«Diese Trendwende ist nötig»
12.09.2025 Wohlen, FinanzenZündstoff im Wahlkampf
Der Gemeinderat beantragt eine unpopuläre Steuerfusserhöhung um vier Prozent
Eigentlich zur Unzeit will der Gemeinderat vom Volk mehr Steuergelder. Auf den Wahlkampf kann der Gemeinderat nicht Rücksicht ...
Zündstoff im Wahlkampf
Der Gemeinderat beantragt eine unpopuläre Steuerfusserhöhung um vier Prozent
Eigentlich zur Unzeit will der Gemeinderat vom Volk mehr Steuergelder. Auf den Wahlkampf kann der Gemeinderat nicht Rücksicht nehmen.
Daniel Marti
«Steuerfusserhöhungen sind unattraktiv, ganz besonders im Wahljahr des Gemeinderats und des Einwohnerrats. Trotzdem beantragt der Gemeinderat dem Einwohnerrat, den Steuerfuss um vier Prozent von heute 116 auf künftig 120 Prozent zu erhöhen.» So nüchtern und sachlich umschreibt der Gemeinderat im Dokument zum Budget 2026 diese Massnahme, um den Voranschlag wenigstens mit einer roten Null präsentieren zu können. Aber die Ausgangslage ist natürlich eine Spur emotionaler. «Wir können ja nicht irgendwelche Wahlversprechen machen, die nicht haltbar sind», sagt Gemeindeammann Arsène Perroud. «Wir haben unsere Aufgabe ordentlich zu erfüllen. Wir wollen stets ein robustes Budget vorlegen.» Und da dürfe der Wahlkampf keine Rolle spielen. Wenn möglich, wolle auch der Gemeinderat einen tiefen Steuerfuss präsentieren. «Aber wir haben nun mal einen grossen Sanierungsbedarf und wir müssen einen Investitionsstau meistern. Und wir wollen auch die langfristige Entwicklung betrachten.» So gesehen sei die Steuerfusserhöhung unumgänglich. Dass diese Mitteilung mitten im Wahlkampf erfolgt, das lässt sich nicht verhindern. «Natürlich steckt hier Zündstoff drin.» Zwar jetzt kurz vor den Gemeinderatswahlen. Und läuft alles nach Plan, kommt das Budget Ende November an die Urne. Gleichzeitig sind dann die Einwohnerratswahlen. Auch Finanzministerin Denise Strasser stellt sich der schwierigen Ausgangslage. Vor vier Jahren gab sie das Wahlversprechen ab, dass sie als neue Gemeinderätin einen Steuerfuss von 120 Prozent nicht akzeptieren würde. Aber sie musste ihre Meinung nun revidieren. Ende Jahr wird Strasser zwar wieder aus dem Gemeinderat ausscheiden, aber den Kampf für die 120 Prozent will sie noch ausfechten. Weil die höheren Steuereinnahmen laut Finanzministerin einfach nötig sind, um die schwierige finanzielle Lage zu meistern. Ein ambitioniertes Unterfangen.
Das Budget 2026 der Gemeinde Wohlen sieht eine Steuerfusserhöhung auf 120 Prozent vor
Der Gemeinderat hat sich alle Mühe gegeben, um ein ausgeglichenes Budget 2026 zu präsentieren. Trotzdem: Der Steuerfuss soll im nächsten Jahr von 116 auf 120 Prozent steigen. Das ist keine Überraschung. Dieser Schritt wurde schon lange angekündigt. Er wird aber nicht bei allen Parteien auf viel Gegenliebe stossen.
Daniel Marti
Der Steuerfuss, das Dauerthema in der Wohler Politik. Und er wird auch in diesem Herbst heiss diskutiert werden. Denn bei den bürgerlichen Einwohnerratsfraktionen stossen Steuerfusserhöhungen auf Granit, und beim Stimmvolk oft auf Ablehnung. Trotzdem sieht der Gemeinderat keinen anderen Weg, als die 120 Prozent zu beantragen. Eine Marke, die schon vor Jahresfrist im Zentrum stand. Und letztlich politisch chancenlos war. Der Gemeinderat bleibt jedoch hartnäckig. «Wir stehen weiterhin vor grossen Herausforderungen», sagt Gemeindeammann Arsène Perroud. «Die 120 Prozent sind ja schon lange angekündigt», fügt Finanzministerin Denise Strasser an.
