Ganz nah an der Realität
15.07.2025 WohlenNadja Habicht kam mit dem Film «Heldin» ins Open-Air-Kino
«Heldin» ist vermutlich der grosse Überraschungserfolg der Schweizer Filmszene. Dass Porträt der junge Pflegefachfrau Floria Lind geht unter die Haut. Dafür, dass die Details alle ...
Nadja Habicht kam mit dem Film «Heldin» ins Open-Air-Kino
«Heldin» ist vermutlich der grosse Überraschungserfolg der Schweizer Filmszene. Dass Porträt der junge Pflegefachfrau Floria Lind geht unter die Haut. Dafür, dass die Details alle stimmen, war Nadja Habicht zuständig. In Wohlen erzählte sie über ihre Arbeit.
Chregi Hansen
«Jetzt weiss du, warum ich abends so müde war», sagt eine Besucherin zu ihrer Begleitung, als der Film zu Ende ist. Damit hat der Film ein wichtiges Ziel erreicht. Denn Regisseurin Petra Volpe will mit «Heldin» unter anderem Verständnis schaffen für die Arbeit im Pflegedienst. Und gleichzeitig den Zuschauern vor Augen führen, was in diesem Beruf geleistet wird. Beides ist ihr eindrücklich gelungen.
«Heldin» ist ein Spielfilm, fast alle Beteiligte sind Schauspieler und Schauspielerinnen. Und trotzdem ist er ganz nah an der Realität. Mitverantwortlich dafür ist Nadja Habicht. Die Baslerin hat 25 Jahren in der Intensivpflege gearbeitet. Und das Filmteam bei seiner Arbeit unterstützt. «Ich durfte ganz eng mit Petra Volpe arbeiten. Konnte am Drehbuch mitwirken, bei der Produktion und später beim Schnitt und der Vertonung», erzählt Habicht bei ihrem Besuch in Wohlen. An einem Film mitzuarbeiten, das war etwas völlig Neues für sie. «Aber es war auch sehr spannend», sagt sie heute.
Gezeigt, wie es geht
Der Film begleitet die Pflegefachfrau Floria Lind durch ihre Spätschicht in der Onkologie. Ein Abend lang wird das Publikum Zeuge, wie Floria durch die Gänge eilt, die Patienten versorgt und in der unbesetzten Abteilung vor immer neuen Herausforderungen gestellt wird. Fürsorglich und routiniert, aber auch immer mehr gestresst, kümmert sie sich um die ihr anvertrauten Menschen, spricht mit Angehörigen, streitet mit Ärzten und übernimmt Aufgaben, die eigentlich andere erledigen müssten. Sie ist konfrontiert mit Leid und Tod. Spendet Trost. Und wirkt selber unglaublich einsam. Und überfordert.
Gespielt wird Floria Lind durch die deutsche Schauspielerin Leonie Benesch. «Sie war nicht erste Wahl für Petra Volpe, hatte sie doch erst vor Kurzem eine sehr ähnliche Rolle. Aber nach dem ersten Satz im Casting war klar: Sie muss es sein», erzählt Habicht. Ihre Aufgabe war es unter anderem, die Hauptdarstellerin auf ihre Tätigkeiten vorzubereiten. Vom Setzen von Spritzen über das Messen der Vitalwerte bis hin zur Wiederbelebung. «Ich habe sie gecoacht wie meine Studentinnen. Und sie hat wirklich alles selbst gemacht, es gibt kein Handdouble», so die Expertin weiter. Manche Einstellungen mussten Dutzende Male wiederholt werden, bis Habicht zufrieden war. Mit der Leistung der Hauptdarstellerin ist sie sehr glücklich. «Sie war am Schluss fast so gut wie meine Studentinnen», so das Lob.
Eine ganz normale Schicht
Aber auch die Schauspielerin ist voll des Lobes. «Nadja Habicht war jeden Tag bei uns – und unentbehrlich», erklärt sie in einem Interview mit dem NDR. Habicht habe ihr gezeigt, wie man einen Zugang legt. Wie die Wunden aussehen oder wie man das Pflaster am besten klebt, welches Pflaster welcher Verletzung entspricht. Sie habe ihr spezielle Griffe beigebracht, vom Ampullen-Aufbrechen bis hin zum m. «Das war mir sehr wichtig. Es sollte alles korrekt sein. So, wie wir es jeden Tag im Spital erleben. Und nicht so, wie es sonst in den Serien und im Kino gezeigt wird», sagt Habicht. Und auch wenn die 90 Minuten im Film ganz viel Stress beinhalten, so handle es sich eigentlich um einen ganz normalen Tag. «Es ist jetzt keine ungewöhnliche Schicht», erklärt die Baslerin schmunzelnd.
