Die Überlebenden einer Dynastie
18.07.2023 Villmergen, Region UnterfreiamtÄlteste Geflechtfabrik
Freiämter Produkte: Tressa AG in Villmergen
Sie ist die wohl weltweit älteste noch aktive Geflechtfabrik. Und sie steht in Villmergen. Die Tressa AG. Im Jahr 1840 wurde in Villmergen die Stäger & Co AG ...
Älteste Geflechtfabrik
Freiämter Produkte: Tressa AG in Villmergen
Sie ist die wohl weltweit älteste noch aktive Geflechtfabrik. Und sie steht in Villmergen. Die Tressa AG. Im Jahr 1840 wurde in Villmergen die Stäger & Co AG gegründet. Eine Tochterfirma hält heute noch die alte Tradition hoch: die Geflechtfabrik Tressa AG. Heute führen Markus Fischbach und seine Frau Karin das Unternehmen. Die Firma ist zwar klein, aber sie ist dafür sehr flexibel. Einen Grossteil des Umsatzes machen die synthetischen Geflechte aus, welche die Tressa AG beispielsweise für die italienische und die französische Modelindustrie produziert. --red
Sommerserie «Freiämter Produkte»: Die Tressa AG in Villmergen ist die wohl weltweit älteste, noch aktive Geflechtfabrik
Ob ein Meter Schuhbändel aus dem Fabrikladen, Kernluftschläuche für Giessereien oder feinste Geflechte für die Modeindustrie in Italien und Frankreich – die Tressa ist für alle die richtige Adresse. Und dank der Produktion von Hutgeflechten ist sie quasi die letzte Überlebende der Strohindustrie.
Chregi Hansen
Frauen führten in der schillernden Freiämter Strohindustrie meist ein Schattendasein. Insofern ist es schon fast paradox, dass von all den vielen Firmen von einst ausgerechnet jene überlebt hat, die damals von einer Frau gegründet wurde. 1840 war es, als Marie Stäger in Villmergen die Stäger & Co. AG ins Leben rief, ein Unternehmen, das sich ausschliesslich mit Geflechten für die Hutindustrie befasste.
Fast 200 Jahre später hat die Firma Stäger & Co. Villmergen längst verlassen und produziert Verpackungen. Doch eine ihrer Tochterfirmen hält heute noch die alte Tradition hoch: die Geflechtfabrik Tressa AG. Sie wurde einst als Tochterfirma gegründet und 2001 beim Verkauf der Mutterfirma aus dem Unternehmen herausgelöst. «Mein Vater wollte diesen Teil des Unternehmens nach dem Verkauf behalten. Er wollte noch etwas zu tun haben. An der Tressa hing sein Herz, sie war für ihn sozusagen ein Hobby», berichtet Markus Fischbach, der das Unternehmen heute zusammen mit seiner Frau Karin leitet.
Der Mut wurde belohnt
Markus Fischbach führt durch die Produktionsräume. Es ist laut hier, es empfehlen sich Ohrschützer. Der Saal ist gefüllt mit Geflechtmaschinen in allen Grössen. Einige von ihnen laufen auch Hochtouren, andere warten auf den nächsten Einsatz. In Windeseile drehen sich die Rollen und flechten die verschiedenen Fäden zu Bänder, die später weiterverarbeitet werden. Ein Mitarbeiter überwacht die Maschinen, sorgt für Nachschub bei den Fäden, verpackt die Geflechte. «Wir lassen nur so viel Maschinen gleichzeitig laufen, wir wir im Blick haben können», sagt Fischbach.
Dass er und seine Frau einmal Geflechte für die Hutindustrie herstellen würden, das hätten sie sich nie vorstellen können. Markus Fischbach war früher auf einer Bank tätig, seine Frau Karin ist gelernte Buchhalterin. «Irgendwann stand die Frage im Raum, wie es mit dem Unternehmen weitergehen soll. Und so entschlossen wir uns, dort einzusteigen», erklärt der neue Inhaber. Wobei Vater Thomas Fischbach keinen Druck ausgeübt habe, sie aber anschliessend feinsäuberlich in die Materie eingearbeitet hat. «Im Gegensatz zu meinem Vater konnten wir den Betrieb nicht als Hobby führen, wir mussten und müssen damit den Lebensunterhalt verdienen.»
Heute, rund 20 Jahre nach dem Einstieg, können Markus und Karin Fischbach eine positive Bilanz ziehen. Der Mut wurde belohnt, die Tressa AG ist solide aufgestellt. Dabei profitieren sie auch von der Leistung ihrer Vorgänger. Produzierte die Villmerger Firma in den 80er-Jahren hauptsächlich Schuhschnüre, Gummilitzen, Giessereiröhrchen, repoussierte Gef lechte und verschiedene Dekorationsartikel, so wurde in den 90er-Jahren der Bereich der Hutgef lechte wieder aufgenommen. Dies dank der Übernahme der Jacob Isler & Co. AG in Wohlen. «Dadurch kam die Tressa in den Besitz eines grossen Kundenstamms, von dem wir sehr profitiert haben», weiss Markus Fischbach zu berichten.
