Für die Seele nachhaltig
17.12.2024 Wohlen«Manchmal juckt es schon …»
Hochinteressanter Kanti-Talk in Wohlen mit Doris Leuthard und Johannes Muntwyler
Top-Unterhaltung mit zwei Persönlichkeiten. Doris Leuthard und Johannes Muntwyler erzählten spannende ...
«Manchmal juckt es schon …»
Hochinteressanter Kanti-Talk in Wohlen mit Doris Leuthard und Johannes Muntwyler
Top-Unterhaltung mit zwei Persönlichkeiten. Doris Leuthard und Johannes Muntwyler erzählten spannende Geschichten. Und machten den Kanti-Talk zum Genuss.
Daniel Marti
Miteinander an einem Ziel arbeiten. Das treibt Johannes Muntwyler, Zirkusdirektor des Circus Monti, immer wieder an. Er ist gleichzeitig auch der Mann der ersten Stunde, der die Gründung erlebte und nun auf der 40. Tour immer noch ganz vorne dabei ist. Für den 60-Jährigen ist Kunst und Kultur auch ein gutes Beispiel, wie vieles «gemeinsam funktionieren kann, sogar über viele Nationalitäten hinweg».
Dieses Miteinander kann Doris Leuthard – übrigens ein Monti-Fan – nur bestätigen. Manchmal braucht es das auch in der Politik. Und als ehemalige Bundesrätin schaue sie doch sicherlich nach wie vor nach Bundesbern, wollte Moderatorin Annelis Schröter-Meier wissen. Und traf damit mitten ins Herz der Freiämterin. «Manchmal juckt es mich schon. Vor allem wenn Bundesräte falsch entscheiden oder gar nicht entscheiden», gab sie postwendend zu. Und dann schickt sie schon mal eine Mail ab, «oder ich gehe nach Bern auf einen Kafi». Die Kanäle ins Bundeshaus funktionieren – wenn nötig – offenbar immer noch. Die Welt sei eben komplexer geworden, so Doris Leuthard. «Die Menschen brauchen Orientierung.» Da reiche oft eine Medienmitteilung alleine nicht. Erklärungen und Einordnungen seien gefragt und wichtig. Der Bundesrat-Job habe sie wöchentlich jeweils 80 Stunden gefordert. Und in dieser Zeit habe sie unendliche viele Entscheidungen gefällt. «Und Fehler gehören dazu, denn Zeit und Ansprüche ändern sich.» Aber ganz vieles würde sie heute noch gleich entscheiden. Bei der Energiepolitik beispielsweise würde sie gleich vorgehen, «ich würde immer noch dafür einstehen, keine neuen Kernkraftwerke zu bauen». Dafür erntete sie spontanen Applaus vom Publikum, das rund 200 Personen umfasste.
Kanti-Talk mit Ex-Bundesrätin Doris Leuthard und Johannes Muntwyler, Zirkusdirektor Circus Monti
Ein tolles Duo mit viel Lebenserfahrung. Doris Leuthard und Johannes Muntwyler begeisterten das Publikum in der Kanti-Aula. Die ehemalige Bundesrätin erzählte vom Leben als Politikerin und warnte vor den Gefahren der aktuellen Lage. Und der Zirkusdirektor möchte, dass viele Menschen mit dem Circus Monti in eine andere Welt eintauchen können.
Daniel Marti
Einfach Doris Leuthard. Nicht Ex, nicht alt oder auch nicht ehemalige Bundesrätin. «Ich bin Doris Leuthard», das genüge, erklärte sie. Und neben ihr sitzt Johannes Muntwyler, der Zirkusdirektor des Circus Monti. Diese Bezeichnung gehöre halt zum Zirkusleben, sagte er. Sein schnittiges Gewand und die persönliche Begrüssung vor jeder Vorstellung – auch das passt zum Zirkusdirektor. Doris Leuthard und Johannes Muntwyler gaben sich also locker, humorvoll und so ganz nah. Und das war die beste Voraussetzung für einen wunderbaren Kanti-Talk, der zudem von Annelis Schröter-Meier vorbildlich moderiert wurde.
Leuthard und Muntwyler gaben interessante Einblicke in ihr Wirken und ihre Ansichten. Und ernteten zwischendurch auch Applaus.
Vom Seelenfutter zur Weltlage
Die beiden kennen sich schon lange. «Freiämter kennen sich eben», so Leuthard. Ein besonderer Moment war die Übergabe des Schweizer Innovationspreises an den Circus Monti 2013 in Thun, ausgehändigt von der damaligen Bundesrätin Leuthard. Grundsätzlich ist Doris Leuthard begeistert vom Wirken der Familie Muntwyler. «Es ist wahnsinnig, was die Familie in einem so herausfordernden Umfeld erreicht hat.» Kultur sei sowieso «Seelenfutter», trotzdem werde bei den Budgets sehr oft bei der Kultur der Rotstift angesetzt, was einfach falsch sei, so Doris Leuthard. «Zirkus sei für die Seele nachhaltig», so Johannes Muntwyler, Ihm sei bewusst, dass Zirkus die Welt nicht retten könne, «aber wir tun alles dafür, damit die Menschen bei einer Vorstellung für zwei Stunden in eine andere Welt eintauchen können».
