Im Wohler Rampenlicht
05.05.2023 Fussball, SportCiriaco Sforza spricht über seine neue Rolle beim FC Wohlen – und erinnert sich an ein Jubiläum
Beim FC Wohlen hat alles angefangen. Ciriaco Sforza möchte dem Verein nun mit einer klaren Philosophie helfen.
Stefan ...
Ciriaco Sforza spricht über seine neue Rolle beim FC Wohlen – und erinnert sich an ein Jubiläum
Beim FC Wohlen hat alles angefangen. Ciriaco Sforza möchte dem Verein nun mit einer klaren Philosophie helfen.
Stefan Sprenger
Er ist ein wahrer Glücksfall für den FC Wohlen. «Hier bin ich zu Hause. Ich habe dem Verein viel zu verdanken. Nun möchte ich etwas zurückgeben», sagt Ciriaco Sforza. Mit seinem Engagement im Verwaltungsrat der FC Wohlen AG – wo er für den sportlichen Bereich zuständig ist – will der frühere Nationalspieler und Champions-League-Sieger nun zu einer positiven Entwicklung des Vereins beitragen. «Ich bin kein Alleinunterhalter. Wir entscheiden gemeinsam. Mit einer klaren Philosophie und Werten wollen wir zurück zu den Wurzeln finden», sagt der 53-Jährige.
Die Philosophie: konsequent auf auf Menschen setzen, denen der FC Wohlen am Herzen liegt. Talentierte Eigengewächse auf dem Feld, talentierte Trainer an der Seitenlinie. Engagiert, motiviert, zielstrebig. Dazu will man die richtigen Werte vorleben. Ehrlich, seriös, fair – und heimatverbunden. Der ganze Verein trägt die Philosophie mit. Aushängeschild Ciriaco Sforza ist so etwas wie das Zugpferd.
Der 53-Jährige gilt als einer der besten Fussballer des Landes. Kaum ein anderer Schweizer feierte so viele Erfolge auf höchstem Niveau. Das beweisen die aktuellen Tage: Denn es ist genau 25 Jahre her, dass er mit dem 1. FC Kaiserslautern als Aufsteiger sensationell die Deutsche Meisterschaft gewann. «Unvergesslich», meint er und erinnert sich zurück. --spr
«Jeder hat seinen Garten»
Ciriaco Sforza über seine neue Aufgabe beim FC Wohlen
Ciriaco Sforza kehrt zum FC Wohlen zurück. Seinem Heimatverein will er im Verwaltungsrat im sportlichen Bereich weiterhelfen. Es haben sich Gerüchte darüber entwickelt, was genau die Aufgabe des früheren Weltklassefussballers ist. «Ich bin kein Alleinunterhalter», sagt der 53-Jährige.
Stefan Sprenger
Die Espressomaschine läuft. Ciriaco Sforza bittet zum Gespräch in seinem Zuhause in Wohlen. In diesen Tagen jährt sich der eindrücklichste Erfolg seiner starken Karriere. Im Mai 1998 feiert der 1. FC Kaiserslautern den Gewinn der deutschen Meisterschaft (siehe Artikel unten). Doch der Grund für dieses Gespräch ist ein ganz anderer. Sforza steigt wieder bei seinem FC Wohlen ein. Als junges Talent startete er von hier aus seine glorreiche Karriere, die ihn zu Vereinen wie Inter Mailand oder Bayern München brachte. Später war Sforza Sportchef (2014) und Trainer (2014/15) beim FC Wohlen. Und jetzt steigt er im Verwaltungsrat ein und übernimmt den sportlichen Bereich. Doch was macht er eigentlich genau – und ab wann? Und wie gross ist sein Einfluss? Darüber wurde viel spekuliert. Jetzt klärt Sforza im Interview auf.
Wann waren Sie zuletzt an einem Spiel des FC Wohlen?
