Nomadin ist jetzt Coach
08.03.2024 WohlenCoach mit Selbsterfahrung
Die Wohlerin Tanja Tobler ist Lebenscoach – auch aufgrund ihrer besonderen Biografie
Seit bald 10 Jahren ist sie in Wohlen mit ihrer Familie sesshaft. Und hilft Menschen mit unterschiedlichen Problemen.
...Coach mit Selbsterfahrung
Die Wohlerin Tanja Tobler ist Lebenscoach – auch aufgrund ihrer besonderen Biografie
Seit bald 10 Jahren ist sie in Wohlen mit ihrer Familie sesshaft. Und hilft Menschen mit unterschiedlichen Problemen.
Stefan Sprenger
Ihr eigenes Leben ist eine Achterbahnfahrt. Ein Ereignis, das sie sehr prägte, waren monatelange Mobbing-Attacken an einem Internat. «Das hat mich aus der Bahn geworfen und viele Ängste ausgelöst», erzählt die heute 46-Jährige. Sie beginnt sich damals mit ihrer eigenen Kindheit auseinanderzusetzen. Und es wächst in ihr der innere Wunsch zu helfen. «Ich möchte das Bewusstsein der Menschen anregen», sagt Tobler.
Sie hat zwei Firmen. Eine Event-Agentur und ein Coaching-Unternehmen. Dazu ist sie Ehefrau und Mutter. Auf ihrer Homepage fragt sie: «Immer funktionieren zu müssen, sich selbst hintenanstellen, Hunderte Bälle gleichzeitig jonglieren – stresst Sie das auch so?» Gemäss einer Studie finden 92 Prozent aller Frauen, dass sie gerne mehr Zeit für sich selbst hätten. Zu Tanja Tobler kommen deshalb viele berufstätige Frauen, die Hilfe suchen.
Mobbing-Coach
Aber auch Männer, die angesichts des hektischen Alltags überfordert sind. Als Personal-, Business- und Familien-Coach versucht Tobler zu helfen. Auch Kinder kommen zu ihr. Aufgrund ihrer eigenen Geschichte liess sie sich auch zum Mobbing-Coach ausbilden. Sie spricht von einer regelrechten «Mobbing-Epidemie», die in der heutigen Zeit immer schlimmer wird. Tanja Tobler hat Tipps auf Lager, wie man präventiv gegen Mobbing vorgehen kann. Und auch, wenn das Mobbing bereits stattgefunden hat. Im Gespräch erzählt sie von ihrem Leben.
Die Wohlerin Tanja Tobler hilft Menschen in vielen Lebenslagen – und hat selbst eine eindrückliche Geschichte
Venezuela, Kuwait, Holland. Als Kind war Tanja Tobler rastlos und an vielen Orten zu Hause. Ihr Glück fand sie schliesslich 2016 in Wohlen. Die 46-Jährige hat ihre eigene Geschichte genutzt, um jetzt anderen Menschen zu helfen. «Ich will die Welt ein klein wenig besser machen», sagt sie im Gespräch.
Stefan Sprenger
«Negerschlampe». «Schwatte». «Hatte dein Vater etwas mit der Putzfrau?» Diese Beleidigungen erschüttern ihr Weltbild. Als 13-jähriges Mädchen, in einem Internat in Deutschland, lernt Tanja Tobler Rassismus kennen. Sie wird Mobbingopfer. «Es war die schlimmste Zeit meines Lebens», sagt sie selbst. Und auch die prägendste.
Sie wächst wohlbehütet auf. Die Mutter liebevoll, der Vater viel beschäftigt. Geboren wird sie in Venezuela. Ihr Vater ist Deutscher. Ihre Mutter stammt aus Englisch Guyana, flüchtete vor dem Bürgerkrieg nach Venezuela. Die Familie lebt in Caracas, der Hauptstadt. Als Ingenieur im Erdölgeschäft muss ihr Vater beruflich viel reisen und die Familie zieht mit. Kuwait, Holland, Deutschland – und wieder zurück. «Ich bin als Nomadin gross geworden. Bis ich 28 Jahre alt war, habe ich in keinem Land länger als 5 Jahre gelebt. Und jedes Land hat mich auf seine Weise geprägt und mich zu der Frau gemacht, die ich heute bin. Ich habe 5 Sprachen gelernt und kam mit Kulturen, Menschen und Traditionen in Berührung, die andere sonst wohl nur in ihrem Jahresurlaub kennenlernen», erzählt sie.
