In Villmergen das Glück gefunden
31.07.2025 Arbeit, Villmergen, Region UnterfreiamtÄra geht zu Ende
Praxisübergabe in Villmergen
Schon ihren Vorgänger kannten im Dorf fast alle. Josef Estermann hat sich während Jahrzehnten in Villmergen um die Gesundheit seiner Patienten gekümmert. Und Mitte der 80er-Jahre mit ...
Ära geht zu Ende
Praxisübergabe in Villmergen
Schon ihren Vorgänger kannten im Dorf fast alle. Josef Estermann hat sich während Jahrzehnten in Villmergen um die Gesundheit seiner Patienten gekümmert. Und Mitte der 80er-Jahre mit Roland und Regula Schumacher die idealen Nachfolger gefunden. Er arbeitete als Hausarzt, sie als Gynäkologin. Daneben haben sie sich im Dorf engagiert und sich für eine gute Grundversorgung im Freiamt eingesetzt. Nach 37 Jahren tun sie es ihrem Vorgänger gleich. Und übergeben die Praxis idealen Nachfolgern. --chh
Das Ärzteehepaar Roland und Regula Schumacher übergibt seine Praxis in neue Hände
Sie haben beide Medizin studiert und danach gemeinsam während 37 Jahren eine Praxis geführt. Jetzt wollen Roland und Regula Schumacher zusammen mehr freie Zeit geniessen. Zuvor schauen sie auf die Anfänge zurück. Und erzählen, dass die Übernahme damals ein wahrer Glücksfall war.
Chregi Hansen
Heute ist es so weit. Heute endet die Ära des Ärztepaars Schumacher in Villmergen. Zwei Jahre nach seiner Frau Regula geht auch Roland Schumacher in den Ruhestand. Zum Abschluss ist eine Grillparty geplant mit vielen aktuellen und ehemaligen Mitarbeitenden. Und einem Lotto – eine Reminiszenz an Felix Grob, den früheren Chefarzt des Spitals Muri, dem das Ehepaar viel zu verdanken hat. Und der damals regelmässig in seinem Garten zu Grillpartys samt Lotto eingeladen hat. «Da wurde man als Assistenzarzt schon mal zum Schnipseln und Vorbereiten aufgeboten», erinnert sich Roland Schumacher lachend.
Stattfinden soll die Abschiedsparty im eigenen, wunderschön gestalteten Garten. «Als wir hier eingezogen sind, gab es eigentlich nur eine Wiese und ein paar Bäume», erinnert sich Regula Schumacher. Nun ist ein kleines Naturparadies daraus geworden samt einem grossen Teich. «Da steckt viel Arbeit drin. Aber uns war es wichtig, in einer angenehmen Umgebung zu leben und zu arbeiten. Auch die Patienten schätzen den Blick in den Garten», so die frühere Gynäkologin. In Zukunft kann das Paar diesen Anblick noch mehr geniessen. Mehr Zeit haben für sich, die Enkel und ihre Hobbys, die Kultur und das Reisen, aber auch füreinander, darauf freut sich das Ehepaar.
Praxis ist in guten Händen
Gleichzeitig haben sie Gewissheit, dass ihr Lebenswerk eine Fortsetzung erhält. «Natürlich spüre ich mit dem Abschied eine gewisse Wehmut in mir. Aber zu wissen, dass weitergeht, was wir hier aufgebaut haben, macht den Abschied einfacher. Ich wüsste nicht, wie es wäre, wenn wir niemanden als Nachfolger gefunden hätten», sagt Roland Schumacher. Den vielen Patienten sagen zu müssen, dass sie nun leider keinen Hausarzt mehr haben, das wäre für ihn eine Horrorvorstellung. Jetzt aber ist klar: Marius Stettler stösst im August neu zum Team und wird mit Claudia Khov-Schild, die schon seit 23 Jahren in Villmergen tätig ist, die Hausarztpraxis betreiben. Die Gynäkologie ist mit Klara Wille und Deborah Garaventa ebenfalls in guten Händen.
Für sie machte der Vorgänger noch drei Jahre länger
Trotzdem ist das Loslassen nicht ganz einfach. Vor 37 Jahren haben Roland und Regula Schumacher die Praxis von Josef Estermann übernommen, der zuvor mehrere Jahrzehnte in Villmergen tätig war. «Es gibt viele Patienten, die mir sagen, sie seien in ihrem Leben nur bei zwei Ärzten gewesen. Dr. Estermann und Dr. Schumacher», erzählt der scheidende Hausarzt. Dass sie damals als junge Ärzte eine bestehende Praxis übernehmen konnten, war ein Glücksfall. Im Gegensatz zu heute gab es viele Interessenten. Doch da war der bereits erwähnte Chefarzt Felix Grob, der dem jungen Assistenzarzt den Tipp gab, doch mal bei Doktor Estermann anzuklopfen, der suche einen Nachfolger. «Ich habe mich nicht getraut. Aber an einem Seminar hat mich Josef Estermann selbst angesprochen. Offenbar hat uns Felix Grob empfohlen.»