Steuerfusserhöhung bringt nur beinahe ausgeglichenes Budget
«Trotz sorgfältiger Planung schliesst das Budget mit einem kleinen Aufwandüberschuss von rund 36 000 Franken ab. Um die Gemeindefinanzen langfristig zu sichern, beantragt der Gemeinderat eine Erhöhung des Steuerfusses um vier Prozentpunkte – von 116 auf 120 Prozent», schreibt der Gemeinderat in seiner Medienmitteilung. Damit lassen sich jährlich rund 1,4 Millionen Franken zusätzliche Einnahmen erzielen.
Weitere Mehreinnahmen erwartet der Gemeinderat aufgrund des Bevölkerungswachstums und der wirtschaftlichen Entwicklung, dies macht dann nochmals 1,2 Millionen Steuerfranken aus.
Betriebliche Tätigkeit: Ein Minus von 2,5 Millionen
Höhere Einnahmen werden beispielsweise bei den Betreibungsgebühren und den Bussen der Regionalpolizei erwartet. Ein ausserordentlicher Ertrag ist zudem die Entnahme von 892 000 Franken aus der Aufwertungsreserve. Auch das ist ein wesentlicher Anteil, damit das Budget einigermassen ausgeglichen ist. Denn das Ergebnis der betrieblichen Tätigkeit liegt bei einem Minus von rund 2,5 Millionen Franken. Das ist eigentlich das nüchterne Resultat des Unternehmens namens Wohlen (eben ohne Aufwertungsreserve, ohne Ergebnis aus der Finanzierung).
Ein Glück: Die Neubewertung der Liegenschaften und Landstücke findet alle vier Jahre statt, nun aufs Budget 2026. Dies macht zusätzliche 800 000 Franken auf der Plusseite aus.
Acht Verschlechterungsposten
Gleichzeitig gibt es wesentliche Punkte, die das Budget gegenüber dem Vorjahr verschlechtern. Dies sind gleich acht Posten: Baulicher und betrieblicher Unterhalt (460 000 Franken), Sonderschulung, Heime, Werkstätten (400000), Personalaufwand Volksschule (400000), Pflegefinanzierung (300 000), Schulgeld von Gemeinden (200 000), Informatik Schule (190 000), Unterhalt von diversen Gemeindestrassen (190 000), Abschreibungen (178 000).
Diese Mehrbelastungen können von der Steuerfusserhöhung kaum kompensiert werden. Mit dem höheren Personal-, Sach- und Betriebsaufwand sowie dem steigenden Transferaufwand erhöht sich der Nettoaufwand in allen Ressorts. Im Vergleich mit dem Budget 2025 liegt die Erhöhung bei rund 3,6 Millionen Franken.
Von allen Ressorts schwingt der Bereich Gesellschaft, Soziales und Bildung obenaus. Mit einem Nettoaufwand von 22,7 Millionen Franken.
13,9 Millionen für Schulprojekte
Zu den Investitionen: Der Bedarf sei nach wie vor hoch, so der Gemeinderat. Für das Jahr 2026 sind Investitionen von rund 19 Millionen Franken vorgesehen. Der grösste Teil fliesst in den Bildungsbereich, für Schulprojekte sind es 13,9 Millionen Franken. Die Fertigstellung der Sanierung und des Teilneubaus des Schulzentrums Halde steht bevor und der Bau des Doppelkindergartens Farn (1,55 Millionen) soll realisiert werden. Zudem ist schon länger bekannt, dass Mittel für die Asbestsanierung des Gemeindehauses eingeplant sind.
Auch die Projektierungen der Schulraumprovisorien sind im Budget abgebildet: 65 000 Franken für die Schulanlage Bünzmatt, 150 000 Franken für die Schulanlage Junkholz.
Und 2,2 Millionen Franken sind für verschiedene Projekte von Gemeindeund Kantonsstrassen vorgesehen.
Und am Stichwort Grüngut und Abfallbewirtschaftung kommt man bei einem Budget der Gemeinde Wohlen nicht vorbei. Der Zuschuss der Gemeinde für den steuerfinanzierten Aufwand für die Entsorgung von Grüngut, Papier und Glas beträgt 726 900 Franken. Dies macht 1,7 Prozent des Steuerertrags der natürlichen Personen aus.