Natürlich wolle man einen Kontrapunkt setzen zur Politik, so Muntwyler weiter, «darum ist es unsere Aufgabe, irgendwie einen Ort zu schaffen, damit die Menschen abschalten und runterfahren können». Und das Weltgeschehen für Momente in den Hintergrund treten kann.
«Nicht so weit weg vom Dritten Weltkrieg»
Und diese Welt ist halt komplexer geworden. Dies war der perfekte Steilpass für die bestens vorbereitete Moderatorin. Ob denn alles eingetroffen sei, was sie bei ihrer Abschiedsrede angesprochen habe, wollte sie von der Bundesrätin der Jahre 2006 bis 2018 wissen. Grossmächte, die mit den Muskeln spielen, das schwindende Vertrauen in die Regierungen und auch Cyber-Probleme befürchtete sie vor sechs Jahren. Die Schweiz müsse sich zudem international gut verbinden.
Vieles davon ist eingetroffen. In der Weihnachtszeit soll man Hoffnung verbreiten, antwortete Doris Leuthard. Heute würden jedoch gegen 80 Autokraten (Allein- oder Selbstherrscher) ihre Länder regieren, und viele Wahlen gingen zuletzt in diese Richtung. «Das geht allerdings in die falsche Richtung.» Das könne der Schweiz durchaus Angst machen «und ist ein Problem für unsere Welt. Auch wenn die Menschen die schrecklichen und verheerenden Auswirkungen der beiden Weltkriege kennen, sind wir nicht so weit weg von einem Dritten Weltkrieg.» Ein unschönes Szenario, das sie zeichnet.
Die Welt stabilisieren – mit mehr Frauen
Auch die unendlich vielen Konflikte auf der Welt sprach die zweimalige Bundespräsidentin ungeschönt an. «Kinder müssen vielerorts in Angst und Schrecken aufwachsen. Das wird zu weiteren Flüchtlingen führen. Das sind alles Menschen.» Wenn diese Flüchtlinge in der Schweiz sind, dann müssen sie sich anständig benehmen, fordert sie, «aber bei all diesen Menschen geht es auch um Schutz». Es sei daher für die Politik eine wichtige Aufgabe, «die Welt da draussen zu stabilisieren». Und dann wagte Doris Leuthard, die Bundespräsidentin der Jahre 2010 und 2017, einen wichtigen Denkanstoss: «Es braucht eventuell wieder mehr Frauen.» In der Politik und an den Machthebeln. «Denn aktuell sind alles Männer am Drücker.»
Familien geprägt von starken Eltern
Apropos Frauen. Die waren auch in den Familien Leuthard und Muntwyler eminent wichtig. Seine Mutter Hildegard sei am Anfang gar nicht begeistert gewesen von der Gründung des Circus Monti, so der Zirkusdirektor. «Sie hat erst etwas später am Circus Monti Freude bekommen. Der Vater war von Anfang an die Galionsfigur.» Nach dem Tod von Guido Muntwyler ging die Führung des Unternehmens Circus Monti an Hildegard Muntwyler. Das war 1999. «Und alle haben damals gedacht, dass ich der Direktor bin. Das war gar nicht so lustig für unsere Mutter.» Und Hildegard Muntwyler sei in dieser Phase enorm wichtig gewesen für den Fortbestand des Circus Monti – erst recht, als die Saison 1999 alles andere als erfolgreich war.
Mutter Leuthard schmiss im Alter von 25 Jahren ein Restaurant in Sarmenstorf, «und verdoppelte im Nu den Umsatz», betonte Doris Leuthard. Tatkräftigkeit und Zuverlässigkeit hat sie ihrer Tochter verliehen. «Meine Mutter war aussergewöhnlich, eine Macherin und immer voller Energie.» Sie wolle den Frauen einfach Mut machen, damit sie in wichtige Rollen schlüpfen, so Leuthard. «Denn wir haben in den Chefetagen immer noch zu wenig Frauen.»
Sie sei «sehr klassisch aufgewachsen», sagte sie noch. «Der Vater war ein Vorbild und er hat mich animiert, in die Politik einzusteigen.» Da tun sich Parallelen auf zu den Muntwylers. Starke Mutter, Vater die Ikone und das Vorbild. Irgendwie war für Johannes Muntwyler bereits nach der Bezirksschule klar, dass er seinem Vater folgen wolle, und er wollte unbedingt Jongleur werden. Dafür tat er alles, tägliches Training, stete Präsenz. Das machte ihn zum Zirkusmenschen. Genau diese Einstellung, diese Leidenschaft gab er seinen drei Söhnen weiter. Alle drei sind im Circus Monti tätig. «Das ist doch phänomenal», freute sich die Moderatorin.
