Ein rauschendes Ende
06.05.2025 WohlenStau im «Gotthard»
Die letzte Wohler Quartierbeiz hat mit 300 Menschen ausgetrunken – und schliesst für immer
1898 eröffnet das «Gotthard». 127 Jahre später schliesst die legendäre Beiz für ...
Stau im «Gotthard»
Die letzte Wohler Quartierbeiz hat mit 300 Menschen ausgetrunken – und schliesst für immer
1898 eröffnet das «Gotthard». 127 Jahre später schliesst die legendäre Beiz für immer. Die letzte Party dauerte bis am Sonntagmorgen.
Stefan Sprenger
Sonntagmorgen. 8 Uhr. Es ist hell. Die letzten Gäste der «Uustrinkete» vom Restaurant Gotthard gehen nach Hause. Wohl etwas torkelnd, dafür mit letzten Glücksgefühlen. Chef Alessandro Arreghini sagt wenige Stunden später mit etwas rauchiger Stimme: «Es war ein Hammer-Abschluss.»
Das «Gotthard» hat für immer seine Türen geschlossen. Am Wochenende wird nochmals gefeiert, angestossen und getanzt. 300 Menschen kommen und feiern Abschied. Es gab regelrecht Stau im «Gotthard». Das Wirtepaar Arreghini und Isenring erhält von der Stammkundschaft ein Überraschungsgeschenk. Eine Schatzkiste mit grossen und kleinen Präsenten. «Der Wahnsinn», sagt Arreghini.
Wie geht es weiter mit der Liegenschaft?
Mit dem Restaurant Gotthard schliesst die letzte Quartierbeiz Wohlens. Das Lokal wurde im Laufe der letzten Jahre zu einem «Chäber»-Ersatz. Jener «Chäber», der die Menschen zusammenbrachte und 2016 endgültig zumachte. Nun stirbt ein weiteres Traditionslokal. «Viele Gäste fragten mich, wohin sie jetzt gehen sollen», erzählt Arreghini.
Die Zukunft der Liegenschaft ist schon aufgegleist. Stefan Köchli von der Firma Koch AG in Büttikon erklärt, wie es weitergeht.
Am letzten «Gotthard»-Wochenende kommen 300 Menschen, um der Traditionsbeiz die letzte Ehre zu erweisen
Das Wirtepaar tritt mit Stolz ab und die Gäste sind traurig. Die Ära des «Gotthard» ist vorbei, nach über 125 Jahren. Zum Ende wurde nochmals richtig auf den Putz gehauen.
Stefan Sprenger
Die Terrasse ist voll. Es wird gelacht, geredet, getrunken. Vor den Toiletten ist Stau. Und innen spielt «Win-Music» vor voller Hütte. Jeder der 80 Sitzplätze ist besetzt, viele Menschen schunkeln im Stehen. Am Samstagabend wurde der «Gotthard» in den Ruhestand gefeiert. An beiden Tagen waren über 300 Menschen da. «Ein richtig tolles Ende», sagt Alessandro Arreghini.
Sie sind reingerutscht
Seit fünf Jahren führt der 56-Jährige die Traditionsbeiz gemeinsam mit seiner Partnerin Amanda Isenring (44). Und das Wirtepaar hörte folgende drei Sätze am letzten Wochenende sehr oft: «Schade, dass ihr aufhört», «Danke für alles» und «Wo gehen wir jetzt hin?»
Am Sonntagmorgen um 8 Uhr ging der letzte Gast nach Hause. «Aus Datenschutzgründen nenne ich keine Namen», sagt Arreghini lachend. Man spürt, er ist happy mit dem Ende. «Wir sind stolz, was wir geschafft haben», erklärt er mit verbrauchter Stimme. Am 1. Januar 2020 übernahmen sie den «Gotthard». Die Anfangszeit war schwierig. «Corona», sagt Arreghini. Aber das Wirtepaar gibt Einsatz, besticht durch Freundlichkeit, ist enorm unkompliziert und offen. Die lancieren Anlässe, mit grossem Erfolg. Metzgete, Oktoberfest, Schlagerparty, Fasnacht. «Nach Anlaufschwierigkeiten ist das Lokal wieder zu einer Begegnungsstätte geworden», sagt Arreghini.
Doch schon damals wusste man, dass der «Gotthard» ein Ablaufdatum besitzt. In fünf Jahren sollen die Wohnungen der Überbauung bezogen werden (siehe Kasten).