Am 29. Dezember 1984 fand das entscheidende Gespräch im Haus von Josef Estermann statt. Die beiden erinnern sich noch gut. «Wir sassen quasi auf gepackten Koffern, als wir bei ihm waren. Wir wollten für drei Monate nach Australien und Neuseeland. Als Assistenten im Spital hatten wir 80-Stunden-Wochen und kaum Möglichkeiten für Ferien. Jetzt wollten wir endlich mal wieder verreisen. Josef Estermann wollte uns unbedingt noch vor der Abreise sehen», schaut Regula Schumacher zurück. Das Gespräch verlief positiv. Doch Schumachers baten um Bedenkzeit. «Nach der Heimkehr wussten wir: Das machen wir.» Allerdings mussten sie erst noch ihre Ausbildung abschliessen. «Dann hänge ich eben noch drei Jahre dran», antwortete Estermann. Denn er war überzeugt, die idealen Nachfolger gefunden zu haben.
Gynäkologin mit eigener Praxis, das war damals ungewöhnlich
Hausarzt werden – das war schon immer der Wunsch von Roland Schumacher, als er sich für ein Studium der Medizin entschloss. «Ehrlich gesagt, kannte ich gar nichts anderes. Das war mein Bild des Arztberufs», schmunzelt er heute. Anders bei seiner damaligen Freundin und heutigen Frau Regula. «Ich arbeite gerne mit den Händen. Hätte mir auch vorstellen können, Ohrenärztin zu werden. Bei meinem Einsatz auf der Gynäkologie in Muri merkte ich dann: Das ist genau mein Ding, diese Mischung passt mir», erzählt sie. Zudem wollte das Paar später Kinder haben und wusste Regula Schumacher, dass sie wohl nur Teilzeit arbeiten kann. «Wäre ich auch Hausärztin geworden, hätte ich immer weniger Wissen und Erfahrung gehabt als Roli. Das könnte zu Problemen führen.» So aber hatte jeder seinen eigenen Bereich. «Wir haben uns immer gut ergänzt», bestätigt ihr Mann.
Und so kam Villmergen 1988 zu einer Gynäkologiepraxis. Und erst noch eine, die von einer Frau geführt wurde. «Das war im Aargau noch die Ausnahme, Regula war erst die dritte Gynäkologin mit eigener Praxis», erinnern sich Roland Schumacher. Entsprechend gross war das Interesse. «Ich kann schon nachvollziehen, dass die Frauen für diese Themen lieber zu einer Frau gehen», sagt die Ärztin.
Nachts durch die Dörfer geirrt
Im Herbst 1988 übernahmen Schumachers die Praxis, bauten sie dafür etwas um. Einige Wochen war sie geschlossen. «Wir hatten kaum das Telefon angeschlossen, läutetet es ohne Unterbruch», erinnert sich Regula Schumacher noch gut. «Und es hörte nicht mehr auf.» Die Zahl der Patienten war gross, bis zu 60 Konsultationen pro Tag waren durchaus möglich. Dazu kamen die Hausbesuche, die damals üblich waren. Navis gab es keine, in der Schublade gab es Ortskarten von allen Gemeinden in der Region. «Aber wenn es dunkel wird, ist es schwierig, eine bestimmte Hausnummer zu finden. Erst recht, wenn sie, wie beispielsweise in Dintikon, nicht der Reihe nach kommen, sondern es die Versicherungsnummern waren», so Roland Schumacher. Diese Besuche haben einen tiefen Eindruck bei ihm hinterlassen, dringt man doch in die Privatsphäre der Menschen ein. «Es war manchmal schon auch bedrückend, was ich angetroffen habe.»
Der Anfang war anstrengend, die Menschen waren sich gewohnt, dass ihr Arzt rund um die Uhr zur Verfügung steht. Zudem wurde das Paar schnell Eltern von drei Kindern. «Zum Glück lagen Praxis und Haus gleich nebeneinander. So konnte ich zwischendurch schnell weg zum Stillen und gleich wieder zurück», sagt Regula Schumacher. Zudem fanden sie in der Nachbarschaft eine Tagesmutter, welche sich um die drei Kinder kümmerte. «Sie war die ganzen Jahre über für uns da, das war ein riesiger Glücksfall», sagt Roland Schumacher. Die Kinder waren sehr gerne bei der Tagesmutter – zumal sie im Gegensatz zu Schumachers einen Fernseher hatte.