Wenn man fit sein möchte für Investitionen …
Dass die Kennzahlen für die Gemeinde Wohlen ein eher schlechtes Bild zeigen, das ist bekannt. Nur ein Beispiel: Der Selbstfinanzierungsgrad sollte nicht unter 50 Prozent liegen. Jährliche Schwankungen beim Selbstfinanzierungsgrad sind nicht ungewöhnlich, aber langfristig sollte eine Marke von 100 Prozent angestrebt werden. Für Wohlen nahezu eine Utopie. Im Budget 2026 wird er ohne Spezialfinanzierung bei knapp 29 Prozent angesiedelt (im Vorjahresbudget waren es 23 Prozent).
Immerhin eine Verbesserung. «Bei einem solchen Investitionsstau, wie wir ihn in Wohlen haben, ist eine bessere Zahl kaum möglich», sagt Finanzministerin Strasser.
Der Selbstfinanzierungsgrad ist gemäss Steueramtsvorsteher und Bereichsleiter Finanzen und Ressourcen, Thomas Laube, allerdings nicht das einzige Mass der Dinge. Viel lieber würde er sich dem mittelfristigen Haushaltsgleichgewicht widmen. «Dann müssten wir jedoch mindestens 2,5 Millionen Franken mehr Steuereinnahmen haben», so Laube. Oder wenn man fit für Investitionen sein wolle, dann müsste man jährlich um fünf Millionen Franken besser dastehen.
«Eine Trendwende ist schon länger nötig, die Gemeinde Wohlen lebt mit einem stetig steigenden Schuldenberg», dabei gehe eine Regulierung nur über eine Steuerfusserhöhung, so Laube. «Aber die Waage zu halten zwischen Schulden und der Weiterentwicklung der Gemeinde, ist eben ein sensibles Thema.»
Glück und Risiko sehr nahe beieinander
Gleichzeitig warnt er vor der Abschaffung des Eigenmietwertes bei der Abstimmung am 28. September. «Denn Wohlen müsste bei einer Abschaffung des Eigenmietwertes mit deutlichen Steuereinbussen rechnen.»
Auch Finanzverwalter Roland Frick schlägt Alarm. Wohlen hat zurzeit 90 Millionen Schulden, Tendenz steigend. «Wir haben Glück, dass die Zinsen sich gegenwärtig nicht verschlechtern. Aber hier gibt es ein grosses Risiko», so Frick.
Auf jeden Fall steht der Finanz haushalt der Gemeinde Wohlen auf wackligen Beinen. Das weiss auch der Gemeinderat. «Der Gesamtaufwand wächst schneller als der Gesamtertrag», rechnet er vor. Das sei eine Grundproblematik im Finanzhaushalt. «Gleichzeitig möchte der Gemeinderat sicherstellen, dass Wohlen auch künftig in Bildung, Sicherheit und Lebensqualität investieren kann», heisst es in der Mitteilung. Und um dieses Ziel zu erreichen, braucht es jetzt die vier Prozent Steuern mehr unbedingt. Denn die Phase des Sparens sei schon längst vorbei, sagt Thomas Laube, «im nächsten Jahr müssen wir sonst die Verzichtplanung angehen». Ein Nein zur Steuerfusserhöhung würde er als «Bekenntnis zur Stillstandspolitik werten».
Den Ball dem Einwohnerrat zugespielt
Das Budget 2026 mit einem Steuerfuss von 120 Prozent stemmt jedenfalls gewaltige Zahlen. Bei einem Aufwandüberschuss von 36 100 Franken macht der Ertrag 92,583 Millionen aus und steht dem Aufwand von 92,619 Millionen Franken gegenüber. Dank «Spezialeffekten» wird quasi die rote Null erreicht.
«Die Notwendigkeit einer Steuerfusserhöhung», sagt Gemeindeammann Arsène Perroud, «wird von den meisten Parteien schon lange anerkannt», das habe auch die Budgetdebatte im Einwohnerrat im letzten Jahr gezeigt. Damals habe sich der Rat allerdings für weitere Schulden entschieden. «Der Einwohnerrat muss jetzt Verantwortung übernehmen.» Und zwar bei der gleichen Auseinandersetzung wie letztes Jahr. «Die Situation hat sich nicht verändert», so Perroud, «wir haben unsere Aufgaben gemacht und stets explizit auf die Herausforderungen hingewiesen».