Gut fürs Gehirn
Und in dieser Saison war Johannes Muntwyler noch intensiver beschäftigt als sonst. Nach 2019 gab er in der Manege ein Comeback. Die 100 machte es aus, der 60. Geburtstag von Johannes Muntwyler und die 40. Tournee. Hat es für die Motivation die 100 gebraucht? «Natürlich nicht», mit den Söhnen gemeinsam in der Manege zu stehen, das löste genug Begeisterung aus beim Zirkusdirektor. In einer Teller-Jonglier-Nummer traten drei Montis gegeneinander an. Alle drei gaben dann jeweils alles, «das war ein echter Fight». Das nötige Training habe ihm zwar gefehlt. «Aber man sagt ja, dass das Jonglieren gut fürs Gehirn ist.»
Und das braucht er natürlich stetig, um gute und weitsichtige Entscheidungen zu treffen. Das fängt bei der Verpflichtung der Artistinnen und Artisten an. Dort hat er in seiner Lebenspartnerin Armelle eine wichtige Stütze. Sie leitet die ersten Schritte ein, «und dann wird es zur Teamarbeit». Wie so vieles im Circus Monti. Bei der Verpflichtung der Artistentruppe sei es halt auch mal Glückssache.
Das Glück hatte der Circus Monti im Jahr 1994 beispielsweise nicht. Damals war es im Trend, chinesische Artistengruppen zu engagieren. Die Eltern Muntwyler reisten extra nach China, engagierten tolle junge Talente. Und am Flughafen in Zürich standen dann viele ältere Artisten bereit … Das China-Thema wurde vor 30 Jahren wieder abgebrochen. Das ist nur eine besondere Episode. Johannes Muntwyler erzählte auch vom ersten Zeltaufbau – ohne Gebrauchsanweisung, ohne Ahnung. Von den Zügleten in den Wohnwagen, vom erfolglosen Abstecher ins Tessin und nach Deutschland. «Aber dabei haben wir stets viel gelernt.»
Zürich – erst abgehoben, nun top
Aktuell kann Johannes Muntwyler von der besten Saison des Circus Monti sprechen. Der Endspurt in Zürich verlief sehr gut. Und Zürich ist für die Montis sowieso speziell. Inzwischen ist die Verankerung auf dem Sechseläutenplatz für den Circus Monti fixiert, obwohl der Circus nur selten dort gastiert, in der Regel ist eher das Kasernenareal Montis Heimat. Zürich steht sowieso für einen schönen Prozess. Als Monti-Gründer Guido Muntwyler erstmals in Zürich für ein Gastspiel anfragte, war die Antwort ziemlich arrogant: «Bewährt euch zuerst einmal in der Provinz.»
Das macht der Circus Monti nun seit 40 Jahren. Sowohl in der Provinz wie in den städtischen Gebieten. Und in Zürich ist das Kultur-Highlight aus Wohlen inzwischen eine feste Grösse.
Obamas Hund
Spezielle Begegnungen von Doris Leuthard
Doris Leuthard, die Freiämter Bundesrätin von 2006 bis 2018, erlebte natürlich etliche unvergessliche Begegnungen. Logisch, dass sie darauf von Moderatorin Annelis Schröter-Meier angesprochen wurde. Ein gemeinsames Essen am Tisch vom künftigen US-Präsidenten Donald Trump hat es gegeben. Aber dies sei ihr «nicht besonders in Erinnerung geblieben», so Doris Leuthard.
Lachen mit Angela Merkel
Eher dann schon die Begegnung mit Barack Obama, Präsident der USA von 2009 bis 2017. Sie habe für seinen Hund als Geschenk ein Halsband mitgebracht, so Leuthard. Dieses wurde ihr jedoch von den Sicherheitsleuten abgenommen. Als sie das dem US-Präsidenten erklären musste, war das Eis sofort gebrochen. «Wir konnten zusammen lachen», und so habe eine gute Beziehung aufgebaut werden können.
Oder der Staatspräsident von Frankreich, Emmanuel Macron, sei einfach ein Showmann. Und der verstorbene italienische Staatschef Silvio Berlusconi habe sie mit viel Charme empfangen. In China beispielsweise habe sie einen Panda gestreichelt – und so wurde sie bevorzugter behandelt als der deutsche Politiker Sigmar Gabriel. Auf jeden Fall wurde ihr mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Und Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel liess Doris Leuthard bei einem Empfang warten – weil der Lift stecken geblieben ist. «Wir konnten beide darüber lachen. Das war doch menschlich», so Leuthard, «und es zeigt, dass Politik nicht immer perfekt sein muss.» --dm