Mister Zuverlässig
23.12.2025 Wohlen, MusikLukas Stäger war als musikalischer Leiter und Pianist des Varietés während zehn Jahren bei allen Vorstellungen dabei
Absagen oder ausfallen geht nicht. Das gilt für alle Musiker der Band. Aber besonders für Lukas Stäger. In allen Shows der ...
Lukas Stäger war als musikalischer Leiter und Pianist des Varietés während zehn Jahren bei allen Vorstellungen dabei
Absagen oder ausfallen geht nicht. Das gilt für alle Musiker der Band. Aber besonders für Lukas Stäger. In allen Shows der letzten zehn Jahre hatte er den Lead. Und das waren viele. 266 bis jetzt. «Es gab keinen Abend, an dem ich nicht gerne hierhergekommen bin», sagt er.
Chregi Hansen
Noch fünf Vorstellungen. Noch fünfmal morgens aufstehen und hoffen, dass man gesund in den Tag starten kann. Sich noch fünfmal vorbereiten und warmspielen für einen Abend im Varieté, wo 170 Gäste auf eine zauberhafte Vorführung hoffen. Noch fünfmal darauf zählen, dass keiner seiner Musikerkollegen ausfällt. «Denn wir haben keinen Plan B», sagt Lukas Stäger. «Nicht spielen, das ist keine Option.»
Noch fünfmal, dann ist Schluss. Ist auch die 10. Saison des Monti Varieté Geschichte. 33 Vorführungen liegen dann dieses Jahr hinter Stäger, dazu unzählige Proben. Schon jetzt lässt sich sagen, dass auch diese Saison ein grosser Erfolg ist. So wie schon die neun davor. Stäger muss es wissen. Denn der Wohler Musiker und Komponist ist der Einzige, der jedes Jahr dabei war. Mehr noch: Er ist der Einzige, der bei allen Varieté-Vorstellungen auf der Bühne stand. Respektive sass. Das hat sonst keiner geschafft, auch niemand aus der Familie Muntwyler. «Das hat sich so ergeben. Ich werde jedes Jahr wieder angefragt. Und bisher habe ich nie gezögert zuzusagen, denn es macht jedes Mal Freude», sagt er.
Dabei ist die Verantwortung gross. Stäger ist nicht nur für die Kompositionen und Arrangements zuständig, er spielt auch jeden Abend mit. «Bei uns noch alles live», erklärt er stolz, «da gibt es nichts ab Band.» Das bedeutet aber eben auch, dass niemand ausfallen darf. «Wir sind alle schon krank und mit Fieber auf der Bühne gestanden. Anders geht es nicht, denn wir haben keine Ersatzmusiker, die wir aufbieten können.» Nur den Gesangspart, den teilen sich zwei Sängerinnen, hier könnte man auf einen Ausfall reagieren. Doch diesen Druck ist sich der 51-Jährige gewohnt. «Ich habe rund 100 Auftritte pro Jahr. Ich musste noch nie einen absagen», erzählt er mit einem gewissen Stolz.
Ganz seriös leben
Dies ist nur möglich dank einer seriösen Vorbereitung. Während der Zeit des Varietés tut Lukas Stäger alles, um nicht krank zu werden. Er achtet darauf, dass er genug Schlaf bekommt, macht einen Bogen um Menschen, die am Husten sind. Verzichtet darauf, nach den Vorstellungen noch lange zu feiern. «Meistens entdecke ich im Publikum ein paar bekannte Gesichter.
Dann sage ich nach der Vorführung schnell Hallo, verabschiede mich aber auch bald wieder», berichtet er. Denn Stäger ist sich seiner Verantwortung bewusst. Er ist nicht nur Musiker, sondern auch Bandleader. Er gibt die heimlichen Kommandos, wann der Sound mal fein, mal dynamisch sein soll. Er muss reagieren, wenn eine Nummer länger oder kürzer ausfällt. Oder mitten in der Vorstellung angepasst werden muss, weil sich ein Artist verletzt hat, wie es auch schon vorgekommen ist. Stäger ist der musikalische Kopf. «Die Musiker vertrauen mir. Und ich vertraue ihnen. Anders geht es nicht», sagt er.