Das ist schon eine Weile her. Ich halte mich aktuell bewusst zurück.
Wieso?
(Überlegt) Ich möchte nicht provozieren. Nach dem Entscheid, dass ich in den Verwaltungsrat der FC Wohlen AG gehe, wäre es ein schräges Zeichen, wenn ich plötzlich an jedem Heimspiel bin. Ich will auch klar und deutlich sagen, dass ich kein Alleinunterhalter bin, sondern ein Teamplayer. Wir fällen alle Entscheidungen gemeinsam und miteinander.
Was halten Sie von FC-Wohlen-Trainer Ryszard Komornicki?
Er leistet hervorragende Arbeit. Was er und der Trainerstaff leisten, hat Hand und Fuss. Der FC Wohlen hat sich sehr gut entwickelt.
Trotzdem wurde sein Vertrag nicht verlängert.
Es ist kein Entscheid gegen ihn. Sondern wir wollen unsere Philosophie umsetzen. Diese gilt für Spieler, Trainer und für den ganzen Verein.
Erklären Sie diese Philosophie.
Es gibt zwei Strassen: Die Spieler und die Trainer. Einerseits wollen wir junge Spieler aus Wohlen und der nahe liegenden Region – vorzugsweise dem Freiamt – weiterbringen und fördern. Das Ziel für diese Talente soll sein, einmal in der ersten Mannschaft des FC Wohlen zu spielen. Die andere Strasse sind die Trainer. Es benötigt auch die richtigen Trainer auf allen Stufen, die diese Philosophie verkörpern. Trainer, die Potenzial haben, motiviert sind, die sich mit dem Verein identifizieren und eine Vergangenheit hier haben. Leute wie Alain Schultz und Schibi Roth, die ab nächster Saison die zweite Mannschaft übernehmen. Oder Ivano Rizzo, der Co-Trainer der ersten Mannschaft wird. Wir wollen solchen Trainern die Chance geben, sich hier weiterzuentwickeln und ihren Weg weiterzugehen. Sie tragen diese Philosophie mit. Trainer und Spieler müssen wieder vermehrt und konsequent die richtigen Werte vorleben.
Welche Werte wären das?
Ehrlichkeit. Respekt. Ordnung. Freude. Leidenschaft. Fleiss. Miteinander. Nicht gegeneinander. Wir sollten die Vergangenheit ruhen lassen, neu starten. Der FC Wohlen sollte zurück zu seinen Wurzeln kehren. Wir sollten auf und neben dem Feld diese Werte leben. Ich glaube, wenn wir das tun, werden auch wieder mehr Menschen ins Stadion kommen und nach Spielschluss wird wieder zusammen gesessen und man erlebt gemeinsam eine gute Zeit in den Niedermatten. Wir wollen den FC Wohlen näherbringen zu den Menschen.
Man spürt: Der FC Wohlen ist Ihnen sehr wichtig.
Natürlich. Dieser Verein hat mir enorm viel gegeben. Ich habe vom FC Wohlen viel erhalten. Auch Dinge, die nicht selbstverständlich sind. Wohlen ist meine Heimat, das war sie schon immer. Ich bin hier zu Hause, hier gehen meine Kinder zur Schule. Beim FC Wohlen lernte ich das Fussballspielen. Es war für mich klar, dass ich immer mithelfen werde, sofern ich kann.
FC-Wohlen-Präsident Mike von Wyl fragte Sie an, ob Sie in den Verwaltungsrat der AG einsteigen wollen. Was war Ihre Reaktion?
Ich habe erst einmal das Gespräch mit Mike von Wyl gesucht. Der FC Wohlen ist für mich immer interessant, weil es eine Herzensangelegenheit ist. Ich habe dann zugesagt, dass ich im Verwaltungsrat mitwirke, was den sportlichen Bereich betrifft.
Was ist genau Ihre Aufgabe?
