoluten Zahlen wurden im Kanton Aargau im Schuljahr 2023/2024 noch total 500 Kinder in Kleinklassen unterrichtet, «was einem Anteil von 0,6 Prozent» der Gesamtschülerzahl entspricht, rechnet der Gemeinderat vor.
Weiterhin drei Einschulungsklassen
In Wohlen fasste im Jahr 2007 die damalige Schulpflege den Grundsatzentscheid, die bestehenden Kleinklassen (3 an der Primarstufe und 4 an der Oberstufe) abzuschaffen. 2015 erfolgte die Schlussevaluation. Die Lehrpersonen gaben laut Gemeinderat in der Befragung zu Grundhaltung und Konzepten im Umgang mit Heterogenität grossmehrheitlich an, «mit der Vielfalt in den Klassen gut bis sehr gut zurechtzukommen». Je nach Frage lag die Zustimmung zwischen 72 und 99 Prozent. «Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Schule Wohlen seit der Abschaffung der Kleinklassen einen Innovations- und Entwicklungsschub durchgemacht hat und heute in Bereichen wie Unterrichtsgestaltung, Lernarrangements, unterrichtsbezogene Zusammenarbeit und Förderprozesse an einem ganz anderen Punkt steht als noch vor 15 Jahren», schreibt der Gemeinderat.
Zudem habe die Schule Wohlen in den letzten Jahren erfolgreich zahlreiche Kinder und Jugendliche mit Lernschwierigkeiten und teils ausgewiesener Behinderung schulisch integriert und diese nach der obligatorischen Schulzeit in adäquate Anschlusslösungen gebracht.
Trotz Abschaffung der Kleinklasse führt die Schule Wohlen weiterhin drei Einschulungsklassen (je eine pro Primarschulzentrum), um entwicklungsverzögerten Kindern zu ermöglichen, die 1. Klasse in zwei Schuljahren zu absolvieren.
Ein Zurück torpediert die Qualitätsentwicklung
Die Wiedereinführung von Kleinklassen ist laut dem Gemeinderat mit etlichen Konsequenzen versehen. Sie hätte zur Folge, dass pro Schulzentrum und pro Stufe je eine Kleinklasse geführt würde (1 Kindergartenkleinklasse, 3 Primarschulkleinklassen, 2 Oberstufenkleinklassen ohne Bezirksschule).
Sechs Kleinklassen würden zumindest sechs Vollzeitstellen in Anspruch nehmen. «Die entlastende Wirkung wäre minim», so der Gemeinderat. Und es würde zusätzlicher Schulraum notwendig. «Ein Zurück zu Kleinklassen würde die langjährige Qualitätsentwicklung der Schule Wohlen torpedieren», schreibt der Gemeinderat.
Der Gemeinderat anerkennt in seiner Schlussbetrachtung die Leistung der Schule Wohlen «als Ort der Integration und des Zusammenlebens». Die Motion der SVP findet beim Gemeinderat also keine Unterstützung, er stemmt sich gegen die Überweisung. «Die Wiedereinführung von Kleinklassen bietet für die zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen, mit denen sich die Schule heute konfrontiert sieht, keine entlastende Wirkung», so der Gemeinderat abschliessend. «Der Aufwand, sowohl in organisatorischer, personeller sowie finanzieller Hinsicht, steht in keinem Verhältnis zum erwarteten Nutzen.»