Vieles unter einen Hut bringen
Aber auch finanziell war die Familie gefordert. Neben der Praxis übernahmen sie auch das grosse Haus von Josef Estermann, kurze Zeit später stiegen die Hypozinsen stark an. Der Druck war gross, Ferien anfangs nicht möglich, denn Vertretungen für die Praxis waren schwer zu finden. Die ersten längeren Ferien gab es erst nach 15 Jahren. «Heute frage wir uns schon ab und zu, wie wir das alles unter einen Hut gebracht haben», sagen die beiden. Gleichzeitig betonen sie, dass sie den Weg wieder gehen würden. «Wir haben so viel Schönes und Berührendes erlebt.»
In Villmergen haben sich die beiden gebürtigen Luzerner schnell integriert. Sie hatten auch keine andere Wahl. «Ich war kaum hier, da hiess es: Du bist jetzt der Schularzt und auch für die Feuerwehr und den Samariterverein zuständig», erzählt Roland Schumacher. Ehefrau Regula engagierte sich ebenfalls im Dorf – in der Schulpflege, in der Bibliothekskommission und auch im Kulturkreis. Sie seien als Zuzüger gut aufgenommen worden. Einzig die Tatsache, dass Schumachers oft mit dem Velo unterwegs waren – auch bei Einkäufen und Hausbesuchen – sorgte bei einigen Leuten für Irritation. «Einmal sagte jemand zu mir, dass er weiterhin in meine Praxis kommt, auch wenn ich offenbar ein Grüner sei», schmunzelt Roland Schumacher.
Für seinen Beruf eingesetzt
Umgekehrt fühlen sie sich in ihrem Dorf wohl. Sie würden sich aber wünschen, dass die Gemeinde auch mal etwas grosszügiger ist. Dass beim Bau des Schulhauses Mühlematten auf einen Kultursaal verzichtet wurde, können sie nicht verstehen. «Ein solcher Saal fehlt heute für Veranstaltungen», finden sie. Auch bei Investitionen für die Bibliothek musste Regula Schumacher immer wieder kämpfen. Aber sie hätten gelernt, dass sich Ärgern nicht lohnt. Die beiden bleiben weiterhin in Villmergen, übergeben nur die Praxis, wohnen aber weiterhin im benachbarten Haus. Angst, dann nicht abschalten zu können, haben sie nicht. «Ich bin ja schon zwei Jahre im Ruhestand und habe gesehen, dass das gut funktioniert», sagt Regula Schumacher.
Dass sie Nachfolger gefunden haben für ihre Praxis, ist auch dem Engagement von Roland Schumacher zu verdanken. Er hat sich immer stark für den Berufsstand eingesetzt, war 25 Jahre lang Präsident des Freiämter Ärzteverbandes. Er war mitverantwortlich für die Gründung der Notfallpraxis am Spital Muri, welche den Notfalldienst radikal umgekrempelt hat und dafür sorgte, dass Hausärzte weniger nachts und am Wochenende im Einsatz waren. Und er hat als Pionier mit dem «Curriculum Hausarzt Freiamt» dafür gesorgt, den Medizinstudenten den Beruf des Hausarztes schmackhaft zu machen. «Es nützt nichts, wenn wir darüber jammern, dass es zu wenig Ärzte gibt. Man muss auch etwas tun. Das erfordert zwar einen grossen Aufwand, aber es lohnt sich», sagt er. Das eigene Beispiel ist der Beweis dafür. Auch sein Nachfolger Marius Stettler hat einst das Curriculum absolviert.
Viele bleibende Erinnerungen
Beim Gespräch im Garten kommen den beiden Ärzten viele Erinnerungen und Anekdoten in den Sinn. Sie haben viel Schönes, aber auch viel Trauriges erlebt. Viele Menschen auch in den Tod begleitet. Aber bei beiden dominieren die positiven Erinnerungen. «Einmal hat es an der Tür geläutet», macht Regula Schumacher ein Beispiel. «Draussen stand eine Mutter mir ihrem kleinen Kind. Ich war bei der Geburt dabei, es gab Komplikationen, das Neugeborene musste mit der Ambulanz nach Aarau gebracht werden. Jetzt kam sie vorbei, nur um mir zu zeigen, dass es dem Kind heute gut geht. Das hat mich sehr berührt.» Es sind solche Erinnerungen, die bleiben. Genau so wie an die Lottoabende bei Felix Grob, die heute bei Schumachers eine Wiederholung erleben.