Ein «Booh» zu viel
29.08.2023 Fussball, SportFussball, 1. Liga classic: FC Wohlen – FC Solothurn 3:4 (2:0)
Ein wahres Spektakelspiel zeigten der FC Wohlen und der Leader aus Solothurn. Die Freiämter bringen sich mit Naivität um einen Punktgewinn und hadern mit einem seltenen Schiedsrichterpfiff, der ...
Fussball, 1. Liga classic: FC Wohlen – FC Solothurn 3:4 (2:0)
Ein wahres Spektakelspiel zeigten der FC Wohlen und der Leader aus Solothurn. Die Freiämter bringen sich mit Naivität um einen Punktgewinn und hadern mit einem seltenen Schiedsrichterpfiff, der einen entscheidenden Charakter hat.
Stefan Sprenger
«Es müsste ja 100 Freistösse und 100 Gelbe Karten pro Spiel geben, wenn man das immer pfeift.» Kevin Quintas vom FC Wohlen hadert mit dem Entscheid des Schiedsrichters. «Es macht für mich keinen Sinn. Ich habe so etwas in meiner ganzen Karriere noch nie erlebt», sagt der 26-Jährige weiter. Was ist passiert? Rund 70 Minuten sind gespielt. Wohlen führt 3:1. Ein Solothurner will aufs Tor schiessen. «Ich wollte den Spieler irritieren, habe ‹Booh› gerufen – aber nur leise. Der Gegner hatte aber schon geschossen.» Der Schuss geht weit am Tor vorbei. Zur Überraschung aller Beteiligten ertönt die Pfeife des Schiedsrichters, er zückt die Gelbe Karte für Quintas. Der Unparteiische taxierte das «Booh» des Wohler Mittelfeldspielers als Unsportlichkeit. «Er hatte es wohl auf mich abgesehen», mutmasst Quintas. Dazu gibt es einen indirekten Freistoss für Solothurn. Und weil sich die Wohler bei der Erstellung der Mauer ungeschickt anstellen (ein Spieler läuft einfach aus dem Verbund) tippt ein Solothurner den Ball an und Hannes Hunziker trifft zum 3:2. Hoffnung für Solothurn.
3:3 und dann kopflos ins Verderben
Der Leader hat nun 20 Minuten Zeit für die Wende. Die Gäste rennen an. Wohlen verteidigt und versucht sich mit Kontern, die aber nicht konsequent zu Ende gespielt werden. So steht es auch kurz vor Ende noch 3:2 für die Wohler. In der Schlussphase zeigt der FC Solothurn dann, wieso es auf dem 1. Rang steht. Nach einem (enorm unnötig verursachten) Eckball trifft Emmanuel Mast per Kopf. 3:3. Die Wohler bringen sich um den Sieg gegen dieses Spitzenteam. Aber immerhin: Ein Unentschieden ist doch auch nicht schlecht. Doch die Wohler wollen mehr, rennen naiv nach vorn, suchen vehement das erneute Siegtor. Die viel zu weit aufgerückten Freiämter laufen aber kopflos ins Verderben und ins offene Messer. Solothurn zeigt eine tolle Ballstafette. Am Ende vollendet Ex-Profi Marco Mathys. 94. Minute. 3:4. Unglaublich. Wohlen verliert diese Partie.
Bächer: «Sehr bitter» und «Topleistung»
Wohlens Sportkoordinator Urs Bächer sagt nach dem Spiel: «Eine sehr bittere Niederlage trotz 80-minütiger Topleistung gegen einen starken Gegner. Danach haben die Kadenz und Leidensbereitschaft abgenommen, was von Solothurn brutal bestraft wurde.» Wohlens Goalie Joël Bonorand – der mehrere starke Paraden zeigte – sagt: «Nach dem 3:3 wollten wir unbedingt das 4:3 machen und gewinnen. Wir haben nicht abgesichert nach hinten. Das ist sehr unglücklich. Die Enttäuschung ist gross. Es ist schlecht gelaufen, aber wir haben nicht schlecht gespielt.»
Der FC Wohlen zeigt phasenweise richtig guten Fussball. Und das gegen die wohl beste Mannschaft der 1. Liga classic. In der Abwehr steht man trotz Abwesenheit von Captain Alban Pnishi (muskuläre Probleme am Gesäss) einigermassen sattelfest.
Neues Sturm-Traumduo Gjidoda und Uka
Und vorne spielt ein Duo grandios auf. 25. Minute: Patrik Gjidoda mit herrlicher Vorlage auf Gentrim Uka. Tor. 1:0. 38. Minute: Patrik Gjidoda mit toller Flanke auf Gentrim Uka. Tor. 2:0. Im ersten Durchgang treffen die Solothurner auch das Tor – aber nur die Latte. Die Wohler Abwehrfestung hält dicht.
