Leid schwappt ins Freiamt
24.02.2023 WohlenTürkische Vereine mit Hilfe für Erdbebenopfer
Der Türkische Hilfsverein Wohlen besteht aus rund 35 Familien. Der Anatolische Kulturverein Wohlen aus über 60 Familien. Sie alle sind in irgendeiner Form vom Erdbeben in der Türkei betroffen. Jetzt ...
Türkische Vereine mit Hilfe für Erdbebenopfer
Der Türkische Hilfsverein Wohlen besteht aus rund 35 Familien. Der Anatolische Kulturverein Wohlen aus über 60 Familien. Sie alle sind in irgendeiner Form vom Erdbeben in der Türkei betroffen. Jetzt versuchen sie zu helfen.
Der Türkische Hilfsverein Wohlen und der Anatolische Kulturverein Wohlen haben beide je 5000 Franken gespendet, um Menschen in der Türkei zu helfen, die von dem Erdbeben betroffen sind. Sie haben auch Kleidung und Hygieneartikel geschickt, damit die Menschen dort überleben können. Die Vereine wollen weiterhin helfen, denn das Ausmass der Katastrophe ist riesig. Nevzat Ogul, Präsident des Türkischen Hilfsvereins, erzählt: «Es wird Jahre dauern, bis alles wieder aufgebaut ist. Über 48 000 Menschen sind gestorben, und das sind nur die Leute, die gefunden und identifiziert wurden. Viele Menschen haben ihre ganze Familie, ihre Le- bensgrundlage und ihr Zuhause verloren.» Auch die Mitglieder der beiden Wohler Vereine haben Familienangehörige zu betrauern. --jl
Kaum Zeit zum Trauern
Zwei Wohler Vereine organisieren Hilfe für die erdbebenbetroffenen Gebiete in der Südtürkei
Der Türkische Hilfsverein Wohlen und der Anatolische Kulturverein Wohlen helfen in erster Linie ihren Mitgliedern bei der Integration und organisieren Anlässe und Feste mit Schwerpunkt türkischer Kultur. Jetzt müssen sie in die Rolle als Krisenhelfer schlüpfen.
Josip Lasic
Lange gefackelt hat der Türkische Hilfsverein Wohlen nicht, als starke Erdbeben eine wahre humanitäre Katastrophe in der Südosttürkei ausgelöst haben. «Als wir davon erfahren haben, wurde am selben Abend eine Sitzung mit dem Vorstand einberufen und darüber diskutiert, wie geholfen werden kann. Der Vorstand kam zum Entschluss, dass ein Betrag von 5000 Franken über die Vereinskasse gespendet wird», erzählt Nevzat Ogul, Präsident des Vereins. Laut seiner Aussage war das zu diesem Zeitpunkt fast die Hälfte der finanziellen Mittel, die dem Verein zur Verfügung standen. «Es gab da nichts zu rechnen und zu diskutieren. Die Menschen in der Türkei haben ihr ganzes Hab und Gut verloren, Familien sind obdachlos, Kinder sind Waisen. Jede Sekunde kann da über Leben und Tod entscheiden. Wir mussten reagieren.»
Der Türkische Hilfsverein Wohlen besteht seit über 40 Jahren. Auf der Website der Gemeinde Wohlen werden seine Tätigkeiten folgendermassen zusammengefasst: «Beistand und Hilfe für Familien von Wohlen und Umgebung» und «Durchführung von kulturellen Anlässen». In den letzten Jahren gab es allerdings einen Mitgliederschwund. Der Verein konnte sich sein Lokal am Gewerbering in Wohlen nicht mehr leisten. Nach der Pandemie sank die Mitgliederzahl weiter. «Wir haben momentan rund 35 Familien aus Wohlen und Umgebung. Familien, die in Dottikon, Villmergen oder Sarmenstorf leben. Und die alle von dieser Katastrophe in der Türkei betroffen sind.»
Eine psychische Qual für die Menschen
Nicht zuletzt Nevzat Ogul. Seine Heimatstadt ist Adiyaman, die das Erdbeben sehr stark zu spüren bekam. «Meine Mutter lebt noch dort», sagt er, während sich seine Miene verfinstert. «Sie hat auch überlebt. Aber am ersten Tag ist gleich mal der Strom ausgefallen und die Mobilfunknetze. Drei Tage lang dauerte es, bis ich Kontakt zu ihr aufnehmen konnte, bis ich wusste, was los ist. Davor war das psychisch eine Qual. Und so ging es vielen Leuten.»
