Der Weg der Orchidee
21.10.2025 Bremgarten, Sport, KampfsportSuzanne Emch übergibt ihre Budo Schule Randokan in neue Hände
Eine Bremgarterin hat über Jahrzehnte ihren eigenen Weg gefunden, Kampfkunst mit Empathie und Dialog zu vereinen. Mit 70 Jahren sieht die neunfache Schweizer Meisterin nun den Zeitpunkt gekommen, ...
Suzanne Emch übergibt ihre Budo Schule Randokan in neue Hände
Eine Bremgarterin hat über Jahrzehnte ihren eigenen Weg gefunden, Kampfkunst mit Empathie und Dialog zu vereinen. Mit 70 Jahren sieht die neunfache Schweizer Meisterin nun den Zeitpunkt gekommen, einen Schritt zurückzutreten. Ab Januar übergibt Suzanne Emch ihre Budo Schule an Daniel Rey.
Marco Huwyler
Es gibt diesen einen Moment vor rund vier Jahren. Eben 66 geworden, hat sich Suzanne Emch dazu entschieden, ihr Team für eine kurze Ansprache zusammenzutrommeln. «Da sagte ich ihnen unverblümt: Es gibt zwar keinen aktuellen Anlass. Aber ewig werde ich diese Schule nicht mehr führen.» Man könne sich deshalb gerne bei ihr melden, wenn jemand Internes Interesse an der Nachfolge habe. «Ich schaute in ein Rund von betretenen Pokerfaces», schmunzelt Emch. Doch in einem Gesicht erkannte sie, die sensibilisierte Menschenkennerin, eine kleine Regung. Ein kurzes Funkeln in den Augen. «Ein paar Wochen später habe ich Daniel darauf angesprochen.» Und von jenem Tag an war die Nachfolge der Grande Dame der Bremgarter Kampfkunst im Prinzip aufgegleist.
Erfüllung im Ju Jitsu
Schliesslich war es ein ähnliches Funkeln, das Richard Knecht einst bei ihr selbst entdeckt hatte. Suzanne Emch ist Mitte der 80er-Jahre Ende 20. Eben ist sie nach Bremgarten gezogen. Sie gilt nicht als besonders sportlich. «In der Schule war ich im Turnen immer schlecht», sagt sie. Doch Emch bewegt sich gerne. Yoga ist ein Hobby, dem sie sich seit einiger Zeit widmet. Sie ist neugierig auf Ähnliches aus Fernost. Und so beschliesst Emch, im neuen Wohnort bei der Budo Schule Randokan im Sunnemärt vorbeizuschauen. Eine Schule für japanischen Kampfsport, die es in Bremgarten bereits seit der Gründung des Einkaufszentrums gibt und die vom ehemaligen Ringer Richard Knecht ins Leben gerufen wurde. «Ich habe also bei ihm geschnuppert und wusste auf Anhieb: Das ist mein Ding!», erinnert sich Emch lächelnd. Der wertfreie Umgang, die Kombination aus Sanftheit und Stärke. Der Miteinbezug von Seele und Körper gleichermassen. «Im Ju Jitsu habe ich mich gefunden.» Und mit Knecht – damals eine Grösse in der Schweizer Kampfsportszene – hatte sie in der Mutterdisziplin aller japanischen Kampfkünste einen Lehrmeister, der das Potenzial seiner neuen Schülerin erkannte. Emch sollte es entsprechend weit bringen.
National fast unschlagbar
Bereits nach kurzer Zeit ragt sie intern aus ihrer Gruppe heraus und beginnt erfolgreich mit Wettkämpfen. «Das hat mich zusätzlich bestärkt und mir Antrieb gegeben», sagt sie. Und so trainiert sie als zweifache Mutter nebenher schon bald so viel und so oft es geht. «Die Familie war damals oft dabei und hat mich unterstützt.» Mit Doris Knecht findet Emch eine ideale sportliche Partnerin. Gemeinsam schickten sich die beiden an, den japanischen Kampfsport in der Schweiz in ihrer Kategorie zu dominieren. Zwischen 1988 und 1993 gewinnen die beiden in «Kata» des Ju Jitsu national alles, was es zu gewinnen gibt. Neunmal werden sie Schweizer Meisterinnen. Bei den Wettkämpfen 1993 triumphieren sie nochmals in allen Disziplinen, in denen sie antreten. «Dann sagten wir uns – jetzt ist genug», lächelt Emch. «Das war ein schöner Abschluss.» Und ihre Gegnerinnen können aufatmen. Der oberste Platz auf dem Treppchen wird wieder frei.