Schreckliche Dinge passierten im Internat
Rassismus oder Mobbing, das kennt sie nicht. «Ich war gut so, wie ich bin.» Das dachte sie bis zu jener Zeit in diesem Internat in Deutschland. Die Eltern trennten sich. Der Vater ging zurück nach Deutschland, Tanja Tobler musste mit. Sie erinnert sich noch bildhaft an den ersten Schultag. Der Vater brachte sie in einem silbernen BMW zum Internat, fuhr durch das riesige Tor, parkierte vor dem Gebäude, ein altes Schloss mit vier Türmen an jeder Seite. Nach einem kurzen Rundgang ging der Vater wieder und liess die Tochter im Internat. «Statt dass meine Mutter mich wie gewohnt ins Bett brachte, war im nun im Internat. Um 21 Uhr war Lichterlöschen. Es galten Disziplin, Pünktlichkeit und Konsequenzen. Mal wieder lernte ich, meine Gefühle und Emotionen zu unterdrücken.» Und sie war – wie sie selbst sagt: «Das perfekte Mobbingopfer.» Ein dunkelhäutiges Mädchen auf einem Internat voller Jugendlicher, die weiss sind. «Ich war gefundenes Fressen für die frustrierten Rich Kids.»
Das vorher so selbstsichere Mädchen kriegt Angst, wird immer unsicherer. «Ich habe mich versteckt, um nicht unter die Räder zu kommen», erzählt sie. Eines Nachts haben Mitschü- lerinnen sie beim Schlafen überfallen, ihr die Decke weggezogen, sie mit kaltem Wasser übergossen, ihr den Mund zugedrückt und sie bei offenem Fenster frieren lassen. Wie das war? Sie braucht keine Antwort zu geben, ihr Gesichtsausdruck genügt. «Von da an hatte ich nur noch Angst. Auch weil mich die Internatsleitung nicht ernst nahm und ich mit niemandem reden konnte.» Ihr Selbstvertrauen war gebrochen. Sie begann zu glauben, dass sie eine «dreckige Schlampe sei», eine «Schwatte». Sie beginnt, Drogen zu nehmen und sich zu betäuben.
Sie wurde vom Opfer zum Täter
Aus dieser scheinbar ausweglosen Situation kommt sie nur dank einer Lehrerin. Aber nicht weil die ihr aktiv geholfen hat. «Sie war eine zierliche Person, hatte eine nicht alltägliche Frisur. Sie war die neue Zielscheibe, jetzt wurde sie gemobbt.» Und Tanja Tobler hatte die Wahl: Beim Mobbing mitmachen oder nicht. Sie tat es, teilte aus. Vom Mobbingopfer zum Mobber. «Ich wusste, dass es falsch war, mit jeder Faser meines Körpers. Und trotzdem tat ich es.» Der Grund: «Ich wusste, dass es mein Ausweg ist und dass ich danach nicht mehr die Zielscheibe sein würde.» Und so war es auch.
Nach dem Internat ging sie nach Venezuela zurück. Abgestumpft, emotionslos. Sie war eine Rebellin, erlebte ihre «Punk-Phase». Sie wollte nichts und niemanden an sich ranlassen. Doch die Mutter schafft es, hilft ihr aus der schwierigen Phase und bringt sie wieder auf den richtigen Weg.
Ihr beruflicher Wunsch entspringt wohl aus ihrem Leben als Nomadin. Sie wollte in die Touristik, schlug sich als Reiseführerin durch, ging als 19-jährige Frau nach Deutschland und begann die Hotelfachausbildung. Die Ausbildungszeit sei «wunderbar» gewesen. Mit einem grossen Aber. Mitten in der Lehre ist sie ein Jahr in stationärer Behandlung im Spital. Aufgrund einer seltenen Immunerkrankung hängt ihr Leben am seidenen Faden. Doch sie findet erneut zurück ins Leben, schliesst die Ausbildung erfolgreich ab, beginnt ihre berufliche Karriere in der Hotellerie. Das bedeutete: Viel umziehen. «Aber darin war ich als Nomadin ja geübt», sagt sie lachend. Schweiz, Deutschland, Türkei, Österreich. «Mit 28 Jahren hatte ich genug. Ich wollte sesshaft werden.» Sie zieht in die Schweiz, arbeitet beruflich in der Pharmaindustrie, gründet 2012 eine eigene Eventagentur (die sie bis heute erfolgreich führt).
