«Es braucht halt viel Energie»
10.01.2025 WohlenAuch ein wenig Resignation
Der Einwohnerrat verzeichnet überdurchschnittlich viele Rücktritte
Gewählt für vier Jahre. Das gilt nicht für alle Mitglieder des Einwohnerrats. Etliche Rücktritte prägen das ...
Auch ein wenig Resignation
Der Einwohnerrat verzeichnet überdurchschnittlich viele Rücktritte
Gewählt für vier Jahre. Das gilt nicht für alle Mitglieder des Einwohnerrats. Etliche Rücktritte prägen das Gesamtbild. Das beschäftigt auch die Parteichefs.
Daniel Marti
Einwohnerratspräsident Marc Läuffer brachte es bei seinem Interview Ende Jahr gleich selbst auf den Punkt: «Es kann nicht sein, dass bei jeder Einwohnerratssitzung ein Rücktritt verkündet werden muss. Wenn man kandidiert und gewählt wird, dann gilt das für vier Jahre.» Damit sprach er einen heiklen Punkt an. Das Dorfparlament hat tatsächlich etliche Rücktritte zu verzeichnen. Es sind 14 Abgänge in der aktuellen Amtsperiode, dies sind 35 Prozent. Zu viel, das finden auch die Parteipräsidien, die das Thema aber sachlich betrachten möchten. Es gibt stets individuelle Gründe, so der Grundtenor. Und die Parteien sind voller Hoffnung, dass für die Einwohnerratswahlen im November genügend, gutes und kompetentes Personal gefunden wird. Das sei aber Knochenarbeit, sagt der SVP-Präsident Roland Büchi.
Aber es gibt auch Wahrnehmungen, die Sorge bereiten. So beispielsweise von Patrick Schmid, Co-Präsident der Grünen. Er registriert in seinem Umfeld «eine gewisse Distanz und Resignation im Vergleich zu ziemlich enthusiastischen früheren Jahren». Sich für die Mitbürgerinnen und Mitbürger und die Gemeinde einzusetzen, werde auch als «sich etwas antun» wahrgenommen. Das ist eigentlich alarmierend. Die Bedeutung des freiwilligen Engagements nehme in der Gesellschaft tendenziell ab, warnt Lionel Zingg von der FDP. Im Einwohnerrat erhalte man zwar Sitzungsgelder, «diese sind aber von der Höhe her symbolisch». Darum sei die Lokalpolitik eben auch irgendwie als Freiwilligenarbeit für die Gesellschaft zu betrachten.
Hohe Quote bei den Rücktritten – seit Start der Amtsperiode sind es 35 Prozent
Die Anzahl der Rücktritte aus dem Einwohnerrat hat deutlich zugenommen. Die Parteipräsidien nennen individuelle Gründe und sehen keine generelle Tendenz. Es gibt einzelne Kritikpunkte. Junge für die Politik zu gewinnen, ist schwierig. Das Interesse an der Wohler Politik sei vorhanden.
Daniel Marti
Mit dem jüngsten Rücktritt der GLP-Politikerin Anja Scheiber wurde im Einwohnerrat eine Marke überschritten. Nun sind mittlerweile seit den Wahlen im Herbst 2021 14 Personen aus dem Dorfparlament ausgetreten, das ist über ein Drittel (35 Prozent). Und das sind ziemlich viele Volksvertreterinnen und Volksvertreter, die vor Ablauf der Amtsperiode das Dorfparlament wieder verlassen haben.
Der Spitzenwert betreffend Rochaden liegt bei der SP. Von den sechs gewählten Personen sind mittlerweile vier nicht mehr dabei. Im vergangenen Dezember wurde mit Owen Hyde die vierte neue SP-Kraft vereidigt. Der junge Mann, Jahrgang 1999, wurde 2021 auf Position 18 (von 23 Kandidierenden) gewählt, relativ weit hinten. Nun ist er Mitglied des Dorfparlaments. Das bedeutet auch, dass diverse Kandidatinnen und Kandidaten auf vorderen Positionen auf ein Einwohnerratsmandat verzichtet haben.
