Nähe stärkt die Demokratie
05.08.2025 Boswil, Region OberfreiamtGallati sprach im Solino Boswil
Unsicherheiten, die Demokratie und das Milizsystem wählte Regierungsrat Jean-Pierre Gallati als Thema für seine Festansprache zum Bundesfeiertag im Alters- und Wohnheim Solino in Boswil. Dabei betont er: «Das Milizsystem ist ...
Gallati sprach im Solino Boswil
Unsicherheiten, die Demokratie und das Milizsystem wählte Regierungsrat Jean-Pierre Gallati als Thema für seine Festansprache zum Bundesfeiertag im Alters- und Wohnheim Solino in Boswil. Dabei betont er: «Das Milizsystem ist das Rückgrat der Gesellschaft.» --ake
Regierungsrat Jean-Pierre Gallati sprach im Solino Boswil über unsichere Zeiten, die Demokratie und das Milizsystem
Ehrenamtliches Engagement in geballtem Ausmass. Regierungsrat Jean-Pierre Gallati erfreute sich an vielen Besuchern an der Bundesfeier im Solino Boswil. In seiner Rede betonte er, wie wichtig es ist, sich für die Gesellschaft einzusetzen. «Ob in der Politik, im Sport, in der Kultur oder in Vereinen.»
Annemarie Keusch
Keine Militärparade. Kein Überflug. Kein «komischer Präsident». So, wie in Frankreich der Nationalfeiertag gefeiert wird, ist es nicht in der Schweiz. Hier sind die Feierlichkeiten dezentral, in jeder Gemeinde. «Überhaupt, in der Schweiz bestimmen die Gemeinden. Ohne sie geht nichts. Das ist gut so, auch wenn es für einen Regierungsrat manchmal auch etwas für Ärger sorgt.» Regierungsrat Jean-Pierre Gallati hielt im Solino Boswil eine humorvolle und gleichzeitig ernste Ansprache zum 1. August. Er sprach über das «Büchsenfutter» in der Schweizer Armee, hielt aber auch fest, dass alle ausser die Spitzenpolitiker in Bern mittlerweile begriffen hätten, dass die Schweiz eine starke Armee brauche. «Wir müssen nachrüsten.»
Seit über 200 Jahren vom Krieg verschont
Seit 1798 und dem Einfall der Franzosen ist die Schweiz von Kriegen verschont. «Über 200 Jahre. Wieso ist das so? Wegen der Neutralität vielleicht?», fragte Gallati. So einfach sei es leider nicht. Schon im Ersten und im Zweiten Weltkrieg wurden mit Luxemburg und Belgien neutrale Länder überfallen. Und dass Finnland und Schweden, beides Länder mit langer Geschichte der Neutralität, in den letzten Jahren der NATO beitraten, sei ein weiterer Beweis. «Neutralität allein reicht nicht.» Erst recht nicht in den unsicheren Zeiten, in denen Europa und die Schweiz momentan leben. «Aber wir haben trotzdem das Gefühl, uns in der Schweiz könne nichts passieren.» Weil die Demokratie funktioniert. «Dafür braucht es aber den Einsatz und das Engagement aller.» Wenn das nicht gelingt, komme es nicht gut. «Das sieht man in anderen Ländern, wo mit einem Präsidenten, der nicht mehr ganz bei Trost ist, alles aus dem Ruder läuft. Die Abgeordneten schaffen es nicht, ihn zu stoppen. Solche Tendenzen gibt es überall und wir sind davor nicht gefeit», betonte der Regierungsrat. Trotzdem sei er optimistisch. «Wenn wir auf der Basis weiterarbeiten, die Sie geschaffen haben, gelingt es», wandte sich Gallati an die Solino-Bewohnerinnen und -Bewohner.
Freiwilliges Engagement stärkt Selbstwertgefühl
Wichtig sei dabei ein funktionierendes Milizsystem. «Neben Cervelat und Rösti eine weitere Spezialität, die wir in der Schweiz haben.» Die Idee, dass alle verantwortlich sind für die Gemeinschaft, gegenseitige Hilfe und Zusammenarbeit. Für Gallati ist klar: «Das Milizsystem lässt die Distanz zwischen Staat und Bürgern verschwinden. Diese Nähe verhindert eine Elite, die abhebt.» Darum sei das Milizprinzip das Rückgrat des Staates. Das sei auf politischer Ebene so, wo ganz viele nebenoder ehrenamtlich Ämter und Aufgaben übernehmen. Das sei aber auch in weiteren Bereichen so: im Sport, im Zivilschutz, bei der Feuerwehr, der Armee, der Politik, im Sozialbereich, in der Bildung oder in der Kultur. «Boswil ist hierfür ein leuchtendes Beispiel.» Gallati meint unter anderem das Künstlerhaus Boswil, das als kantonaler Leuchtturm gilt. Aus dem einstigen Heim für Künstlerinnen und Künstler ist ein Ort der Musik entstanden. «Eindrücklich», findet Gallati.
Aber auch ein Leuchtturm würde nicht leuchten ohne ehrenamtliches Engagement. «So, wie es ganz viele von Ihnen ihr Leben lang gemacht haben», wandte er sich an die Bewohnenden. «Hier im Raum sitzt ganz bestimmt ein geballtes Ausmass an ehrenamtlichen Tätigkeiten.» Aber auch rund um das Solino gibt es viele, die sich engagieren – im Kafi oder bei der Aktivierung. Dass dies Vereinen, Institutionen, Organisationen viel bringt, ist das eine. Aber Gallati weiss, dass es wissenschaftlich erwiesen ist, dass erhöhtes Glück und Zufriedenheit mit ehrenamtlichem Engagement einhergehen. Sich freiwillig für eine gute Sache einzusetzen, steigere das Selbstwertgefühl und nütze der beruflichen Entwicklung. «Man kann nämlich Erfahrungen und Fähigkeiten entwickeln, die auch in anderen Bereichen des Lebens nützlich sind.» Zudem stärke ehrenamtliches Engagement das eigene soziale Netzwerk. «Man lernt unterschiedliche Menschen kennen und findet neue Freundschaften.» Darum könne er es nur empfehlen: «Engagieren Sie sich dort, wo Sie gebraucht werden und wo es Ihnen Freude macht. Damit tragen Sie den Milizgedanken weiter und setzen sich aktiv für unsere Demokratie ein. Sie werden sehen: Es lohnt sich.»
Gemeinsame militärische Zeiten
Der Applaus nach Gallatis Ansprache war lang andauernd. Und laut, schliesslich gab es kaum mehr freie Stühle im Saal des Solino. Dass mit Jean-Pierre Gallati ein Regierungsrat und damit ein hochkarätiger Gast die Bundesfeier des Alters- und Pflegeheims besuchte, war dabei kein Zufall. «Ich habe sowohl mit Heimleiter Ralph Huggel als auch mit Gemeindeammann Michael Weber gemeinsame militärische Zeiten durchlebt», erzählte Gallati. Die geografische Nähe kommt dazu, schliesslich ist Gallati in Waltenschwil aufgewachsen und lebt heute in Wohlen.
Gallati ist als Gesundheitsdirektor laut Heimleiter Ralph Huggel «quasi unser Chef». Ein zufriedener Chef. «Das Solino ist eine von 106 Institutionen im Bereich der Langzeitpflege im Kanton Aargau. Eine, von der ich nur Gutes höre.» Das freue ihn. Das freut die Heimleitung, die Bewohnenden und die Angehörigen. So lässt sich das gemütliche Miteinander bei Bratwurst und Getränk noch besser feiern.