Der pflegende Held
29.07.2025 WohlenOhne Hemmungen
Hanspeter Iten pflegt seine Frau
Marise Iten ist nach mehreren Schicksalsschlägen ein Pflegefall. Ihr Mann Hanspeter pflegt und umsorgt sie liebevoll im eigenen Zuhause.
In vielen Familien gehört die ...
Ohne Hemmungen
Hanspeter Iten pflegt seine Frau
Marise Iten ist nach mehreren Schicksalsschlägen ein Pflegefall. Ihr Mann Hanspeter pflegt und umsorgt sie liebevoll im eigenen Zuhause.
In vielen Familien gehört die Pflege eines Familienmitglieds zum Alltag. Wie bei der Familie Iten aus Waltenschwil. Hanspeter Iten umsorgt und pflegt seine Frau nach einem schlimmen Treppensturz und einem Hirnschlag. Unterstützt wird er dabei von der Spitex Freiamt. Zugleich ist er in einem Arbeitsverhältnis mit der Spitex Freiamt. Als «pflegender Angehöriger» unterstützt er das Gesundheitssystem. Ein Angebot, das beiden Seiten zugutekommt. --mo
Hanspeter Iten pflegt seine Frau Marise hingebungsvoll – und erhält von der Spitext Freiamt wichtigen Support
Zwei Hirnschläge, ein Sturz, ein Schädelhirntrauma. Marise Iten ist heute ein Pflegefall. Ihr Mann Hanspeter umsorgt sie liebevoll und so gut es geht. Unterstützung erhält er dabei von der Spitext Freiamt, wo Hanspeter Iten der einzige Mitarbeiter mit der Bezeichnung «pflegender Angehöriger» ist. Iten erzählt aus seinem Alltag, der geprägt ist von Herausforderungen und viel Zusammenarbeit mit der Spitex.
Monica Rast
Ein Treppensturz im Jahr 2022 und alles ist anders. Knochenbrüche, Schädelhirntrauma, Operationen. Marise Iten ist fortan auf grosse Hilfe angewiesen. Ihr Mann Hanspeter kümmert sich liebevoll, mit viel Geduld und Aufwand. Er ist ein «pflegender Angehöriger» der Spitex Freiamt, hätte aber so oder so diesen «Posten», die Pflege seiner geliebten Frau, übernommen.
Das frühere Bäcker-Ehepaar lebt am Grottenweg in Waltenschwil. Die geräumige 3,5-Zimmer-Wohnung ist behindertengerecht eingerichtet. Marise Iten kann kaum noch laufen, nur mit Mühe etwas halten. Sie braucht heute, drei Jahre nach dem verhängnisvollen Sturz, immer intensivere Pflege.
In der Wohnung rennt einem als erstes der Dackel entgegen und begrüsst lautstark Soraya Topkaya von der Spitex Freiamt. Dreimal die Woche schaut sie beim Ehepaar vorbei und unterstütz Hanspeter Iten bei der Pflege seiner 83-jährigen Frau Marise.
Seit 55 Jahren geht das Ehepaar durch dick und dünn. Sie bauten gemeinsam die Bäckerei Iten in Waltenschwil und Wohlen zu einem florierenden Geschäft auf und zogen nebenbei ihre Kinder gross. «Für mich war immer klar, dass ich für meine Frau da sein werde», erzählt der 79-Jährige und schaut liebevoll zu seiner Frau, die in einem gemütlichen Sessel sitzt.
Seit einem Unfall im Jahr 2022 ist sie auf Hilfe angewiesen. Ihr Mann übernimmt dabei, mit Unterstützung der Spitex, ihre Pflege. Er schaut, dass sie immer sauber gekleidet ist, schmeisst den Haushalt und kocht für sie beide.
Im eigenen Lebensrhythmus
«Wir stehen so um acht auf. Dann helfe ich ihr beim Waschen und anziehen, bevor ich Frühstück mache», erzählt Hanspeter Iten. Er übernimmt diese Aufgabe gerne. «Ich habe keine Hemmung meine Frau zu pflegen», erzählt er. «Ich hatte auch schon meine Mutter gepflegt.»
Hanspeter Iten ist bei der Spitex Freiamt als pflegender Angehöriger angestellt. Seine Arbeit beinhaltet alles, was mit der Pflege seiner Frau zu tun hat. Sein Lohn ist eine finanzielle Anerkennung für seinen Einsatz. «Ich hätte es aber auch so gemacht», betont der Rentner.
Von Beginn weg seine Frau umsorgt
Auf die Idee, sich bei der Spitex als angestelltes Familienmitglied zu bewerben brachten ihn verschiedene Artikel und Sendungen im Fernsehen. «Ich informierte mich bei unterschiedlichen Firmen. Doch die haben mir nicht zugesagt», erinnert sich Iten.
Durch ihren Hausarzt Stefan Schäfer kam er auf die Spitex Freiamt. «Sie würden pflegende Angehörige unterstützen. Und da ich die Geschäftsleiterin Christine Kaspar Frei von früher persönlich kenne, hat sich dann eins ums andere ergeben. Sie wusste ja bereits, dass ich meine Frau pflege.»