Sich stark eingebracht
Der Film sei auch ein Dankeschön an alle Menschen, die in der Pflege arbeiten, sagt Habicht, die sich freut, dass so viele Pflegefachkräfte im Publikum sitzen. Auch wenn die Arbeiten am Film längst abgeschlossen sind, bleibt sie ihm eng verbunden. Weil die Regisseurin bereits an einem neuen Werk arbeitet, ist Nadja Habicht jetzt auf Tour und präsentiert «Heldin» in den verschiedenen Open-Air-Kinos der Schweiz. Wohlen ist ihr erster Halt, sechs weitere Gastspiele folgen. Der Auftritt vor Publikum, er fällt ihr mittlerweile leicht. Das war im Februar noch anders, als «Heldin» im Rahmen der 75. Berlinale seine Weltpremiere erlebte, wie sie gesteht.
Die Arbeit für den Film hat ihr sehr viel Spass gemacht. Gedreht wurde in einem zuvor geschlossenen Spital. «Ich war beim Aufbau involviert. Achtete darauf, dass alles korrekt ausschaut. Wir haben elektronische Dossiers angefertigt für die fiktiven Patienten, haben die richtigen Betten und Geräte besorgt, den Medizinschrank korrekt einsortiert», erzählt sie. Zusammen mit der Maskenbildnerin war sie zuständig dafür, dass die Wunden korrekt aussahen. «Die Arbeit am Film, das war für mich eine ganz neue Welt. Aber es war sehr spannend.» Auch wenn sie ihren Beruf in der Pflege eigentlich immer geliebt hat, so will sie nicht mehr dahin zurückkehren. «Durch die Arbeit am Film sind viele Türen aufgegangen», sagt sie heute.
Der Film thematisiert auch den Mangel an Pflegefachkräften. Das Problem ist seit Jahren bekannt. Zwar machen viele junge Menschen die Ausbildung, ganz viele verlassen den Beruf schon nach wenigen Jahren. Dies sei weniger das Problem des Lohns als der fehlenden Zeit, ist Habicht überzeugt. «Der Stress ist gross, die Zeit für die Patienten und deren Angehörigen kommt zu kurz», weiss sie aus Erfahrung. In jedem Zimmer warte eine neue Lebensgeschichte auf die Pflegekräfte. Und damit eine neue Herausforderung. Zudem erfordere der Beruf viel Fachwissen, jeder Fehler könnte tödlich sein. Umgekehrt sei es enorm schwer, Beruf und Privatleben unter einen Hut zu bringen. «Nach einer solchen Schicht ist man nur noch müde. Nicht immer hat das Umfeld Verständnis dafür, dass man nur noch daheim bleiben will.»
Plädoyer für mehr Geduld
«Heldin» ist sehr gut angelaufen in den Kinos. Im deutschsprachigen Raum haben schon über 600 000 Menschen den Film gesehen. Nun läuft er auch in anderen Ländern, etwa Spanien, Frankreich und Italien, aber auch Japan und Südkorea. «Die schwierige Situation in der Pflege ist ja kein schweizerisches Problem, damit sind alle Länder konfrontiert», weiss die Expertin. Im Gegenteil: In der Schweiz sei die Situation noch besser als in manchen anderen Regionen der Welt, da die Spitäler gut ausgestattet sind. Aber der Fachkräftemangel ist überall präsent. «Nach Corona war es eine Zeit lang besser. Aber der Schwung ist bereits vorbei.»
Kann ein Film wie «Heldin» daran etwas ändern? Das glaubt Nadja Habicht nicht. Aber: Wenn es gelinge, dass die Patienten oder auch die Angehörigen etwas mehr Geduld und Verständnis haben, wenn es mal etwas länger dauert, dann sei schon viel erreicht. «Der Patient ist in seinem Zimmer und weiss nicht, was ausserhalb läuft. In einer Ausnahmesituation kann es eben schon mal länger dauern, bis der bestellte Tee kommt», sagt sie am Schluss ihres Auftritts. Und dieses Ziel hat der Film ganz sicher erreicht, wie die Reaktionen und Aussagen nach der Vorführung zeigen.