Vereinfacht wird die Situation dadurch, dass sich die drei Bandmitglieder schon lange und gut kennen, auch privat befreundet sind. Schlagzeuger Stephan Felber ist bereits die 8. Saison dabei, Bassist und Gitarrist Danny Hertach ebenfalls schon die fünfte. Sie treten auch abseits des Varietés manchmal zusammen auf. «Mit Danny habe ich einst Musik studiert. Jetzt mit ihm in einem solchen Projekt zu sein, das ist schön», sagt Stäger.
Während der Varieté-Zeit ist sein Tag streng getaktet. Seine Lektionen als Klavierlehrer werden in diesen zwei Monaten von einer Stellvertretung übernommen. Morgens um 7 Uhr steht er auf und frühstückt zusammen mit seinen zwei Kindern, bis sie in der Schule sind. Dann erledigt er Büroarbeiten – Stäger ist auch stellvertretender Leiter der Musikschule Wohlen –, arbeitet an neuen Projekten oder probt. Bis zu zwei Stunden sitzt er jeden Morgen am Klavier. «Ich gehe die Stücke der Show nochmals durch, mache vielleicht feine Anpassungen. Bereite mich auf künftige Auftritte oder Projekte vor oder übe einfach», erklärt er. Ohne das tägliche Üben würde es nicht gehen, da unterscheide sich der Musiker nicht von den Artisten. «Auch wir müssen auf alles vorbereitet sein.»
Nach dem Mittagessen im Kreis der Familie legt er sich meist noch etwas hin, um Kraft zu sammeln. Treffpunkt ist an den Aufführungstagen um 16.30 Uhr zum Soundcheck. Dann findet auch der letzte Austausch mit der Regie statt. Was muss allenfalls geändert werden? Wo kann etwas verbessert werden? Seine Meinung ist da gefragt. «Die Vorführung verändert sich im Laufe der zwei Monate immer wieder leicht. Das ist auch gut, sonst wäre es mit der Zeit langweilig. Die Musik hat die Aufgabe, die ganze Show zusammenzuhalten. Wir müssen uns diesen Veränderungen anpassen können», berichtet der Wohler. Da ist wieder eine Erfahrung als Arrangeur gefragt. Um 17 Uhr ziehen sich die Musiker zurück, gegen 17.30 Uhr treffen die ersten Gäste ein. Dann folgt ein stetiger Wechsel zwischen Auftritt, Pause und Auftritten bis gegen 22.30 Uhr. Wenn Stäger dann abends heimkommt, ist er entweder erledigt und will sofort ins Bett. Oder er ist noch voller Adrenalin und kann nicht einschlafen. «Aber es wird nie zu spät. Ich muss ja morgens um 7 Uhr wieder auf», schmunzelt der Profi.
Idee Varieté mitentwickeln
Sein Engagement im Varieté betrifft auch die Familie. Fast jeden Abend ist der Vater weg. «Ja, sie muss verzichten auf mich», sagt er. «Aber dafür bin ich tagsüber viel zu Hause. Und ich versuche auch sonst präsent zu sein.» So begleitet er in dieser Zeit die Chöre seiner Frau Prisca Zweifel am Klavier. Oder ist bei den Auftritten der Kids bei den Musikschulkonzerten dabei. Natürlich kommt die Familie mindestens einmal an eine Aufführung. Im Gegensatz zu den Artisten sind die Musiker beim Service nicht eingespannt. «Am Anfang war das noch der Fall. Aber wir sind davon weggekommen. Erstens sind wir noch am Spielen, wenn die ersten Teller hineingetragen werden. Andererseits sind wir im Gegensatz zu den Artisten ständig im Einsatz. Das ist auch körperlich anstrengend», erklärt er.
Keine Probleme hat er hingegen, teilweise mitten im Publikum zu spielen oder wenn sein Flügel zur Bühne wird für die Artisten. Er spielt konzentriert seinen Part, während sich die Schlangenfrau vor ihm windet oder eine Künstlerin am Seil über seinen Kopf fliegt. Reagiert auf jede Feinheit, bleibt immer professionell. «Das Problem ist nicht die Nähe zum Publikum oder zu den Artisten, sondern die Distanz zur Band und zur Sängerin», macht er deutlich. Denn schliesslich ist er der Dirigent, gibt die Kommandos. Und damit die Richtung vor, in welche der Sound steuern soll.
