Mehr Gelassenheit wäre besser
31.12.2024 WohlenPolitrückblick: Zwei Referendumsabstimmungen liessen die Emotionen hochgehen
Es war ein ereignisreiches Politjahr in Wohlen. Geprägt von zwei stark umkämpften Entscheidungen an der Urne: Die Kredite für die Aufwertung der Zentralstrasse und den neuen ...
Politrückblick: Zwei Referendumsabstimmungen liessen die Emotionen hochgehen
Es war ein ereignisreiches Politjahr in Wohlen. Geprägt von zwei stark umkämpften Entscheidungen an der Urne: Die Kredite für die Aufwertung der Zentralstrasse und den neuen Schulraum wurden zur emotionalen Angelegenheit – und wurden verworfen.
Daniel Marti
Ein Stück Strasse liess in Wohlen die Emotionen hochgehen – dies doch eher überraschend. Aufwertung der Zentralstrasse heisst das Reizwort, das sich über Wochen hinweg anscheinend im Kopf der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger festsetzte. Ob es nur das Projekt rund um eine bessere Zentralstrasse war, das für eine eher negative Stimmung sorgte, ist zu bezweifeln. Die Zentralstrasse musste wohl auch dafür herhalten, dass die Stimmung rund um Wohlens Politlandschaft nicht die beste war oder ist.
Vom Zufallsentscheid zum Referendum
In der Debatte vom 11. März waren die Meinungen im Einwohnerrat zum Geschäft geteilt. Die Ablehnung der Aufwertung des Strassenraums war dann wohl eher ein Zufallsentscheid. 19 Nein, zu 18 Ja – obwohl der Gemeinderat immer wieder von einer «guten Kompromisslösung» sprach. SVP, FDP, Grünliberale waren dagegen, der Rest dafür. Und dieser Rest (Mitte, Grüne, SP) ergriff dann auch das Referendum. Eine Ablehnung wurde vors Volk beordert, ein Novum in der Geschichte des Einwohnerrates.
Die Aufwertung der Zentralstrasse ist nicht nur eine emotionale, sondern auch eine lange Geschichte. 2010 und 2011 wurde im Auftrag von Kanton und Gemeinde ein Projektwettbewerb durchgeführt. Im Jahr 2017 konnte das Betriebs- und Gestaltungskonzept abgeschlossen werden. 2018 startete die Projektierung unter der Federführung des Kantons. 2024 war die Vorlage spruchreif. Die Aufwertungs- und Sanierungsmassnahmen belaufen sich auf insgesamt 9,55 Millionen Franken. Daran beteiligen sich der Bund mit 2,07 Millionen, der Kanton mit 4,82 Millionen und die Gemeinde mit 2,66 Millionen. Zusätzlich nahm die Gemeinde Wohlen Anpassungen in der Höhe von 1,9 Millionen vor. Der Gemeinde entstehen für die Aufwertung somit Kosten von 4,56 Millionen Franken. Dies entspricht 40 Prozent der Gesamtkosten.
Und diese Kreditsumme wurde dann vom Stimmvolk mit 2428 Nein-Stimmen (60,4 Prozent) bachabgeschickt. Nur 1592 stimmten Ja (39,6 Prozent). Das Projekt beschäftigte die Menschen, dies bewies die relativ hohe Stimmbeteiligung von 48,2 Prozent. Ein Projekt, das über 14 Jahre hinweg eigentlich verkehrstechnische Verbesserungen im vom Stau geplagten Zentrum versprach, wurde beerdigt. Die Argumente waren vielfältig: Sparmassnahmen, die fehlenden Radstreifen, der Kampf um Parkplätze und Tempo wurden thematisiert. Oder das Projekt gefiel nicht. Oder politische Machtkämpfe wurden auf dem Buckel der Zentralstrasse ausgetragen.
SVP siegte gegen den grossen Rest
Der Urnengang von Anfang Juni zeigte bereits Tendenzen: Die SVP drückte der Wohler Politik den Stempel auf – und das Stimmvolk folgte zu einem gewissen Teil der Volkspartei. Dies zeigte sich mit aller Deutlichkeit bei der Abstimmung vom 24. November betreffend Schulraum.
