Gericht hat Gesetz anzuwenden
17.09.2024 Hägglingen, Region UnterfreiamtUrteil Tötungsdelikt Hägglingen
Das Bezirksgericht Bremgarten verurteilt die Eltern der getöteten Dreijährigen zu acht Jahren Freiheitsstrafe und zehn Jahren Landesverweis. Das Gericht sprach die Grossmutter der Schuld zur Gehilfenschaft frei. ...
Urteil Tötungsdelikt Hägglingen
Das Bezirksgericht Bremgarten verurteilt die Eltern der getöteten Dreijährigen zu acht Jahren Freiheitsstrafe und zehn Jahren Landesverweis. Das Gericht sprach die Grossmutter der Schuld zur Gehilfenschaft frei. --sab
Tötungsdelikt Hägglingen: Eltern verurteilt, Grossmutter freigesprochen
Weder Mord noch Totschlag, sondern vorsätzliche Tötung – zu diesem Entschluss kommt das Bezirksgericht Bremgarten. Es spricht acht Jahre Freiheitsstrafe und zehn Jahre Landesverweis für Mutter und Vater aus. Einen Freispruch gab es für die Grossmutter.
In der Nacht vom 6. auf den 7. Mai 2020 betäubten die angeklagten Eltern ihre Tochter zuerst und dann erstickten sie sie. Das dreijährige Mädchen, das unter einer schweren Zerebralparese litt, starb. Den Eltern wurde letzte Woche am Bezirksgericht Bremgarten der Prozess gemacht.
Dass die Eltern ihre Tochter getötet haben, war unbestritten. Welchen Tatbestand diese Tötung jedoch erfüllt, darüber gingen die Meinungen der Parteien auseinander. Während die Staatsanwaltschaft die Tat als Mord qualifizierte, ging die Verteidigung von Totschlag aus. Die Staatsanwaltschaft ging davon aus, dass den Eltern ihre Tochter lästig geworden war. Sie forderten 18 Jahre Haft und 15 Jahre Landesverweis für die Deutschen. Die Verteidigung hingegen sah das Motiv aus Liebe und Mitleid. Nach Einschätzung des Gerichts «gibt es in diesem tragischen Fall jedoch nicht gut und böse, schwarz oder weiss.» Die Wahrheit sei vielschichtiger.
Nicht nur Liebe oder Mitleid
Die Qualifikation der Tat als Totschlag fällt für das Gericht einstimmig ausser Betracht. «Zweifelsohne bestand aufgrund der gesundheitlichen Verfassung der Tochter ein grosser Leidensdruck, dieser war aber nicht von einer Dauer und einem Ausmass, als dass man von einer grossen seelischen Belastung sprechen könnte. Nicht im Sinne des Gesetzes zumindest», begründet das Gericht. Die Aussage der Angeklagten auf die Frage, warum die Tochter sterben musste, empfand das Gericht als treffend. «Weil die Eltern das Leid nicht mehr ertragen konnten.» Ein solcher Beweggrund sei nicht einfach nur Liebe oder Mitleid, wie es von der Verteidigung vorgebracht wurde, aber es ist auch nicht ein extremer Egoismus, wie es für die Qualifikation als Mord erforderlich wäre. Die Vorgehensweise bei der Tötung sei zwar unüberlegt gewesen. Die Eltern hätten aber glaubhaft dargelegt, dass sie für ihre Tochter einen schönen Tod wollten. Beweise für einen qualvollen Tod liegen zudem keine vor. Die Tötung sei aus den genannten Gründen weder als Mord noch als Totschlag, sondern als vorsätzliche Tötung zu qualifizieren.
Viele Diskussionen ausgelöst
Die Mindeststrafe gemäss Gesetz wäre hierbei fünf Jahre. Bei der Strafzumessung wurde durch das Gericht unter anderem die versuchte vorsätzliche Tötung im Jahr 2019, die Planung, die Vorgehensweise sowie die Ausnützung der Abhängigkeit der Tochter straferhöhend gewichtet. Strafmindernd berücksichtigt wurde insbesondere die Schwere der Betroffenheit der Eltern. Das Gericht erachtet unter Würdigung sämtlicher Umstände eine Freiheitsstrafe von jeweils acht Jahren als dem Verschulden angemessen. Da die Rückfallgefahr aus faktischen Gründen sehr gering ist, erachtet das Gericht eine Landesverweisung von 10 Jahren als angemessen.
Ebenfalls vor Gericht stand die Grossmutter. Zu prüfen war, ob sie mit ihrem Verhalten die Tötung ihrer Enkelin gefördert hatte. Damit eine strafbare Gehilfenschaft vorliegt, muss eine Hilfeleistung erbracht werden, die tatsächlich zur Tat beiträgt. «Das haben Sie nicht getan. Es wäre zu erwarten gewesen, dass Sie als Grossmutter das Unrecht eines solchen Tötungsplans erkannt und alles daran gesetzt hätten, die Tötung zu verhindern.» Dass die Grossmutter dies nicht gemacht habe, ist nach Ansicht des Gerichts allenfalls von moralischer, aber nicht von strafrechtlicher Relevanz. Deshalb der Freispruch.
Der Fall erweckte grosses mediales Interesse und bewegte die Bevölkerung. Viele Diskussionen, wann ein Leben lebenswert sein soll und wie die Tötung eines schwer behinderten Kindes einzustufen ist, wurden geführt. Es war dem Gericht ein grosses Anliegen mit aller Deutlichkeit festzuhalten, dass es nicht ihre Aufgabe sei, einen ethisch-moralischen Diskurs darüber zu führen. «Das Gericht hat das Gesetz anzuwenden und die begangene Tat juristisch korrekt einzustufen.» Dabei müsse man sich stets vor Augen halten, dass dem schweizerischen Gesetz der Grundsatz zugrunde liegt, dass jedes menschliche Leben gleichwertig und in gleichem Masse zu schützen ist.
«Hatten nicht das Recht dazu»
«Ja, ihre Tochter hat stark gelitten. Sie konnte aber auch fröhlich sein. Sie konnte Ihnen nicht sagen, ob sie leben oder sterben will. Sie hatten nicht das Recht, darüber zu entscheiden.» Mit diesen an die Eltern gerichteten Worten schloss die Bezirksrichterin die Verhandlung. --sab