«Wohlen war perfekt»
In jener Zeit lernt sie Philipp kennen, ihren Mann. Ihre Tochter kommt 2014 zur Welt. Und das Leben spült sie nach Wohlen. Ein Haus in der Nähe des Waldrands. Sie sehen das Haus im Internet – und verlieben sich. Ihr Mann arbeitet damals beim Fussballverband FIFA in Zürich, testet tagelang den Arbeitsweg. Tanja Tobler checkt Wohlen aus. «Schulen. Aktivitäten. Umgebung. Menschen. Es war perfekt. Wohlen hat alles, was man zum Leben braucht», so ihr Fazit. 2016 ziehen sie hierher – und haben nicht vor, wegzugehen.
Heute hat sie im Aesch-Quartier ihre Büroräumlichkeiten. Neben der Event-Agentur gründete sie eine zweite Firma, die t2-expieriences GmbH. Tanja Tobler ist Personal Coach. Lebenscoach, wenn man so will. Dafür hat sie zahlreiche Aus- und Weiterbildungen gemacht. «Als systemischer Personal-Coach zeige ich Frauen, wie sie zu einer gesunden und erfüllenden Work-Life-Balance finden, in der die eigenen Bedürfnisse im Vordergrund stehen.» Sie unterstützt Frauen in ihrem Alltag, sei es beruflich oder privat. Und sie hilft Familien. «Als Familiencoach helfe ich Frauen, ein harmonisches Familienleben zu führen, das ihnen ein Lächeln ins Gesicht zurückzaubert, wenn sie an ihre Liebsten denken oder von ihnen erzählen.» Sie will das Bewusstsein der Menschen fördern. Sie will das Leben ihrer Kunden leichter machen, damit sie selbstbestimmt leben können. Sie hilft, dass man sich vom Erwartungsdruck anderer löst. Und Tobler – die seit 2012 zu 100 Prozent selbstständig ist – hat sich auch zur Mobbing-Expertin ausbilden lassen.
Tochter wird in Wohlen gemobbt
Ihre Tochter wurde im Wohler Kindergarten gemobbt. «Sie kam mit Bissund Kratzwunden nach Hause», erzählt sie den Tränen nahe. «Und bei mir kam meine eigene Geschichte wieder hoch», erzählt sie. Das war mit ein Grund, wieso sie sich zur Mobbing-Trainerin ausbilden liess und jetzt Kinder, Eltern und Schulen berät. Sie spricht von einer «Mobbing-Epidemie, die immer schlimmer wird». Und dagegen will sie etwas tun. Sie sagt: «Ich will meinen Teil dazu beitragen, dass die Welt ein bisschen besser wird.» Und dass solch schwerwiegendes Mobbing, wie sie es erlebt hat, eingedämmt wird. Sie selbst hatte jahrelang daran zu beissen, dass sie damals im Internat vom Opfer zum Täter wurde. Die Lehrerin, die damals die neue Zielscheibe für die Mobbing-Attacken wurde, hatte damit zu kämpfen. «Und ich hatte damit zu kämpfen, dass ich sie mobbte.» Vor vier Jahren suchte Tanja Tobler diese Lehrerin auf und schrieb ihr einen Brief. «Ich habe mich für mein Verhalten entschuldigt.» Die Lehrerin antwortete, sie freute sich über ihre Zeilen. «Und sie hat mir verziehen.»
«Du bist gut so, wie du bist»
Interview mit Personal-, Business- und Familien-Coach Tanja Tobler zum Thema Mobbing
Sie mobbte und sie wurde gemobbt. Als ihrer Tochter am Kindergarten in Wohlen ebenfalls schwierige Dinge widerfahren, hat sich Tanja Tobler zum Mobbing-Coach ausbilden lassen und berät nun Schulen, Kinder und Eltern.