Noch heute werden in den einstigen Räumlichkeiten der Stäger & Co. also Hutgeflechte hergestellt. So, wie dies früher der Fall war. Dass die Tressa als Mieterin noch im ehemaligen Stammhaus einquartiert ist, weckt beim Inhaber nostalgische Gefühle. Vor allem aber findet er hier ideale Verhältnisse. «Wir haben alles auf einem Stockwerk eingerichtet, es gibt überall kurze Wege», sagt er. Sogar Platz für einen Fabrikladen findet sich hier. Noch wichtiger ist aber inzwischen der Onlineshop. «Wir sind zwar in einer Nische unterwegs. Aber in dieser Nische haben wir uns einen guten Namen gemacht», sagt der 57-Jährige. Nach den Einbrüchen durch Corona kam 2022 ein Grossteil der Bestellungen zurück. Und auch aktuell ist man zufrieden mit dem Geschäftsverlauf.
Die Tressa gilt heute als die weltweit älteste Geflechtfabrik und die einzige in der Schweiz, die noch Hutgef lechte produziert. Wobei dieser Teil der Geschäftstätigkeit nur rund 5 bis 10 Prozent des Umsatzes ausmacht, wie Markus Fischbach erklärt. Man ist trotzdem stolz, diese alte Tradition weiterführen zu können. Zu den wichtigsten Kunden in diesem Sektor gehört auch die Hägglinger Hutfabrik Risa, mit der eine enge Zusammenarbeit besteht. Für die Herstellung der Geflechte nutzt man noch immer viele Maschinen, die Tressa-Gründer Thomas Fischbach einst selbst entwickelt hat. Er war gelernter Maschineningenieur und hat jahrelang an seinen Konstruktionen getüftelt. «Und die Maschinen laufen heute noch», sagt sein Sohn stolz.
Klein und sehr flexibel
Beschäftigte die Stäger & Co. zu ihren besten Zeiten über 100 Mitarbeitende, so sind in der Tressa heute noch drei Personen tätig. «Das passt», findet Markus Fischbach. Man sei zwar sehr klein, aber dafür sehr flexibel. Setzt nicht auf Masse, sondern auf Klasse. Ist bekannt für ganz spezielle Produkte, die es sonst nirgends gibt. Und erlaubt sich auch mal, einen Auftrag abzulehnen, wenn er nicht rentiert. «Weil wir so klein sind, brauchen wir keinen riesigen Umsatz und können uns auf das konzentrieren, worin wir gut sind», sagt der Inhaber. Und man könne sich auf viele zufriedene Kunden verlassen, gerade aus dem Modebereich. Aber auch Theaterbühnen. Operettenhäuser und viele Schulen und Bastelläden setzen gerne und oft auf Produkte der Tressa.
Zudem beliefert man Kunden weltweit, was angesichts der Entwicklung auf dem Devisenmarkt keine Selbstverständlichkeit ist. Umso mehr war man vor drei Jahren von Corona betroffen. Einen Grossteil des Umsatzes machen die synthetischen Geflechte aus, welche die Tressa beispielsweise für die italienische und französische Modeindustrie produziert. «Als damals die Grenzen zugingen, brachen auf einmal alle Aufträge weg», erinnert sich Markus Fischbach. Inzwischen hat sich das Geschäft wieder erholt. Schauen Markus und Karin Fischbach optimistisch in die Zukunft. «Es läuft mal mehr, mal weniger. Aber übers Ganze gesehen passt es für uns», sagt der Inhaber. Und weil im Betrieb alle alles machen können, sei man auch gut gerüstet, wenn einmal ein Auftrag eilt. «Wir produzieren nicht Unmengen auf Vorrat, das lohnt sich nicht. Aber wir können dank unserem Maschinenpark schnell reagieren», sagt Fischbach. Maschinen, die zu einem Grossteil noch von seinem Vater konstruiert wurden. «Die sind unverwüstlich. Aber leider auch unglaubliche Stromfresser», lacht der Sohn.
Man staunt selber, wie rege der Laden genutzt wird
Ihm als ehemaligem Bankangestellten gefällt die Arbeit als «Fabrikdirektor». Er ist sich auch nicht zu schade, selbst in der Produktion mit anzupacken. «Es ist die Vielseitigkeit, die mir Spass macht», sagt er. Eine Vielseitigkeit, von der auch der von seiner Frau liebevoll eingerichtete Fabrikladen zeugt. Ob Schuhbändel, Crinolborten und -röhrchen, Bast, Bänder, Dekorationskordeln, Litzen und Hutgeflechte in vielen verschiedenen Farben und Breiten – hier wird jeder, der gerne bastelt oder schneidert, fündig. Und der Laden wird rege genutzt. «Ich staune selbst, wie viele Kunden vorbeikommen. Und sei es nur für einen Meter Schuhbändel», sagt Fischbach.
Wie lange er und seine Frau den Betrieb noch fortführen wollen, das hingegen steht in den Sternen. «Darüber machen wir uns keine Gedanken. Das ist auch ein Vorteil des Kleinseins. Wenn es nicht mehr läuft oder es für uns nicht mehr passt, können wir problemlos schliessen», sagt der Geschäftsführer. Der zugleich aber hofft, dass dieser Punkt noch lange nicht erreicht ist. Und die Tressa weiterhin Geflechte für die Hutfabrikation herstellt. Als letzte Überlebende der einst so erfolgreichen Freiämter Strohindustrie.