Top-Bewertung auf Google
2020 haben sie das Lokal übernommen. Es war kein Traum, sondern sie sind «reingerutscht», sagt Arreghini, der eigentlich Abteilungsleiter einer Informatikfirma ist. Ihr Antrieb war uneigennützig. «Es ist eine der letzten Quartierbeizen Wohlens. Ein Unikat. Es wäre schade gewesen, wenn sie geschlossen worden wäre. Vor allem für die vielen Gäste», sagt Arreghini in einem Interview 2022. Sie haben die Ära verlängert. Doch nun ist endgültig Schluss. «Ein freiwilliger Abschied, den wir schon länger so geplant haben», sagt Arreghini. Mittlerweile wäre es aber nicht nur ein Dürfen, sondern auch ein Müssen. Denn um den Betrieb aufrechtzuerhalten, hätten Investitionen getätigt werden müssen. Angesichts des baldigen Abbruchs wäre dies aber sinnlos gewesen. Das Haus wird geleert, die Kündigungen für die Wohnungen im oberen Stock sind per Ende September schon rausgegangen.
Die Ära endet. Und damit auch die lange Geschichte des Restaurants, das 1898 eröffnet wurde. In den 80er-Jahren prägte ein Wirt namens Christen das Lokal. Iris und Heiri Hartmann führten das Restaurant Gotthard von 1991 bis 2018 – und wanderten dann nach Spanien aus. Sie machten daraus eine Ländlermusik-Hochburg im Freiamt.
Danach waren zwei weitere Wirte im «Gotthard», aber Konstanz kehrte erst mit Arreghini und Isenring wieder ein. Nicht nur die Stimmung an der «Uustrinkete» und die grosse Stammkundschaft zeugen davon, dass die Beiz sehr beliebt war. Auch die Google-Bewertungen sind top. 4,5 (von 5 möglichen) Sternen gibt es. Gutbürgerlich, ehrlich, authentisch, freundlich. Die Kommentare fast nur positiv. Doch das Gebäude zerbröckelte immer mehr. Ein Kommentar dazu auf Google: «Die Aussenfassade erinnert an das alte Haus von Rocky Docky».
So ist es nun einfach auch an der Zeit, dass Wohlens letzte Traditionsbeiz schliesst. «Wir gehen mit einem weinenden und einem lachenden Auge», erklärt Arreghini. Er ist froh, nebst seinem 100-Prozent-Job als Informatiker nun etwas mehr Luft zu haben. Genauso seine Partnerin Amanda Isenring. Andererseits sagt er: «Der ‹Gotthard› wurde zu einer Art ‹Chäber light›, ein Treffpunkt für Zusammenhalt. Eine Quartierbeiz, wo sich ganz viele Menschen getroffen haben. Dass dies nun endet, ist enorm schade.»
In 3 Wochen: «Alles muss raus»
Sie räumen nun das Lokal. Vom 22. bis 24. Mai wird alles verscherbelt, was man gebrauchen kann. «Alles muss raus», sagt Arreghini. Er möchte sein grösstes Highlight in den fünf Jahren als «Gotthard»-Chef hervorheben. «Dass die Beiz wieder zu einem Treffpunkt in Wohlen wurde, ist das Schönste.» Aber: Jeder Tag im «Gotthard» sei ein Highlight gewesen. Und je näher das Ende rückte, desto mehr war los in der Beiz. «Es schien, als wollten die Menschen nochmals alles aus der Beiz aufsaugen, bevor es endgültig fertig ist.» Doch nun ist es so weit. «Und wir danken allen Gästen, die mittlerweile Freunde wurden», sagt Arreghini. Und guten Freunden gibt man auch einen Tipp. Auf die Frage: «Wo sollen wir denn jetzt hingehen, wo der ‹Gotthard› zu ist?», antwortete Arreghini mit dem Satz: «Ich weiss es nicht. Aber sagt mir, wohin ihr geht, ich komme dann auch.»
Fertig im Jahr 2030
Stefan Köchli, Leiter Immobilien der Koch AG in Büttikon, spricht über das Projekt an der Pilatusstrasse in Wohlen. Zum Projekt gehört auch das ehemalige Restaurant Gotthard, das abgerissen wird. Das Projekt umfasst vier Mehrfamilienhäuser sowie einen Wohn-/Gewerbebau mit Verkaufsfläche im Erdgeschoss (dort, wo jetzt der «Gotthard» steht). Auch wenn es aktuell viel zu früh ist, um Genaueres zu sagen: Aber es besteht die Möglichkeit, dass an jenem Ort wieder ein Gastronomiebetrieb einzieht.
Köchli: «Beim Gestaltungsplan gab es Anpassungen. Wenn es nun keine weiteren Einwendungen gibt, geht dieser zur Bewilligung an den Kanton. Wie lange der Prozess am Ende dauert, ist schwierig vorherzusehen.» Sobald die Bewilligung für den Gestaltungsplan erteilt ist, «geht es darum, das Detailprojekt auszuarbeiten». Dies wird voraussichtlich 2026 geschehen. Ende 2026 folgt voraussichtlich das Baugesuch. «Vor dem Jahr 2027 wird wohl kaum gebaut.» Die Bauzeit beträgt rund zwei Jahre, «im Jahr 2029 oder
2030 soll das Projekt fertig und bezugsbereit sein», sagt Köchli. Die Liegenschaft des «Gotthard» wird nun geräumt, ab Oktober 2025 wird es leer stehen. --spr