Ihr eigenes Kind wurde gemobbt. Was war das für ein Gefühl?
Tanja Tobler: Unglaublich schlimm. Eine Ohnmacht. Sie kam mit Biss- und Kratzwunden nach Hause. Ich war schockiert.
Wie haben Sie reagiert?
Ich suchte das Gespräch mit der Kindergartenlehrerin und mit der Schule. Doch die vertrösteten mich und meinten, sie hätten erst in ein paar Tagen Zeit. Auch habe ich das Gespräch mit den Eltern des Kindes gesucht, das unser Kind mobbte, doch es interessierte sie in keinster Weise. Ich habe dann reagiert und mein Kind aus dem Kindergarten genommen. Ich wollte sie schützen. Ich wollte nicht, dass diese Hölle weitergeht. Ich schaute mich nach Alternativen um. Meine Tochter ging danach in den Montessori-Kindergarten. Dort war Ruhe. Heute besucht sie eine Privatschule.
Die finanziellen Möglichkeiten für eine Privatschule hat aber nicht jeder.
Richtig. Ich weiss das, ich schätze das. Es ist ein Privileg. Ich bin aber froh, dass wir diese Möglichkeit haben.
Was raten Sie Eltern von Kindern, die gemobbt werden?
Das Kind sofort aus der Schusslinie nehmen. Mit dem Kind ein vertrauensvolles Gespräch führen. Und mit der Schule reden. Wichtig ist, dass man das Selbstvertrauen des Kindes stärkt, dem Kind keine Vorwürfe macht, zuhört und die Gefühle ernst nimmt, aber nicht erst, wenn es gemobbt wird.
Sondern?
Von Geburt an. Immer. Eltern sollten ihr Kind auch Kind sein lassen. Vertrauen schaffen. Sicherheit und Geborgenheit geben. Das Kind darf selbst Entscheidungen treffen, der Chef über sich selbst sein. Natürlich mit Regeln. Man sollte aber dem Kind die Freiheit geben, auch Nein sagen zu dürfen. Es sollte eine Beziehung auf Augenhöhe sein zwischen Eltern und Kind. Eine gesunde Kommunikation. Eine erfüllende Beziehung. Und dem Kind Affirmationen mitgeben. Denn: Gedanken erzeugen Gefühle und diese beeinflussen unser Handeln. Alles beginnt mit den Gedanken eines Menschen.
Klingt nicht einfach umsetzbar.
(Lacht) Das habe ich auch nicht behauptet. Und man macht als Eltern Fehler, das ist kaum vermeidbar. Aber es ist so immens wichtig, dass die Beziehung zu den Eltern gesund ist. So wird das Ur-Vertrauen des Kindes gestärkt. Es ist auch eine Prävention für die aktuelle Mobbing-Epidemie. So werden Kinder weniger zu Mobbern. Und sollte ein Kind gemobbt werden, dann kann es dies besser einschätzen, es ist gestärkt, hat ein gesundes Selbstbewusstsein. Das Kind weiss bestenfalls, dass es nicht selbst schuld ist an den Mobbing-Attacken. Denn Mobbing hat nicht mit einem selbst zu tun.
Wie wird heute gemobbt?
Aggressiver als früher. Nur schon was die Sprache angeht. Dazu kommen die Social Media, also Cybermobbing. Ein Thema für sich.
Kann man ein Kind auf Mobbing vorbereiten?
Ja. Vertrauen schenken. Ein positives Vorbild sein. Indem man dem Kind vermittelt: «Du bist gut so, wie du bist.»
Wieso mobben Menschen?
Aus Schutz, weil man nicht selbst zum Opfer wird, wenn man mobbt. Aus Selbstzweifel. Menschen, die mobben, suchen Aufmerksamkeit, Liebe und Anerkennung. Sie suchen ein Ventil und nützen dann eine vermeintlich schwächere Person dafür aus.
Menschen kommen mit den unterschiedlichsten Problemen zu Ihnen als Coach. Gibt es so etwas wie einen roten Faden?
Ja. Die Kindheit. Dort sitzen meist die Blockaden. Die ersten sechs Jahre im Leben eines Menschen sind am wichtigsten. Deshalb sollten wir in dieser Zeit sehr liebevoll mit unseren Kindern vorgehen. --spr