Die SVP ergriff das Referendum gegen die Verpflichtungskredite für die Realisation von Neubauten von Zyklus- 1-Schulhäusern in den Arealen Bünzmatt (2 Millionen) und Junkholz (1,38 Millionen). Und beide Kredite wurden sehr deutlich an der Urne abgelehnt. Mit 62,5 Prozent (Bünzmatt) beziehungsweise 61,2 Prozent (Junkholz) Nein-Stimmen. Die SVP siegte auf ganzer Linie – und durfte für sich in Anspruch nehmen, dass sie den Puls der Bevölkerung fühlt. Gewiss, dieser Umstand gefällt längst nicht allen politischen Playern und Komponenten. Alle anderen Parteien (FDP, Grünliberale, Mitte, EVP, Grüne, SP) kämpften an der Seite des Gemeinderates gegen die SVP. Trotzdem lehnte die Bevölkerung der Gemeinde Wohlen erstmals in der jüngeren Geschichte eine Bildungsvorlage ab. Und der Graben in der Wohler Politlandschaft ist im November vollends aufgegangen. Gegenseitige Anschuldigungen gab es vor und nach der Abstimmungsentscheidung.
Letztlich musste der verantwortliche Gemeinderat Thomas Burkard trotzdem zugeben, dass die gemeinderätliche Strategie wohl doch zu komplex war.
Anschuldigungen nach dem demokratischen Entscheid
Ein wesentlicher Aspekt wurde wohl zu wenig stark beachtet: Wohlen gab in den letzten Jahren und gibt aktuell rund 80 Millionen Franken aus für die Bildungsinfrastruktur (neue Sporthalle Hofmatten, Modernisierung Schulzentrum Halde, Sanierung Turnhalle Junkholz). Dieses Tempo war wohl manchem Stimmbürger zu hoch. Ein Projekt nach dem andern zu realisieren (und nicht überlappend), das wäre wohl ratsam gewesen.
Vor allem die Seite der Befürworter tat sich schwer mit dem Volksentscheid: Das Volk dürfe auch unvernünftige Entscheide fällen und falsch liegen, wurde reklamiert. Das Volk habe sich verleiten lassen. Und wer ging an die Urne? Brauchen wir den Einwohnerrat überhaupt noch?, lauteten Grundsatzfragen.
Alle zusammen an einen Tisch sitzen
Die SVP machte sich dagegen Sorgen ums Geld, forderte eine Mitwirkung und eine Optimierung. Die Bereitschaft zur Optimierung sei überhaupt nicht vorhanden. «Der Ausdruck Optimierung ist im Gemeinderat sogar ein Fremdwort», kritisierte Renato Hübscher. «Wenn man finanziell mit dem Rücken zur Wand steht, wie die Gemeinde Wohlen, dann muss man optimieren.»
Ein bisschen mehr Abstand hätte vielleicht auch mehr Gelassenheit gebracht. Und eine klarere Sicht. Beim Nein zu den beiden Schulraumkrediten ging es wohl nicht nur um die Schule. Sondern um Proteststimmen und ums Vertrauen in den Gemeinderat, das wohl 2024 wesentlich gelitten hat.
Nun wird Anfang 2025 ein runder Tisch für Klarheit sorgen müssen. Vor allem beim Schulraum. Und alle Kräfte werden dort eingebunden sein, auch die SVP will dazu einen wesentlichen Anteil leisten. Das ist gut so und der einzige Weg, um zu konstruktiven Resultaten zu gelangen und um den entstandenen Graben wieder zuzudecken.
Runder Tisch gleich für weitere Themen
Der runde Tisch könnte sich durchaus auch gleich anderer Themen annehmen: Das Budget 2025 beispielsweise wurde mit einem Defizit von über 1,3 Millionen Franken und einem weiter bestehenden Steuerfuss von 116 Prozent genehmigt. Gegen den Willen des Gemeinderates. SVP, GLP und FDP wollten das so und verhinderten eine Steuerfusserhöhung. Der Gemeinderat präsentierte zweimal ein Budget, das im Einwohnerrat chancenlos und nicht mehrheitsfähig war. Erst endete es in der Rückweisung, dann in der Abkehr der gemeinderätlichen Steuerfuss-Strategie. Für das Budget 2026 gilt es jetzt schon Lösungen zu erarbeiten. Vielleicht an einem runden Tisch?
Weiter sind sich ein grosser Teil der Ortsbürgergemeinde und Gemeindeammann Arsène Perroud zum Jahresende in die Quere gekommen. Vier erfahrene Ortsbürger wollen per Initiative vor allem den Schutz des Anwesens Villa Isler gewährleisten (gegen ein nachbarliches Baubegehren). Rund ein Drittel aller Ortsbürgerinnen und Ortsbürger haben die Initiative unterschrieben. Eine (erfolgreiche) Premiere. Der Gemeindeammann, immerhin Vorsteher der Ortsbürgergemeinde, hat sich jedoch auf die Seite des Investors gestellt. Das vierköpfige Initiativkomitee reagierte heftig und attackierte den Gemeinderat scharf. Auch hier könnte die Einberufung eines runden Tisches wahrlich nicht schaden.