Ein Hirnschlag 2022, der sich negativ auf das Augenlicht von Marise Iten auswirkte, schränkte sie stark in ihrem Sichtfeld ein. Dadurch endete ein schlimmer Treppensturz mit diversen Knochenbrüchen und einem schweren Schädelhirntrauma.
Schweren Herzens brachte Hanspeter Iten seine Frau nach dem Spitalaufenthalt in das Senevita am Maiegrüen nach Hägglingen zur Pflege und Betreuung, «obwohl es meiner Frau nicht passte». Er gab ihr aber das Versprechen, sie nach Hause zu holen, wenn es ihr in Hägglingen nicht gefällt. Täglich besuchte der Rentner seine Frau und übernahm schon da ihre Pflege, so weit es ging, und blieb fast den ganzen Tag dort. Doch gewisse Vorfälle stimmten ihn nachdenklich und nach nur wenigen Tagen holte er seine Frau bereits wieder nach Hause.
«Damals wollte ich für meine Frau das Haus noch umbauen, denn Treppensteigen war nicht mehr möglich», erzählt Hanspeter Iten. Auf Anraten seiner Kinder verkaufte er das grosse Eigenheim mit Umschwung und zog in eine kleine Wohnung in der Eichholzstrasse. Von da aus ging er mit seiner Frau regelmässig zur Physiotherapie.
«Wir wollten gerade in die Physio, als meine Frau sich über starken Schwindel beklagte», erinnert sich Hanspeter Iten. Eine Abklärung in der Notaufnahme in Muri brachte keine Erkenntnis über die Ursache. «Als sie aber anstelle des Brotes den Tisch mit Butter bestrich, wusste ich, dass etwas nicht stimmen konnte, und fuhr sie direkt ins Kantonsspital nach Aarau.»
Die Diagnose war damals, 2024, niederschmetternd: schwerer Hirnschlag – man musste mit allem rechnen. «Marise sagte damals zu mir, dass sie noch weiterleben möchte», erzählt Iten und schaut seine Frau liebvoll an. 20 Tage war Marise Iten im Kantonsspital. Komplet lahm und blind folgte die Überweisung in die Rehaklinik Bellikon. Dank der intensiven Betreuung kann sie sich wieder bewegen, laufen und sieht auch wieder etwas. Und auch da nahm Iten seine Frau wieder nach Hause. «Es ist, wie es ist, aber uns geht es so weit gut. Wir müssen einfach ein wenig anders planen.»
Marise ist froh, darf sie weiterhin mit ihrem Mann zusammenleben. «Er hat mir immer gesagt, ich muss nicht in ein Heim.»
Mit gutem Beispiel voran und anderen Mut machen
Soraya Topkaya kommt nun jeweils am Montag-, Mittwoch- und Freitagmorgen vorbei, um Marise Iten zu duschen. Sie steht aber bei Bedarf jederzeit zur Verfügung, falls es ihrem Ehemann mal nicht so gut gehen würde, wie einmal, als es ihm schwindlig wurde.
«Wir geben Tipps und Tricks weiter, wie es einfacher gehen könnte», erzählt sie. «Die Menschen werden immer älter und wünschen sich, möglichst lange in der gewohnten Umgebung bleiben zu können. Dank der Mithilfe von Familienangehörigen müssen auf Pflege angewiesenen Personen nicht auf ihr gewohntes Zuhause verzichten.»
Bei der Hilfe der angestellten Familienangehörigen handelt es sich um alltägliche Dinge in der Grundpflege wie waschen, anziehen oder Zähne putzen. «Es sind die kleinen Dinge, die für uns eine Riesenhilfe sind», erklärt Topkaya, «und Hanspeter macht dies mit gleich viel Herzblut wie wir.» Und doch ist die Spitex Freiamt flexibel genug, auch mal einen grösseren Einsatz zu leisten, wenn der Bedarf da ist – wie als sich Hanspeter Iten die Schulter operieren liess. So wurde das Ehepaar die ersten 14 Tage gemeinsam von Soraya Topkaya versorgt. «Ich war froh, musste ich sie in dieser Zeit nicht weggeben», meint Iten, «ganz alleine hätte ich die Situation nicht bewältigen können. Vor allem das Duschen und das Anziehen der Kompressionsstrümpfe fiel mir schwer.»
Hanspeter Iten möchte anderen Mut machen, sich ebenfalls als pflegende Angehörige bei der Spitex zu melden. «Man wird bei einem Notfall nicht im Stich gelassen. Gemeinsam wird nach einer passenden Lösung gesucht. Auch wenn sie nur vorübergehend ist.»
Unverzichtbare Stütze
Als unverzichtbare Stütze im Gesundheitssystem leisten pflegende Angehörigen Grossartiges. Ob man direkt verwandt ist oder aus dem nahen Umfeld kommt, spielt dabei keine Rolle. Seit dem 1. April 2023 ermöglicht die Bundesgerichtsrechtsprechung auch Nicht-Fachkräften, für die Pflege von Angehörigen angestellt und entlohnt zu werden.
Die Spitex Freiamt unterstützt dieses Angebot nach einer obligatorischen Bedarfsabklärung. In Zukunft wird die Spitex immer mehr auf solche Menschen angewiesensein. Momentan ist Hanspeter Iten aber noch der einzige Mitarbeiter der Spitex Freiamt in dieser Form.