Ideen und Inputs geben. Eine beratende Funktion quasi. Ich möchte mithelfen, dass man den jungen Spielern noch mehr bieten kann beim FC Wohlen. Und ich möchte eine klare Philosophie. Wir alle stehen hinter dieser Idee, hinter diesen Vorstellungen. Im Verwaltungsrat oder in den entscheidenden Funktionen hat jeder seinen eigenen Garten. Die Aufgaben sind klar verteilt. Aber wir fällen die Entscheide gemeinsam. Und weil alle an einem Strick ziehen, bin ich auch sehr gerne dabei.
Seit Ihrer Entlassung beim FC Basel vor zwei Jahren haben Sie keinen Trainerjob mehr ausgeübt. Aktuell sind Sie TV-Experte bei «blue Sport». Was passiert mit Ihrem Amt im Verwaltungsrat der FC Wohlen AG, wenn Sie plötzlich wieder irgendwo Profitrainer sind?
Wenn ich wieder als Trainer tätig bin, wäre das Amt im Verwaltungsrat trotzdem möglich. Aber man ist auf der Suche nach jemandem, der den sportlichen Teil im VR neben mir noch unterstützt. Wir wollen dies ordentlich und ehrlich aufgleisen. Denn unsere Werte wollen wir nicht nur auf, sondern auch neben dem Platz verkörpern.
«Ciriaco Sforza wird neuer Verwaltungsratspräsident» – eine mögliche Schlagzeile?
(Lacht) Nein, das ist kein Thema.
In welche Liga gehört der FC Wohlen?
Die Entwicklung der Spieler steht im Vordergrund. Wenn wir sauber und ehrlich arbeiten, dann ist der FC Wohlen ein ambitionierter Verein in der 1. Liga classic. Wenn es der Verein in die 1. Liga Promotion schafft, wäre dies das i-Tüpfelchen. Aber es ist ein Ziel, das attraktiv ist. Für den Verein, das Dorf und die Spieler.
Sie werden aller Voraussicht nach an der nächsten GV der AG erst noch offiziell in Ihr Amt gewählt. Wann treten Sie erstmals vor die Mannschaft?
Nicht in dieser Saison. Ich will nicht stören. Man soll die aktuelle Spielzeit sauber zu Ende bringen. Trainer Komornicki, sein Staff und das Team werden das auch tun, da bin ich mir sicher.
Und dann übernimmt mit Piu ein neuer und altbekannter Trainer. Waren Sie in diese Verpflichtung eingebunden?
Ja. Der Entscheid wurde gemeinsam gefällt.
Wieso überzeugt Sie Piu?
Er ist ein Wohler und kennt das Dorf und die Menschen hier. Er hat beim FC Wohlen zu Profizeiten gespielt. Er hat danach beim FC Mutschellen, beim FC Wohlen und aktuell beim FC Muri gezeigt, was er für Qualitäten hat. Als Trainer und Mensch ist er top und wird geschätzt. Und er passt in unsere Philosophie und ist auch davon überzeugt. Er kriegt beim FC Wohlen Zeit, um etwas aufzubauen und zu entwickeln. Piu ist eine optimale Wahl.
Mit Sportchef Marko Muslin wurde der Vertrag ebenfalls nicht verlängert. Wird es einen neuen Sportchef geben?
Es braucht neben mir noch eine zweite Person, um den sportlichen Bereich abzudecken. Ob dies ein weiteres Verwaltungsratsmitglied ist oder ein Sportchef, wissen wir noch nicht. Grundsätzlich kann ein Verein wie der FC Wohlen ohne Sportchef auskommen. Es wäre dann eine Aufgabe des Trainerstaffs und des Vorstands respektive des Verwaltungsrates. Dass dies funktioniert, zeigt das Beispiel bei meinem Schwager Michael Winsauer in Baden. Er und der Präsident treffen grösstenteils die sportlichen Entscheide beim FC Baden – und das Team ist trotzdem auf Kurs Richtung Challenge League. Wichtig ist, dass man sauber arbeitet und die Entscheidungen gut überlegt und gemeinsam fällt. Es sollte nicht kompliziert sein, sondern einfach. Wie sagt man so schön: Die Kirche sollte im Dorf bleiben und zu viele Köche verderben den Brei.