Die Solothurner kommen energisch aus der Pause. Noah Probst trifft nach 53 Minuten zum Anschluss (2:1). Doch Wohlen reagiert. Quintas trifft mit einem herrlichen Schlenzer zum 3:1 (58.). Am Ursprung steht Noel Romano, der sich toll durchspielt und den Ball in die gefährliche Zone bringt. Zu jenem Zeitpunkt wirkt der FC Wohlen sehr solide, konzentriert und es erscheint nicht möglich, dass man diese Partie noch verliert. Doch dann folgt das «Booh» von Quintas, der Pfiff des Schiedsrichters, der indirekte Freistoss, der Anschluss zum 3:2 und die aufkeimende Hoffnung für Solothurn. Der absolute Knackpunkt. Nach Schlusspfiff wird es laut in der FCW-Kabine. Es scheppert. Dinge gehen kaputt. Es wird geschrien. Die Enttäuschung ist riesig. Die jungen Wohler brachten den Leader an den Rand einer Niederlage. Die Leistung war phasenweise sackstark. Der Wille zum Sieg gross. Die Kampfbereitschaft ebenso. Ein wenig Pech war auch dabei, doch beim vierten Gegentor stellte man sich sehr naiv an und liess sich übertölpeln.
Keine Punkte, aber Goodwill
Doch auch wenn der Grossteil der 320 Zuschauer ebenfalls mit enttäuschter Miene nach Hause ging, so hat man in den Niedermatten ein richtig tolles Spektakelspiel gesehen mit zwei Teams, die sich auf Augenhöhe begegneten. Das gibt keine Punkte, aber immerhin Goodwill beim Zuschauer.
Für den FC Wohlen bleibt die Erkenntnis, dass man auch gegen die Topteams dieser Liga mithalten kann. Allerdings sollte man es in Zukunft vermeiden, sich über die Entscheide des Schiedsrichters zu ärgern oder den Gegner mit einem «Booh» zu irritieren – und sich lieber auf seine eigenen Stärken fokussieren. Sonst kann es sein, dass das Karma gegen einen spielt.
NACHGEFRAGT
«Fassungslos»
Vier Spiele, drei Unentschieden, ein Sieg. Die Bilanz mässig. Zudem kassiert der FC Wohlen gegen Muri und Solothurn jeweils kurz vor Ende Tore, die sie um den Sieg bringen. FC-Wohlen-Trainer Piu ist nicht amüsiert.
Kurz vor Ende 3:2 führend und dann noch 3:4 verloren. Ihre Gedanken nach Spielschluss?
Piu: Ich bin enttäuscht. Fassungslos. Sprachlos. Trotz guter Leistung, trotz 2:0- und 3:1-Führung holen wir gegen den Leader keinen Punkt. Aber wir sind selbst schuld und haben das Spiel selbst aus den Füssen gegeben.
Gegen Muri kassiert man den Ausgleich in der Nachspielzeit. Jetzt scheppert es zwei Mal in der Schlussphase. Gründe?
Wir waren nicht am Mann in diesen entscheidenden Situationen. Solothurn ist bei Kopfbällen stark, das wussten wir, dennoch lassen wir sie gewähren. Die letzten beide Tore machen sie mit dem Kopf. Unnötig und kopflos. Schade.
In der 94. Minute erzielt Ex-Profi Marco Mathys das Tor zum 4:3. In der letzten Saison, als Sie beim FC Muri Trainer waren, erzielte jener Mathys das 2:2 ebenfalls in der 94.Minute.
Das ist so. Unglaublich.
Was war der Knackpunkt in diesem Spiel?
Der indirekte Freistoss, der zum 3:2-Anschlusstor führt. Wieso es überhaupt zu diesem Pfiff kam, ist ärgerlich. Und dann stellen wir die Mauer nicht gut.
Trotz Niederlage: Der FC Wohlen zeigte eine starke Leistung.
Wir hatten ein gutes Tempo, zeigten tolle Spielkombinationen, hatten das Spiel mehrheitlich im Griff. Damit bin ich zufrieden. Solothurn zeigte am Ende aber auch, dass sie viel Qualität haben. Ihre Einwechslungen haben Schwung gebracht. Bei uns brachten die Einwechslungen nicht viel. Leider.
Wie gehts weiter?
Abhaken. Weitertrainieren. Weiterarbeiten. Und im nächsten Spiel besser machen. Solch bittere Pleiten können ein Team auch stärker machen. Ich hoffe, diese späten Tore bleiben nicht in den Köpfen der Spieler hängen. Am Samstag reisen wir nach Bassecourt. Da wird viel Kampfgeist gefordert sein. --spr