Dass nach drei von vier Jahren Amtszeit 35 Prozent der Einwohnerrätinnen und Einwohnerräte das Dorfparlament verlassen haben, das beschäftigt auch die Parteien. Wo sind die Gründe anzusiedeln?
Laura Pascolin sieht kein schlechtes Zeichen
«Der Grund ist einfach: Jüngere SP-Einwohnerrätinnen und Einwohnerräte befinden sich häufig noch im Studium. Nach dem Abschluss ziehen sie oft in grössere Städte, um bessere berufliche Möglichkeiten wahrzunehmen», sagt SP-Präsidentin Laura Pascolin und zieht die Liste der Sozialdemokraten als Beispiel heran. «Auf der Liste zeigt sich, dass bis auf eine Person, die Mutter geworden ist, alle weggezogen sind. Menschen im Alter von 20 bis 30 Jahren sind in der Regel relativ flexibel und unabhängig, insbesondere wenn sie keine eigene Familie haben.» Ein schlechtes Zeichen habe sie «nicht ausgemacht», so Pascolin, «sondern es ist eben die Flexibilität junger Menschen».
Die Parteipräsidentin macht noch einen speziellen Vergleich: «Das Interesse der SP an der Lokalpolitik ist seit der Wahl von Trump in den USA wieder steigend – das freut uns.» Das lasse sich mit der steigenden Anzahl von neuen Mitgliedern belegen.
Ein Vorteil: Mitte pflegt offene Gesprächskultur
Praktisch das Gegenstück zur SP ist die Mitte. Sie ist jene Fraktion im Einwohnerrat mit der grössten Konstanz, mit den wenigsten Wechseln. Einzig der ehemalige Einwohnerratspräsident Meinrad Meyer ist während der aktuellen Legislatur zurückgetreten, was einer Logik entspricht. «Wir sind nicht immer einer Meinung und es kommt auch vor, dass wir unterschiedlich im Rat abstimmen. Aber wir pflegen eine offene Gesprächskultur und respektieren die unterschiedlichen Meinungen. Genau das macht die Mitte-Fraktion aus», betont Co-Präsidentin Stefanie Dietrich.
Die generellen Gründe für die vielen Rücktritte im Parlament kann Dietrich nur vermuten: «Es ist möglich, dass es nicht allen auf einer Einwohnerratsliste bewusst ist, was es bedeutet, wenn man auch gewählt wird.»
Eine volle SVP-Liste ist für Roland Büchi wichtig
Aber es gibt laut Dietrich auch eine andere Sichtweise. «Es gibt Personen, die etwas in und für Wohlen bewegen möchten und dann aber feststellen müssen, dass es von einer Idee bis zur Umsetzung Jahre dauern kann. Das braucht viel Energie.» Und kann zu Resignation führen.
Gross spekulieren möchte dagegen Roland Büchi nicht. «Für Rücktritte gibt es die verschiedensten Gründe. Am meisten ist es Wegzug aus der Gemeinde oder berufliche und private Veränderungen», sagt der SVP-Präsident. Auch dass Kandidierende von hinteren Positionen nachrutschen (zuletzt Diana Holliger von Position 22), will er nicht gross bewerten. «Dass bei der SVP erst die 22. Kandidierende nachrückt, ist nicht weiter schlimm.»
Seine Partei habe bei der letzten Wahl eine volle Liste präsentiert. Das sei entscheidend. Roland Büchi weiter: «Das Interesse an der Wohler Politik nimmt in unserer Partei nicht ab. Im Gegenteil, wir haben viele Mitglieder, die sich sehr für die Wohler Politik interessieren. Das zeigen auch die neusten Mitgliederzahlen.»