Mit anderen Worten: Der FC Wohlen benötigt keinen Sportchef?
Nicht unbedingt.
Die Philosophie, dass man junge Talente fördern will, ist ja lobenswert. Trotzdem braucht es in einem funktionierenden Team auch routinierte Spieler. Richtig?
Natürlich.
Wie viele sollten das beim FC Wohlen sein?
Das ist Trainer Piu überlassen. Er bestimmt den Mix im Team. Ich sage nicht, welche Spieler sie holen sollten. Das ist die Aufgabe und Verantwortung des Trainers. Die Entscheide fällen wir gemeinsam.
Was wünschen Sie dem FC Wohlen für die Zukunft?
Man sollte die Vergangenheit ruhen lassen. So etwas wie einen Neuanfang wagen. Es braucht wieder gute Leute und gute Stimmung im Verein. Es braucht Menschen mit dem Herzen am richtigen Fleck. Dann kommt auch der Zuspruch aus dem Dorf. Dann kommen auch die Zuschauer wieder vermehrt ins Stadion. Und der FC Wohlen kann das. Das hat der Verein in der Vergangenheit gezeigt. Und ich glaube fest, dass wir das gemeinsam schaffen. Ich stehe hinter diesem Neuanfang, hinter dieser Philosophie, hinter dem FC Wohlen.
Das Wunder vom Betzenberg
Vor 25 Jahren: Im Mai 1998 wurde Sforza mit Kaiserlautern Meister
Es ist bis heute eines der grössten Fussballmärchen. Der Aufsteiger Kaiserslautern holt sich den Deutschen Meistertitel. Das war 1998. «Unvergesslich» ist dies für den damaligen Captain Ciriaco Sforza.
Er war Captain und Leitwolf des Teams. Trainer Otto Rehhagel ernannte ihn zum «Quaterback» des 1.FC Kaiserlautern. Und in jener Saison 1997/98 ereignete sich historisches, eine wahrlich verrückte Fussballgeschichte. Der 1. FC Kaiserlautern steigt aus der 2. Bundesliga souverän auf, das Team bleibt zusammen. Einzig Marian Hristov, ein junger Spieler namens Michael Ballack und Ciriaco Sforza werden auf den Betzenberg geholt. Schon am ersten Spieltag wird der FC Bayern München bezwungen. Freistoss Sforza, Tor Schjönberg. 1:0-Sieg im Müncher Olympiastadion. Die Fussballwelt staunt. «Da spürten wir, dass dieses Team etwas ganz Besonderes ist», erinnert sich der Wohler Ciriaco Sforza. In der 4. Runde übernehmen die «roten Teufel» die Tabellenführung – und geben sie nicht wieder ab. Am 2. Mai 1998 fand die zweitletzte Runde der Meisterschaft statt. Sforza bereitet Olaf Marschalls 1:0 vor. Kaiserlautern bezwingt Wolfsburg mit 4:0. Nach Spielschluss brechen dann alle Dämme. Verfolger Bayern München spielt in Duisburg nur 0:0. Der Meistertitel ist perfekt. Als erster und bis heute einziger Aufsteiger in der Bundesliga-Geschichte holte dieses Team den Titel. «Unvergesslich. Die Fans auf dem Betzenberg sind fantastisch. Dieses Team war magisch. Ich stufe diesen Titel damals auf gleicher Stufe ein wie der Gewinn der Champions League mit Bayern München», so Sforza. «Es war ein Fussballwunder, das wir in dieser Form vielleicht nie wieder sehen werden.» --spr