Seit über zehn Jahren verbringt Lukas Stäger zwischen Herbstferien und Silvester viel Zeit im Winterquartier der Montis. Er war schon dabei, als 2014 die allerersten Versuche über die Bühne gingen. Als ausprobiert wurde, was im frisch gebauten Gebäude möglich ist. «Das war alles ganz anders, die Halle spärlich eingerichtet, die Technik noch nicht auf dem heutigen Niveau», schaut er auf diese Zeit zurück. Und schwärmt, wie sich dieses Projekt in den zehn Jahren entwickelt hat.
Zusammen mit Andreas Muntwyler und Ulla Tikka, dem heutigen Regieteam, gehört er damals zu den Gründern des Varietés. Im Gegensatz zu ihnen war er immer dabei. Ist es eigentlich nicht eher sein Projekt, selbst wenn Monti davorsteht? Lukas Stäger lacht. «Es würde auch ohne mich gehen. Aber nicht ohne den Monti», macht er deutlich. Er ist einfach stolz, Teil dieser Erfolgsgeschichte zu sein, betont das gute freundschaftliche Verhältnis zur Familie Muntwyler, für die er schon mehrfach die Musik für den Zirkus komponiert hat. «Die Zusammenarbeit ist immer gut. Wir denken in die gleiche Richtung, haben die gleichen Vorstellungen», sagt er. Umgekehrt spürt er ein grosses Vertrauen. «Ich habe in vielen Dingen freie Hand. Aber ich sehe mich nicht als Star, sondern nur als Teil der Show.»
Langweilig wird es nie
Ihm gefällt die Aufgabe als musikalischer Kopf des Varietés. Das Auswählen und Arrangieren der Stücke. «Weil wir nur zu dritt sind, muss ich bekannte Hits umschreiben, dadurch entsteht immer etwas ganze Besonderes», erzählt Stäger. Jedes Jahr kommen aber auch eigene Kompositionen dazu. Auch das Spielen selbst bereitet ihm viel Freude. Das Varieté sei ein Live-Erlebnis für alle Sinne. «Heute kann man zu jeder Zeit jede Musik hören. Aber das, was wir spielen, gibt es nur hier und heute und es klingt jedes Mal etwas anders. Das macht es zu etwas Besonderem – es ist etwas rein Analoges in einer digitalen Zeit.» Er lebt für diese Momente. Und würde sich wünschen, dass das Publikum dies auch tut. «Leider verfolgen immer mehr Menschen die Konzerte nur noch mit dem Handy vor dem Gesicht», stört er sich. «Ich schaue aber lieber in Gesichter vor mir als in Kameras.»
Zittern vor Geburt des Sohnes
Noch bleiben fünf Aufführungen, dann ist die zehnte Saison zu Ende. Wäre zehn nicht eine gute Zahl zum Aufhören? Lukas Stäger schmunzelt. «Ich habe mir noch keine Gedanken darüber gemacht, wie lange ich dabei bin. Aktuell macht es mir noch immer viel Spass. Schliesslich verbringe ich immer eine gute Zeit mit Freunden», sagt er. Hier sei die Musik nicht einfach nur Beilage zur Show, sondern gehöre zum Hauptgericht, das gefällt ihm.
Letztlich aber liegt es an der Familie Muntwyler, ob Stäger weiter dabei ist – das Mandat ist jeweils nur für eine Saison. Aber dass die Montis auf ihren «Mr. Zuverlässig» verzichten wollen, das ist kaum vorstellbar. Und die Gefahr, dass er wegen der Geburt eines Kindes ausfällt, ist inzwischen auch nicht mehr vorhanden. «Bei meinem Sohn war es damals extrem knapp, da sass ich auf glühenden Kohlen. Der Geburtstermin wäre im Dezember gewesen, er hat dann zum Glück bis Januar gewartet.» Gut so, sonst hätte Lukas Stäger entweder die Geburt verpasst. Oder wäre vielleicht diese Geschichte nicht entstanden über den Musiker, der seit zehn Jahren keine Aufführung des Varietés verpasst hat. Beides wäre schade.