Immerhin, fasst Ogul zusammen, hat von den Mitgliedern des Türkischen Hilfsvereins Wohlen niemand Angehörige verloren.
Viele Verluste unter den Angehörigen der Vereine
Etwas, was die Mitglieder des Anatolischen Kulturvereins Wohlen nicht so von sich behaupten können. Der Sarmenstorfer Veli Yavuzatmaca stammt aus dem Gebiet Kahramanmaras, das am stärksten betroffen war. Sein Cousin ist mit Frau und Kindern ums Leben gekommen. «Erst nach zehn Tagen wurden ihre Leichen aus den Trümmern geholt. Es geht einfach alles viel zu langsam dort.»
Ein Grund, warum Yavuzatmaca mit einigen anderen Mitgliedern des Vereins schnell die Leitung übernommen hat bezüglich der Organisation der Hilfe. «Jemand muss das tun und es muss schnell gehen. Wir haben keine Zeit für ‹Würdest du das bitte machen?›. Menschenleben sind in Gefahr.» Der Anatolische Kulturverein Wohlen ist rund 20 Jahre jünger als der Türkische Hilfsverein, hat aber mit 60Familien mehr Mitglieder aus der Region Freiamt. Um ein Haar hätten sie sogar ein Vereinsmitglied verloren. Eine Frau aus dem Anatolischen Kulturverein war in der Türkei bei ihrer Mutter zu Besuch. Nach dem Erdbeben konnte sie Kontakt mit ihrem Mann in der Schweiz aufnehmen und ihm mitteilen, dass sie unter den Trümmern begraben liegt. Erst als er die türkischen Behörden kontaktiert hat, konnte sie befreit werden. Ihre Mutter, die sie besucht hatte, hat es hingegen nicht überlebt. Yavuzatmaca zeigt Bilder von dem Gebäude, das mal sein Elternhaus war. «Sie hatten Untermieter. Ihre Tochter ist auch gestorben. Es ist so viel Leid dort. Und nach wie vor werden Menschen vermisst.»
Zusammenhalt im Freiamt beim letzten Erdbeben schon gross
Deshalb setzt sich Yavuzatmaca gemeinsam mit seinem Verein ein, dass möglichst schnell viel Hilfe in die Türkei kommt. Als Erstes haben sie Winterkleider gesammelt und Hygieneartikel. In Zusammenarbeit mit weiteren Organisationen wurden die Waren in die Türkei transportiert. Mittlerweile hat auch der Anatolische Kulturverein über 5000 Franken Spendengelder gesammelt. Seine beiden Kinder haben an zwei Wochenenden freiwillig mitgearbeitet bei der Sortierung der Waren. Andere Vereine übernehmen dann den Transport.
Ogul erklärt, dass es nicht einfach ist, die Waren und das Geld hier zu sammeln und sie an den richtigen Ort zu bringen. Er betont, dass er nicht allzu stark ins Politische gehen will. «Insbesondere jetzt, wo die Menschen leiden. Ich will keine Wunden aufreissen. Aber es läuft nicht alles rund bei der Organisation der Hilfe in der Türkei. Es ist schon fast drei Wochen her, dass das Erdbeben passiert ist. In einigen Bergdörfern gibt es immer noch keine Hilfe für die Menschen.»
Der Türkische Verein Wohlen wird weiterhin aktiv sein und sich für die Verbesserung der Situation einsetzen. Dafür sollen Veranstaltungen organisiert werden, wo Geld und Hilfsgüter gesammelt werden können. Ebenso der Anatolische Kulturverein. Die schnelle Solidarität in der Schweiz und auf der Welt gibt ihnen Hoffnung. Ebenso wie die gegenseitige Unterstützung. «Das bezieht sich nicht nur auf die türkischen Mitmenschen», sagt Ogul. «Das ist das schöne Gefühl, das mir in Wohlen seit jeher vermittelt wurde.» Der Türkische Hilfsverein war bereits aktiv, als sich 1999 das letzte grosse Erdbeben in der Türkei ereignete. «Die Einwohner von Wohlen waren sehr solidarisch und kamen zusammen, um uns mit diversen Spenden unter die Arme zu greifen. Allein diese Gesten sind eine grosse Hilfe.»