Empathie und Körperlichkeit
Emch konzentriert sich fortan darauf, das Gelernte weiterzugeben. «Dieses Bedürfnis, Wissen zu vermitteln und Kindern und Jugendlichen zu helfen, hatte ich schon früh», sagt die heute 70-Jährige. Bei der Budo Schule Randokan wird sie deshalb bereits nach kurzer Zeit auch Lehrerin. Schon 1992 während der Hochblüte ihrer Aktivzeit übergibt ihr das Ehepaar Knecht überdies die Geschäftsführung der Bremgarter Schule. Ein Jahr nach dem tragischen Krebstod ihres Lehrmeisters übernimmt Emch die Budo Schule 2001 dann ganz und beginnt, sie sanft und sukzessive noch mehr nach ihren Vorstellungen umzugestalten. «Mir war es wichtig, dass der Dialog und die Kommunikation im Umgang mit Konflikten noch mehr Gewicht erhalten», sagt Emch. Die Leitsprüche der grossen japanischen Lehrmeister sollten nicht bloss mahnend an irgendeiner Tafel stehen, sondern in der Bremgarter Budo Schule tagtäglich vorgelebt werden. «Respekt, Wertschätzung und Selbstverantwortung sind dabei absolut zentral», erklärt Emch. Haltung und körperliche Präsenz sollen Hand in Hand gehen mit empathischer Sprache. So entwickelt sich die Budo Schule Randokan unter ihr zu einer einzigartigen Institution, in der Kampfsport und gewaltfreie Kommunikation kombiniert werden.
Eine eigene Disziplin entwickelt
Gelehrt in Bremgarten werden heute unterschiedliche Disziplinen fernöstlicher Prägung. Dazu gehören wie ursprünglich die Kampfsportarten Judo, Ju Jitsu und Selbstverteidigung, aber auch die chinesische Bewegungskunst Qi Gong – und «Shin Shin». Letzteres ist eine Disziplin, welche Suzanne Emch im Laufe der Jahre in Abstimmung mit der St. Josef-Stiftung selbst entwickelt hat. «Ein ergänzendes Angebot zur Psychomotorik», erklärt die Schulleiterin. Insbesondere verhaltensauffällige Kinder werden hier spielerisch in Beweglichkeit, Motorik und Körperwahrnehmung gefördert. Bis heute und seit über 30 Jahren wird «Shin Shin» von der St. Josef-Stiftung aktiv empfohlen und trägt zum Ausgleich für viele Klienten bei.
Mit ihrem sorgsam abgestimmten Mix und ganz eigenen Weg ist die Budo Schule Randokan heute bestens unterwegs. «Ich habe mich in all den Jahren nie über zu geringes Interesse oder zu wenige Schüler beklagen müssen», lächelt Emch.
Bei Minus 9 Grad
Sogar während Corona sei man ihr treu geblieben – und manch einer sei gar durch jene Zeit auf sie gestossen. «Durch unsere grosszügigen Räumlichkeiten und unsere Flexibilität haben wir auch damals immer ein Angebot aufrechterhalten können», erzählt die Schulleiterin. Je nachdem halt auch mal online – oder draussen in freier Natur. «Ich kann mich beispielsweise an einen frischen Morgen bei minus 9 Grad an der Reuss erinnern», schmunzelt Emch. 350 Schülerinnen und Schüler unterrichtet sie heute gemeinsam mit ihrem Team, das aus sieben Leiterinnen und Leitern besteht. Alle überdies nicht nur hervorragende Kampfsportler, sondern durchs Band geschult in gewaltfreier Kommunikation, wie es der Philosophie der Bremgarter Kampfkunst-Schule entspricht.
Ein sanfter Wechsel
Dieser wird Emch treu bleiben, auch wenn nun der Zeitpunkt gekommen ist, um vom grossen Ganzen loszulassen. «Es wird eine saubere Übergabe, sorgsam geplant und geordnet», betont die langjährige Leiterin. Ein sanfter Wechsel zum neuen Geschäftsführer Daniel Rey. Dazu gehört auch, dass Suzanne Emch aktiv bleiben wird und weiterhin unterrichtet. «Ich werde mich künftig verstärkt auf Einzelsettings, Qi Gong und das ‹Shin Shin› konzentrieren», erklärt sie. Emch kann sich gut vorstellen, das noch viele Jahre zu tun. «Denn Alter ist für mich etwas Abstraktes und letztlich nur eine Zahl.»
Und so wird der Weg der Budo Schule Randokan auch unter neuer Führung eng mit dem Weg seiner lange Jahre prägenden Leiterin verbunden bleiben. Es ist im Übrigen der Weg der Orchidee. «Randokan» bedeute, Stille und kraftvolle Aktion in Einklang zu bringen, wie Emch erklärt. Wie eine Orchidee, welche im Schlamm wachse und dann in reiner Schönheit erblühe. «Eine Blume, die ihre Ansprüche hat – aber unter den richtigen Voraussetzungen so prächtig gedeiht wie keine andere.» Der Weg der Kampfkünstlerin sei derselbe: intensives Training unter den richtigen Voraussetzungen und irgendwann erblühe die Person in ihrer Grösse und Schönheit – im Einklang der Gegensätze von Stille und Kraft
Bei Randokan in Bremgarten sollen weiterhin so viele Orchideen wie nur möglich ihren eigenen Weg zur Entfaltung finden. Wie auch Suzanne Emch, die hier einst ihre körperliche und geistige Erfüllung gefunden hat – und daraus ein in der Kampfkunst-Szene einzigartig empathisches Lebenswerk schuf.