Einblicke ins vielfältige Chly Paris
11.03.2025 WohlenDas Schweizer Strohmuseum lud zu Streifzug und Begegnungen mit Zeitzeugen ein
Bei strahlendem Vorfrühlingswetter startete der Streifzug durch Chly Paris mit einem kurzen Augenschein in der Sonderausstellung «Von Kohlepapier, Knöpflimaschinen und Knabenurin ...
Das Schweizer Strohmuseum lud zu Streifzug und Begegnungen mit Zeitzeugen ein
Bei strahlendem Vorfrühlingswetter startete der Streifzug durch Chly Paris mit einem kurzen Augenschein in der Sonderausstellung «Von Kohlepapier, Knöpflimaschinen und Knabenurin – Zeitzeuginnen und Zeitzeugen erinnern sich an die Hutgeflechtindustrie». Diese wurde bis am 30. März verlängert.
Walter Minder
Die beiden «Reiseleiter» Corina Haller und Daniel Güntert präsentierten ein 180 Jahre altes schweres Stück Tannenholz, das sich durch Wenden als Firmenschild «Tuchhandlung von Andr. Geissmann» entpuppte. Entstanden ist es mit dem Bau des Firmengebäudes anno 1835. Dann entführte das im Zusammenhang mit der Sonderausstellung realisierte interaktive Kino, in dem durch persönliche Erinnerungen ein Blick auf das Leben und Arbeiten im Freiamt vor sechzig und mehr Jahren geboten wird, die Teilnehmergruppe ein erstes Mal ins Wohlen der blühenden Strohindustrie. Aus rund dreissig Stunden Interviewmaterial entstanden unter der Leitung von Güntert und Haller beeindruckende Videos, die informativ und unterhaltsam alltägliche Aspekte der ehemaligen Hutgeflechtindustrie vermitteln. Dann machte sich die Gruppe auf zum Streifzug durch Chly Paris mit einem ersten Halt beim Emanuel-Isler-Haus. Ein Grossbrand hatte im Dezember 1814 an der Kapellgasse (heute Kapellstrasse) neun mit Stroh bedeckte Wohnhäuser zerstört. 170 Menschen verloren ihr Dach über dem Kopf, der Schneider Josef Wohler wurde beim Versuch, zugeschnittenen Kleiderstoff aus seiner brennenden Wohnung zu retten, tödlich verletzt. Nach dem Brand kaufte Jakob Isler das Grundstück an der Ecke Kirchenplatz/Kapellstrasse und realisierte dort 1819 das dreistöckige Wohnhaus mit dem markanten Walmdach, das später Emanuel Isler, seinem Enkel und Namensgeber der Liegenschaft, als Familiensitz diente.
Es befindet sich heute im Eigentum der Katholischen Kirchgemeinde Wohlen. Im schönen Park mit dem Gartenhaus präsentierte Güntert eine alte Fotomontage, auf der futuristisch ein modernes Wohlen illustriert ist und auf dem sogar ein Zeppelin über dem Kirchenkreisel schwebt. Dann ging es weiter an die Steingasse 1, eine stattliche Villa, erbaut von Johann Isler. Güntert: «Der Eingangsbereich mit Treppe zeugt vom Wohlstand des späteren Inhabers, Baumeisters und Isler-Konkurrenten Martin Bruggisser. Die Bediensteten hatten den Eingang hinter dem Haus zu benutzen. Und man sagt, dass im Keller des Nachbarhauses der erste ‹Wohler Anzeiger› gedruckt worden sei.»
Mit Ross und Wagen
Dann ging es ein paar Schritte weiter, wo der dorfbekannte Kutschenfahrer Hansruedi Meier wartete. Dank seinem grossen Wissensschatz, gewürzt mit viel Humor, erwachte das ehemalige Handwerk in der Steingasse wieder zum Leben. Links und rechts befanden sich kleine Gewerbebetriebe, vom Schuhmacher über eine Küferei, Dörrerei und Tuchhandlung bis hin zum Coiffeur. «Ja, wir konnten damals in der Steingasse noch Fussball spielen, wir mussten nur Platz machen, wenn Arbeiterinnen und Arbeiter vor dem Mittagessen die noch nicht asphaltierte Strasse in grosser Zahl verunsicherten.»
Meier unterstrich in seinen Ausführungen den engen Zusammenhalt, der in seinen Jugendjahren in der Steingasse noch herrschte. Er erinnere sich zudem immer wieder an das Jahr 1947, das geprägt war von einer grossen Trockenheit. «Wir hatten am Nachmittag jeweils schulfrei, weil es im Schulzimmer viel zu heiss war.»
Abschluss in der ehemaligen Bleichi
An der Ecke Steingasse/Talbisgässchen, vis-à-vis von der ibw AG, steht ebenfalls ein markantes Wohnhaus, einst Domizil der Familie Wietlisbach. Hier wohnte früher auch Yvonne Amsler-Widmer, die vor Ort daran erinnerte, dass auf dem ibw-Areal einst ein Gewerbezentrum beheimatet war, das von einem grossen, dominanten Kamin überragt war. «Bis zu unserer Wohnung im obersten Stock hatten wir sieben Treppen zu bewältigen. Dafür hatten wir ein WC in der Wohnung, die Nachbarn unter uns mussten ihr ‹Häuschen› via Treppe auf dem Balkon aufsuchen.» Bevor der Dachstock zu Wohnraum umgebaut wurde, war dort ein Atelier untergebracht, in dem aus Pferdehaaren Verzierungen für die weltbekannten Strohhüte hergestellt wurden.
Mit dem Besuch der in den Jahren 1972/73 stillgelegten Bleichi endete der Streifzug in die Blütezeit Wohlens. Hier wurde das Material für die Hüte gefärbt, wobei die geheimen Farbrezepturen das Haus nicht verlassen durften. Immerhin bewies die gefärbte Bünz immer wieder, dass hier fleissige Hände am Werk waren Da sich niemand für den Kauf der stillgelegten Bleichi interessierte, zückte die Gemeinde das Portemonnaie, «was bei der damaligen Schuldenlast noch möglich war …»