Lionel Zingg, FDP: «Das alles steht im Konflikt»
Davon – von einer vollen Wahlliste – können die anderen Parteien nur träumen. Trotzdem kann Lionel Zingg von der FDP bestätigen, dass in seiner Partei das Interesse an der Wohler Politik gross ist. «Es gibt viele, die interessiert sind. Wenn es um ein konkretes Amt geht, dann wird es allerdings schwieriger.» Wenn es um die Rücktritte in seiner Fraktion geht, dies betrifft die Abgänge von Daniel Scherrer und Francine Koch, kann Zingg bestätigen, dass sich die «äusseren Umstände geändert haben. Es ist nicht kein Interesse mehr für die Politik vorhanden.» Die vielen Rücktritte aus dem Einwohnerrat ordnet Zingg unterschiedlichen Gründen zu. Bei jüngeren Personen spiele die hohe Mobilität eine Rolle. «Jüngere ziehen aus verschiedenen Gründen aus Wohlen weg: Ausbildungsort in einer Stadt, Zusammenzug mit Freundin oder Freund, längere Reisepläne. Das alles steht im Konflikt mit einem langfristigen Engagement im Einwohnerrat.»
Patrick Schmid macht ein Ungleichgewicht aus
Für Patrick Schmid, Co-Präsident Grüne, betreffen die Rücktritte «das ganze politische Spektrum». Es sei schwierig abzuschätzen, ob es sich bei der aktuellen Situation «um eine generelle Tendenz oder um einen statistischen Ausreisser handelt». Jeder Rücktritt habe wohl individuelle Gründe. «Wenn man gut vorbereitet und seriös an der Politik teilnimmt, ist das auch mit einem grossen zeitlichen und verantwortungsvollen Arbeitsaufwand verbunden.» Die Zahl und die Komplexität der Geschäfte habe deutlich zugenommen, «das kann durchaus zu einem Ungleichgewicht in der Work-Life-Balance führen», so Schmid.
Der Grüne-Einwohnerrat klagt über einen anderen Aspekt: «Die verminderte Teilnahme an demokratisch politischen Prozessen geht leider weltweit einher mit einem grundsätzlichen Misstrauen gegenüber Politik und Behörden.» In seiner Partei sei man sehr an der Entwicklung Wohlens interessiert. Aber er registriere auch eine gewisse Distanz. Vor allem in der jüngeren Generation habe die politische Einflussnahme mittlerweile einen (zu) kleinen Stellenwert.
Matthias Angst kritisiert Flut von Eingaben eines Einzelnen
Bei den Grünliberalen ist so ziemlich alles im grünen Bereich. Die beiden Rücktritte hatten laut Parteipräsident Matthias Angst ihre Gründe. Bei Simon Sax handelt es sich um ein langjähriges und verdientes Mitglied, «dessen Rücktritt sorgfältig geplant war». Bei Anja Scheiber sei das anders gewesen. Sie habe sich das Einwohnerratsmandat anders vorgestellt. «Daraus eine allgemeine Tendenz abzulesen, schiene mir nicht seriös.»
Für Angst ist «das Interesse an der Wohler Politik nach wie vor intakt». Probleme sieht er bei den anderen und er wählt deutliche Worte: «Nicht gerade förderlich wirken selbstredend öffentlich aufgebauschte Animositäten unter wenigen Exponenten sowie die Flut von Eingaben eines einzelnen Ratsmitglieds, was allen sehr viel unproduktive Arbeit beschert. Es schiene mir diesbezüglich ratsam, das Parlament wörtlicher zu nehmen und sich mit den Betroffenen hinzusetzen, um zu parlieren.» Die Zugänglichkeit und Erreichbarkeit der Ratsmitglieder und der Verwaltung sei noch nie grösser gewesen als in der heutigen Zeit. «Das könnte beruhigend wirken und die öffentliche Wahrnehmung der Wohler Politik positiver gestalten», so Angst abschliessend.